Alles beginnt in einem Videospielladen im englischen Nottingham. Sonst nur bekannt durch die Legende des barmherzigen Banditen Robin Hood, wird dort Ende der 1980er-Jahre das erste Kapitel einer ungewöhnlichen Gaming-Erfolgsgeschichte geschrieben. Ungewöhnlich, weil weiblich. Kurz vor dem Abitur nimmt Debbie Bestwick einen Aushilfsjob in dem Spieleladen an. Was als Sommerjob beginnt, wird zur Berufung. Bestwick ist mit Videospielen aufgewachsen. Aber was sie wirklich interessiert: Das Geschäft hinter den Games. Als Teenager verschlingt sie Bücher von Richard Branson, Gründer des Mega-Konzerns Virgin.
Von der Schulabbrecherin zur CEO
In jenem Sommer kehrt sie gar nicht erst zurück auf die Schulbank. Mit 17 Jahren stopft sie all ihr Hab und Gut in einen Müllb
in einen Müllbeutel und verlässt ihr Zuhause in einer Sozialwohnungssiedlung. Rückblickend nennt sie sich in Interviews selbst „eine Überlebende“. Später wird sie es zur CEO eines der erfolgreichsten Publisher in der Videospielwelt bringen. Doch wieso ist ihr rasanter Aufstieg Ende 2023 vorbei?Innerhalb weniger Monate nach dem Schulabbruch wird Bestwick Geschäftsführerin des Videospiele-Ladens. Schließlich verkauft sie den an Microbyte, eine britische Videospiel-Einzelhandelskette – dort wird sie Sales Managerin. Gegenüber der Financial Times sagt sie über ihre Zeit bei Microbyte: „Der Erfolg, den ich heute habe, ist zu großen Teilen meiner Erfahrung im Einzelhandel geschuldet.“ Ihre wichtigste Erkenntnis: „Zu begreifen, wie wichtig es ist, seine Kunden zu kennen.“Vorläufer „Total Wormage“Michael Robinson, Microbytes damaliger Hauptanteilseigner, erkennt Bestwicks Potenzial rasch. Und setzt sie als Co-Chefin seines brandneu gegründeten Games-Unternehmens Team 17 ein. Der Auftrag: profitable Spiele auf den Markt bringen. Der große Wurf gelingt 1995.Auf der European Computer Trade Show im Londoner Herbst 1994 schleppt ein junger Entwickler namens Andy Davidson einen ziemlich bizarren Spieleprototypen von Messestand zu Messestand. „Total Wormage“ nennt er sein Spiel. In dem kämpfen Cartoon-Würmer mit riesigem Waffenarsenal gegeneinander. Bazookas, Granaten, Luftangriffe, Schafe werfen – alles ist möglich. Aber Davidson hat kein Glück. Alle Publisher, denen er das Spiel vorstellt, winken ab. Bis er an den Stand von Team 17 kommt. Bestwick macht Davidson noch vor Ort ein Angebot, benennt das Spiel um in Worms. Der Rest ist Computerspielgeschichte.Alleinige Team-17-ChefinDer anarchische Destruktions-Humor, gepaart mit den in den Nachfolgespielen immer absurder werdenden Waffenarsenalen macht das Spiel zum Hit. Allein im ersten Jahr verkauft es sich mehrere Millionen Mal. Heute gilt Worms als Teil der Popkultur und als Klassiker des Videospielkanons. Über 25 Jahre lang bleibt das Franchise eine Cash-Cow, die sich profitabel melken lässt. Und Debbie Bestwick endgültig an die Spitze katapultiert. „Worms hat mein Leben über Nacht komplett geändert“, hat sie selbst mal gesagt.Der Durchbruch von Worms fällt mit der Geburt ihrer Tochter zusammen. Zwei Wochen nach der Geburt kehrt sie an den Schreibtisch zurück. Doch der plötzliche kommerzielle Erfolg wird für Team 17 zur Herausforderung. Bestwick und ihr Team sind gerade Anfang zwanzig – „Kids“, wie sie sagt. In den ersten Jahren wird viel Geld verschwendet. Erfolglose Spieleprojekte wechseln sich ab mit erfolgreichen Worms-Fortsetzungen. Ein Auf und Ab. Als 2009 ihr Sohn geboren wird, entschließt Bestwick sich zu einem radikalen Schritt: Sie kauft die Geschäftsanteile von Robinson und wird alleinige Geschäftsführerin von Team 17. Gerade zur rechten Zeit.Bestwick investiert gezielt in vielversprechende Spieleprojekte außerhalb des Worms-Universums. 2015 gelingt mit dem Gefängnisausbruchsimulator The Escapist ein Überraschungshit. Team 17 verleibt sich immer mehr Spielestudios und -publisher ein. 2018 gelingt der Sprung an die Börse. 2022 zählt das Unternehmen fast 400 Angestellte und hat sich damit innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt. Der Börsenwert liegt bei umgerechnet rund 260 Millionen Euro. Bestwicks Geschäftsanteile sind etwa 115 Millionen Euro wert. Geld habe sie aber nie interessiert, sagt sie.Hungerlöhne und SexismusIrgendwann werden Risse in der schillernden Selfmade-Geschichte deutlich. Während sich Bestwick in Interviews selbst als „nicht-materialistisch“ bezeichnet und behauptet, das Teuerste, was sie sich in den letzten Jahren geleistet habe, sei ein Secondhand-Auto gewesen, wird Kritik laut: Bei Team 17 seien unbezahlte Überstunden, Hungerlöhne und ein teils sexistisches Arbeitsklima an der Tagesordnung. Im Oktober 2023 gibt Team 17 bekannt, Stellen abbauen zu wollen – jeder dritte Arbeitsplatz sei gefährdet. Debbie Bestwick wird auch zurücktreten als CEO – am 1. Januar 2024 wird sie ersetzt.Für den Anteil der Frauen in der Spielebranche ist ihr Ausscheiden ein Schlag. Während sich der absolute Prozentsatz der beschäftigten Frauen in den vergangenen Jahrzehnten steigerte, ist der Anteil der Frauen in Führungspositionen zuletzt gesunken.