1956: Saubere Köpfe

Zeitgeschichte Die erste Nummer der Zeitschrift „Bravo“ ist da. Das Jugendmagazin wird fortan den Wandel popkultureller Mentalitäten reflektieren und dazu dem Zeitgeist gefällig sein
Ausgabe 33/2016

Zum Wesen öffentlicher Jubiläen gehört es, dass sie oft etwas Verklärendes haben. So auch bei der Bravo. Als die Zeitschrift im Jahr 2006 ihr 50-jähriges Bestehen feierte, konnte man viel darüber lesen, wie sehr sie einst die bundesdeutsche Jugendkultur revolutionierte, die Beatmusik popularisierte oder zum Stichwortgeber einer sexuellen Befreiung wurde. Wenn das Magazin, das am 26. August 1956 seine 50 Pfennig teure Erstausgabe veröffentlichte, in diesen Tagen nun seinen 60. Geburtstag begeht, wird vermutlich Ähnliches zu hören sein.

Und es stimmt ja: Als erste westdeutsche Zeitschrift, die sich ausschließlich an Jugendliche richtete, ist ihre popkulturelle Bedeutung kaum zu überschätzen. Zumal sie sich im Gegensatz zu ihren anfänglichen Konkurrenten, der bisweilen als „Katholiken-Bravo“ apostrophierten Jungen Zeit oder dem Gewerkschaftsblättchen Ran, vorrangig am Markt, nicht an nachgelagerten Organisationen orientierte. Nur heißt das eben nicht, das Magazin hätte selbst gar keine Agenda besessen. Was oft vergessen wird, ist der Umstand, dass die Bravo gerade in ihrer Anfangszeit einer ziemlich konservativen Grundlinie folgte. Sie positionierte sich zunächst keineswegs gegen den Zeitgeist, sondern reflektierte auf ihre Weise die Hochzeit der Adenauer-Ära.

In seinem bereits 1997 erschienenen Band Party, Pop und Petting – Die Sixties im Spiegel der Bravo hatte der Literatur- und Politikwissenschaftler Thommi Herrwerth bereits darauf hingewiesen, mit dem Jugendmagazin sei der spießige Moralkodex der Nachkriegszeit zunächst eifrig reproduziert worden. So wurde etwa 1959 gejubelt, als sich Elvis Presley die Koteletten rasiert hatte: „Haare im Kragen und über den Ohren sehen immer schmuddelig und unappetitlich aus. Parole: Haare kürzer. Nicht nur, weil Presley es vormachte. Ein Bravo für ihn, ein Bravo den sauberen Köpfen!“ Noch deutlicher wird es, wenn man jene Stars in den Blick nimmt, die das Magazin in seiner Funktion als popkultureller Gatekeeper dezidiert mit aufbaute. Während der Sänger Drafi Deutscher 1967 nach einem Skandal – er hatte betrunken von einem Balkon uriniert – fallen gelassen wurde, und man kein Wort mehr über ihn verlor, wurden Manuela und Conny Froboess, Roy Black und Rex Gildo durch die Zeitschrift erst richtig groß.

Gerade bei den zuletzt Genannten zeigte sich, wie sehr das Blatt Lebensläufe formatieren konnte. Galt der brave Biedermann als Idealtyp, wurden die Stars genau so inszeniert. Rex Gildo, dessen vermeintlicher Liaison mit Schlagerstar Gitte die Bravo zuvor bereits unzählige Berichte gewidmet hatte, bekannte 1969 etwa: „Das Mädchen meiner Wahl müsste eine Hausfrau mit überdurchschnittlichen Kochkünsten sein. Ich bin sehr gerne zu Hause und wünsche mir, dass dort alles schön und gemütlich ist.“

Im gleichen Jahr ließ Roy Black wiederum verlauten, dass er bei Männern lange Haare verabscheue, bei Frauen „superkurze Miniröcke. Weil sie ungraziös sind, und weil sie mich immer an die kalt-kessen Anbiederungsversuche der Profi-Koketten erinnern.“ Bedenkt man, dass Rex Gildo, der sich 1999 aus dem zweiten Stock eines Wohnhauses in den Tod stürzte, lebenslang seine Homosexualität versteckte, und dass Roy Blacks Verwandlung vom einstigen Rock ’n’ Roller zum blütenweißen Schlagerfuzzi – 1996 mit Christoph Waltz in der Hauptrolle verfilmt – ihn letztlich zur Selbstverachtung trieb, so weiß man zumindest retrospektiv, was von den damaligen Aussagen zu halten ist. Neben einem hausbacken konservativen Grundton zeichnete sich die Bravo noch durch eine andere Eigenschaft aus, die maßgeblich ihren Erfolg begründete. Wenn es dem Verkauf diente, sah man über die eigenen Grundsätze hinweg. Will heißen: Im Zweifel war die Zeitschrift schlichtweg opportunistisch. Sinnbildlich steht dafür ihr erster Chefredakteur. Peter Boenisch, der später die Bild leitete und dann zum Regierungssprecher Helmut Kohls aufstieg. Er wird von Michael Jürgs in seinem Buch Der Fall Axel Springer mit den Worten zitiert: „Und ich mache inzwischen Bravo. Da kann ich mich leider, auch wenn meine Autos größer werden, nur zum Kotzen finden.“

Zum Markenzeichen des Magazins wurde somit eine ausgeprägte Ambivalenz. Während man etwa die Freizügigkeit einer Brigitte Bardot schmähte, zierte sie 1959 dennoch den ersten Starschnitt. Während die Rolling Stones zunächst noch als „verhungert und verkommen“ galten, begleitete man sie später auf Tour. Auch wenn das Magazin gesellschaftspolitisch keine Vorreiterrolle einnahm, gehörte es zumindest in demoskopischer Hinsicht zur Avantgarde. Bereits in den Anfängen befragte man die Leser regelmäßig, über welche Stars sie mehr Berichterstattung wünschten, und ließ die Leser ab 1957 über den „Goldenen Otto“ abstimmen, der dann Lieblingsstars verliehen wurde.

Verstand sich die Bravo also als eine Art popkultureller Seismograf, reagierte sie dementsprechend auch auf die sexuelle Liberalisierung. Bereits Anfang der 60er Jahre wurden Beratungsformate wie Knigge für Verliebte ins Leben gerufen. Ab 1969 beantwortete dann das Team um Martin Goldstein, Arzt, Psychotherapeut und evangelischer Religionslehrer aus Düsseldorf, unter den Pseudonymen Dr. Sommer und Dr. Korff Fragen zur sexuellen Aufklärung. Obschon zumeist Appelle an Tugend und Moral vorherrschten, leistete man sich zuweilen Ausreißer. Im Jahr 1972 wurden die Ausgaben 6 und 7 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert, da der Liebesreport und die Serie Was dich bewegt als Impulsgeber für „Schulversagen und Schulflucht, für Desintegration der Sexualität in die gesamtgesellschaftliche Persönlichkeit und für Flucht in Drogen- und Alkoholgenuss“ gedeutet wurden.

Dieses Muster – Biederkeit auf der einen, das Aufgreifen und Verstärken gesellschaftlicher Trends auf der anderen Seite – erwies sich als Erfolgsrezept kommender Jahrzehnte. Ob Neue Deutsche Welle in den 80ern, die großen Jahre der Boy-Bands in den 90ern oder die Hochphasen von Britney Spears und Christina Aguilera in den 2000ern, die Bravo war immer dabei.

Doch das Magazin bildet nicht nur einen Spiegel popkultureller Mentalitätsgeschichte, sondern ist in doppelter Hinsicht auch Ausdruck eines medienhistorischen Wandels. Verdankte die Bravo, die zunächst als „Zeitschrift für Film und Fernsehen“ an den Start ging, ihren Aufstieg der zunehmenden Verbreitung von TV-Geräten, so liegt ihr fortschreitender Niedergang nicht zuletzt darin begründet, dass Stars sich heute direkt über Youtube, Instagram oder Snapchat an ihre Fans wenden. Letzteres macht den Auflagenschwund immer dramatischer: Verkaufte man 1991 im wiedervereinigten Deutschland wöchentlich knapp 1,5 Millionen Exemplare, waren es in zweiten Quartal dieses Jahres gerade noch 130.000.

Dagegen halfen auch keine zweifelhaften Modernisierungsversuche. Um gegen Konkurrenten wie inTouch oder OK! zu bestehen, wurde der Ton bisweilen reißerischer und aggressiver. 2010 veröffentlichte man etwa eine „Hot List“, wie sich Jungen und Mädchen an ihren Ex-Partnern rächen könnten. Darunter Ratschläge wie: „Du stellst eine geöffnete Flasche Cola auf seinen Schultisch – in die du vorher Abführmittel gekippt hast“ oder „Du setzt mit einem Bildbearbeitungsprogramm ihren Kopf auf ein Nacktmodell und schickst das Foto an all ihre Bekannten“.

Ende 2014 folgte dann ein offizieller Relaunch. Die Webseite wurde ausgebaut und die Printausgabe, die seither nur noch 14-tägig erscheint, inhaltlich näher an die sozialen Netzwerke gerückt. Doch nicht alles hat sich geändert. Dr. Sommer gibt weiter seine Tipps, in der aktuellen Ausgabe etwa an Daniel, 15, der ein schlechtes Gewissen hat, weil er beim Onanieren immer an seine Mathelehrerin denkt. Die Bravo rät: „Liebe zwischen Lehrern und Schülern ist verboten. Erspar dir die Abfuhr und flirte mit Girls, bei denen du eine Chance hast.“

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