Abgesehen vom Cowboyhut steht ein splitterfasernackter weißer Mann im Wilden Westen. Im Hintergrund: Pixel-Kakteen. Rechts im Bild: eine indigene Frau, dunkle Hautfarbe, Feder im Haar. Gefesselt an einen Marterpfahl. Ebenfalls nackt. Im Atari-Videospiel Custer’s Revenge von 1982 steuert man einen Cowboy. Ziel: durch Pfeilhagel zu der festgebundenen Native American gelangen und mit ihr Sex haben. Das Spiel ist kommerziell erfolgreich, trotz des schon damals laut werdenden Vergewaltigungsvorwurfs.
Erste Spiele mit pornografischen Inhalten gab es schon in den 1980er Jahren. Bis heute gilt ähnlich wie in der Porno-Filmindustrie: Der männliche Blick gibt die Richtung an. Häufig in seiner misogynen Ausrichtung, verstärkt durch Gewaltästhetiken. In Grand Theft A
n. In Grand Theft Auto V kann man Sex mit Prostituierten haben und sie danach umbringen. Im von der Vertriebsplattform Steam mittlerweile verbannten Spiel Rape Day von 2019 spielt man einen vergewaltigenden Massenmörder.Vollbusige, leicht bekleidete Frauenfiguren sind in Spielen längst nicht passé. Aber es gibt Bewegungen, die sich einig sind: Schluss mit dem „male gaze“! Dieser Wandel begann in der US-amerikanischen Porno-Filmindustrie.Ein Penis als PistoleSeit den Feminist Sex Wars in den USA der 70er und 80er Jahre entwickelt sich aus dem sex-positiven Feminismus eine Strömung, die mit Porno-Routinen bricht. Damals stehen sich zwei feministische Fronten gegenüber. Die einen sprechen sich gegen Pornografie aus – als pauschales Einfallstor für die Abwertung von Frauen. Die anderen plädieren für sexuellen Pluralismus und für (feministische) Pornografie. Heteronormative Bild-Selbstverständnisse werden gebrochen, unterrepräsentierten sexuellen Identitäten wird Raum gegeben. Die Arbeitsbedingungen sollen verbessert, faire und gleichberechtigte Bezahlung garantiert werden. Schon in den 1980er Jahren entstehen Initiativen wie die Gruppe Club 90 in New York City. Von Anfang an entwickelt sich der feministische Porno Hand in Hand mit queeren Bewegungen.War die bisherige Kameraführung in der Porno-Ästhetik vor allem auf den Blick des Mannes gerichtet, ändert sich das nun. In den 1990er Jahren greifen die feministischen Porno-Bewegungen der Indie-Szene auf den Mainstream über. Etablierte Filmstudios produzieren Pornofilme für Paare. Weibliche und queere Sexualität gerät mehr und mehr in den Fokus. Mit zeitlichem Versatz folgt auch der europäische Markt in den 1980er und 1990er Jahren der US-amerikanischen Entwicklung. Akteure wie die Filmemacherin Erika Lust pushen die Bewegung weiter. Für noch mehr Anerkennung sorgt, dass es mittlerweile Preise für feministische Pornografie gibt. Der Feministische Porno-Filmpreis Europa PorYes etwa zeichnet seit 2009 in Berlin Regisseur*innen des Genres aus. Wo die Filmindustrie schon ein Stück weiter ist, hinkt die Spieleindustrie noch hinterher.Es gibt eine umtriebige Spielecommunity rund um feministische und queere PornogamesGerade im Mainstream der Videospiele ist Sex weiterhin ein Thema, um das lieber ein Bogen gemacht wird. Zuletzt wagte das Blockbuster-Rollenspiel Baldur’s Gate 3 es, bei der Spielfigur-Erstellung Brüste, Penis und Vagina auswählen zu lassen. Das sorgte für Schlagzeilen in der Spielepresse. Vereinzelt ermöglichen AAA-Spiele wie Dragon Age 2 oder The Last of Us 2 die Darstellung queerer Beziehungen und Sexualität. Wo aber bleibt die feministische Games-Porno-Bewegung analog zum Film? Und warum ist das überhaupt relevant?Weil die Games-Branche den Film längst an Einfluss überholt hat. Allein 2021 erwirtschaftet der Spielemarkt weltweit 180 Milliarden US-Dollar. Auch nach dem pandemiebedingten Games-Boom verdient die Spieleindustrie mehr als Hollywood und die Musikindustrie zusammen. Weltweit spielen rund drei Milliarden Menschen Games. Die Industrie ist längst das goldene Kalb der Unterhaltungsindustrie. Und tatsächlich gibt es eine umtriebige Spielecommunity rund um feministische und queere Pornogames.Größen dieser Indie-Szene sind etwa Christine Love und ihre erotische Games-Komödie Ladykiller In A Bind von 2016 oder Angela Washkos The Game: The Game. Im deutschsprachigen Raum hat Spieleentwicklerin Lea Schönfelder mit Ute 2011 ein wegweisendes Sex-Spiel entwickelt. Die titelgebende Protagonistin wird von ihrer Großmutter zu Beginn des Spiels auf eine Mission geschickt: vor der Heirat mit so vielen Männern Sex zu haben wie irgend möglich.Von „Fuck everything“ bis „Lesbian Spider-Queens of Mars“Auch Rapperin und Spieleentwicklerin Lena NW alias Fellatia G ist aktiv in der Szene und hat seit 2014 gleich drei erotische Spiele entwickelt. In einem davon, Fuck Everything, ist der Name Programm. Man kann einfach alles aufreißen: Menschen, Tiere, Monster, Gegenstände. Zwar gibt es mittlerweile im Indie-Bereich viele Spiele jenseits heteronormativer Vorstellungen. Aber: „Eine homogene feministische Porno-Bewegung innerhalb der Spieleindustrie kann ich bislang nicht erkennen“, meint Lena NW.Ganz ähnlich sieht das Anna Anthropy. Der Vielfalt tue das aber keinen Abbruch: „Es gibt eine ganze Menge queerfeministischer Pornospiele!“ Anthropy hat sich unter anderem mit dem Hypertext-Spiel Queers in Love at the End of the World und dem an Arcade-Spielen orientierten Erotik-Game Lesbian Spider-Queens of Mars einen Namen gemacht. Ein großes Problem sieht sie in den restriktiven Richtlinien vieler Vertriebsplattformen: „Viele Plattformen verbieten erotische Spiele. Zuletzt etwa die beliebte Plattform Game Jolt.“Mit moralischen Bedenken hat das nach Ansicht der befragten Künster*innen aber wenig zu tun. Robert Yang, der für queere, explizite und oft gesellschaftskritische Sex-Spiele wie The Tearoom, in dem Penisse zu Pistolen werden, bekannt ist, findet klare Worte: „Seien wir doch mal ehrlich: Diese Verbote sind nicht irgendeiner moralischen Überzeugung geschuldet, sondern allein der Tatsache, dass an den Entscheidungspositionen dieser Großkonzerne habgierige Leute sitzen, die sich denen beugen, die am lautesten und reichsten sind – und das ist derzeit eben die misogyne Anti-Sex-rechtsaußen-Bewegung.“Pornografische Inhalte gelten nach wie vor als anrüchig. Das, so Lena NW, ist ein Grund für den schwierigen Stand von Pornospielen: „Unternehmen wie Microsoft Xbox, Nintendo oder Playstation vermarkten ihre Konsolen und Produkte gezielt an Kinder und Jugendliche. Ich denke, da steckt auch viel kalkulierter Puritanismus dahinter – dass man mit erotischen Spielen gar nicht erst in Verbindung gebracht werden will“.Die Konsequenz: Die Indie-Szene rund um feministische und queere Pornospiele sammelt sich auf vergleichsweise liberalen Plattformen wie itch.io. „Da veröffentliche ich auch selbst“, sagt Anna Anthropy. „Die erlauben ausdrücklich erotische Inhalte, und das sorgt dafür, dass es dort derzeit eine aus meiner Sicht großartige kreative Vielfalt von feministischen, queeren und trans-Pornospielen gibt.“ Auch Nina Freeman betont die Bedeutung der Plattform: „Die Indie-Porno-Szene dort ist riesig und sehr lebendig.“ Freeman hat sich mit sexpositiven Spielen wie How do you do it? einen Namen gemacht.Ist Gewalt besser als Sex?So vielfältig die Indie-Porno-Szene auch ist – sie bleibt Indie. Das heißt für viele Entwickler*innen: unbezahlte oder Low-Budget-Projekte sowie prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse. Das ist umso bedenklicher, als aktuelle Statistiken zeigen, dass es vor allem Indie-Entwickler*innen sind, die für den Anstieg der Repräsentation von queeren und feministischen Themen innerhalb der Branche verantwortlich sind.Für einen wirklichen Wandel bräuchte es ein Ende der Doppelmoral. „Wie kann es sein, dass explizite sexuelle Darstellungen immer noch als inakzeptabel gelten, wo es seit den Anfängen der Videospiele völlig in Ordnung ist, massenhaft Gewalt zu zeigen?“, fragt Lena NW. „Ist es nicht traumatischer, eine Schießerei mitzuerleben, als im Park zufällig zwei Menschen zu sehen, die Sex hinter einem Baum haben?“