Der Lack ist ab

Arbeitsbedingungen „Don’t be evil“ lautete einst der Wahlspruch von Google. Nun, die guten Zeiten sind längst vorbei
Ausgabe 15/2019
Mogelpackungen
Mogelpackungen

Foto: John D. McChugh/AFP/Getty Images

Es ist noch gar nicht so lange her, da war Google einer von den Guten. „Don’t be evil“ war der Wahlspruch des Tech-Unternehmens, das wie kein zweites für die Ideologie des kalifornischen Silicon Valley steht. Dieses Motto muss Google kurzfristig verdrängt haben, als es am 8. März 2019 34 Zeitarbeitern weltweit eine fristlose Kündigung schickte. Die entlassenen Arbeiterinnen waren damit betraut, „Alexa“, den digitalen Sprachassistenten von Google, zu befüllen, damit dieser den Nutzerinnen das Wetter vorlesen, Essen bestellen oder eine E-Mail vorlesen kann.

„Don’t be evil“ war allerdings schon immer mehr ein schlechter Scherz: Google ist ein Konzern an der Spitze der Börse, der weiter expandiert und mit anderen Unternehmen um die Vormachtstellung auf dem Weltmarkt in verschiedenen Segmenten konkurriert. Trotzdem hielt der gute Ruf des bunten und fröhlichen Suchmaschinenbetreibers sehr lange. Google galt als bester Arbeitgeber der Welt und führte sogar entsprechende Rankings an. Bilder von Rutschen, Bällebädern, Buffets mit kostenlosem, gutem Essen und Google-Bussen, die die hoch bezahlten Tech-Arbeiter aus San Francisco in die freundliche Konzernzentrale im Silicon Valley brachten, galten als Beispiele eines fortschrittlichen Arbeitgebers, die es sogar in popeligen Start-up-Klitschen in Hintertupfingen zu kopieren galt. Die Tech-Arbeiter sollten Spaß bei der Arbeit haben, gut bezahlt werden und eine erstklassige Krankenversicherung bekommen.

Vergessen wurde dabei, dass auch bei Google nicht nur hoch dotierte Programmierer und Manager arbeiten, sondern auch sogenannte TVCs, was so viel wie Zeitarbeiterinnen (temps), Lieferanten (vendors), Leiharbeiter (contract workers) bedeutet. Diese TVCs machen 56 Prozent der bei Google arbeitenden Menschen aus – darunter auch jene, die am 8. März die Kündigung erhielten. Vor ein paar Jahren wäre das vielleicht noch durchgerutscht, mittlerweile aber haben sich die Google-Arbeiterinnen gut organisiert. Schnell veröffentlichten fast 1.000 Angestellte einen offenen Brief und forderten von dem Tech-Unternehmen, die prekären Arbeiter ordentlich anzustellen und mit vernünftigen Verträgen abzusichern. Sie übten außerdem massive Kritik an der Unternehmenspolitik: „Seit Jahren rühmt sich Google damit, sich sehr schnell den Marktanforderungen anpassen zu können und auch bei den Arbeitern schnell und flexibel runter- und hochskalieren zu können. Für die Arbeiter bedeutet diese Art der Skalierung komplette finanzielle Unsicherheit. Das ist der menschliche Preis für Agilität!“

Mittlerweile hat Google versprochen, die Vertragsbedingungen der Zeitarbeiter zu ändern. Das wäre wohl kaum passiert ohne die einzigartige Solidarität unter den Arbeiterinnen selbst: den privilegierten – und den nahezu entrechteten. Ein motivierender Schritt im Kampf gegen die Vormachtstellung des vor ein paar Jahren noch unangreifbar scheinenden Tech-Giganten, und dieser Kampf scheint zu erstarken: Die Proteste gegen die Gentrifizierung in San Francisco sind nach Berlin übergesprungen und haben den geplanten Google Campus im Stadtteil Kreuzberg verhindert – zumindest für ein paar Jahre. Vor einem halben Jahr gab es einen weltweiten Mini-Streik, „Google Walkout“, bei dem Arbeiterinnen gegen den Sexismus im Unternehmen protestierten. Vergangenes Jahr haben Google-Arbeiter außerdem eine Kooperation mit dem Pentagon für die Entwicklung von Drohnen verhindert, die durch künstliche Intelligenz gesteuert werden.

All diese Kämpfe zeigen, was möglich ist, wenn sich Arbeiter organisieren. Möge der Funke bald auch auf andere Tech-Unternehmen überspringen! Der Lack von Googles Image scheint jedenfalls endlich ab.

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