Queere Menschen in der Gaming-Szene: Die Indie-Revolution
Gaming Kleine Studios wie Bytro aus Hamburg kreieren Spiele für die queere Szene. Die ganz großen Player schwenken alljährlich einmal mit ihren Pride-Flaggen. Warum das nicht reicht
Jamie Elms, trans Frau und Content Producer beim Hamburger Spielestudio Bytro, findet deutliche Worte: „Viele Games-Unternehmen sind toxische Jungsclubs. Das ist eine Kultur, die endlich aufhören muss.“ Frauen sind mit rund dreißig Prozent innerhalb der deutschen Spieleindustrie nach wie vor unterrepräsentiert, nicht-binäre Mitarbeitende tauchen noch nicht in der Statistik auf. Das cis Männliche gibt den Ton an. In Deutschland arbeiten mittlerweile rund 11.000 Menschen bei Spielestudios oder Publishern. An die 800 Unternehmen entwickeln oder vertreiben digitale Spiele. Neben diesen Superlativen steht allerdings eine große Unbekannte: Wie hoch ist der Anteil der Menschen aus der LGBTQIA+-Community innerhalb der Spieleindustrie? Der Freitag hat beim
e: Wie hoch ist der Anteil der Menschen aus der LGBTQIA+-Community innerhalb der Spieleindustrie? Der Freitag hat beim Bundesverband game nachgefragt – doch der muss passen.Auch die Marktforschungsdienstleister*innen bieten dazu keine verlässlichen Zahlen. Ähnlich wie das Statistische Bundesamt. Der Anteil scheint nicht hoch genug zu sein, um statistisch erfasst zu werden. Damit ist schon viel gesagt über den Stand der LGBTQIA+-Community innerhalb der deutschen Games-Branche. Weltweit sieht es allerdings nicht viel besser aus.Laut einer Studie der International Games Developers Association von 2021 identifizieren sich acht Prozent der Mitarbeitenden in der Spieleindustrie als nicht-binär, trans oder genderqueer. Aufseiten der Spieler*innen gilt das für zehn Prozent weltweit. Die erleben vermehrt Anfeindungen. In einer repräsentativen US-Studie von 2020 gaben etwa 37 Prozent der LGBTQIA+-Befragten an, aufgrund ihrer Geschlechtsidentität attackiert worden zu sein. Auch als Mitarbeitende haben es queere Menschen in der Spieleindustrie häufig schwer.„Als schwarze und queere Person erinnere ich mich an den Schock, den ich zum Beispiel bekam, als ich an meinem ersten Tag im neuen Job den Satz ‚That is so gay‘ hörte, um etwas Schlechtes zu beschreiben“, berichtet Allan Cudicio, CEO und Creative Director des Spielestudios Twin Drums mit Sitz in Berlin und Accra. „Als trans Person habe ich viele Erfahrungen mit Aggressivität in der Branche gemacht“, erzählt auch Jamie Elms. „Das reicht von so vermeintlich kleinen Dingen wie dass ich auf Events mit dem falschen Pronomen angesprochen werde bis hin zum Infragestellen, warum trans Menschen überhaupt repräsentiert werden sollten.“ Die Erfahrungen schildert sie als teilweise „entmenschlichend“.Klare Signale für die deutsche BrancheEma Bícová, die wie Elms für Bytro tätig ist, schildert ebenfalls negative Erfahrungen: „Als bisexuelle Frau hatte ich zwar bislang das Glück, keine körperliche Gewalt erleben zu müssen. Drohungen und Mikroaggressionen kenne ich allerdings nur zu gut.“ Seit über einem Jahr arbeitet sie für das Hamburger Unternehmen. Bislang „ohne Vorfälle“. Selbstverständlich ist das leider nicht. Zwar wird die Industrie insgesamt toleranter gegenüber Menschen aus der LGBTQIA+-Community. Allerdings wiederholen viele Spieleunternehmen einfach nur verbale Plattitüden alljährlich zum Pride-Monat. Wenige bemühen sich, ein wirklich offenes Arbeitsklima zu schaffen. Und das, obwohl die Bedeutung der Diversität auch vom Branchenverband game immer wieder herausgestellt wird.„Dank des wichtigen Beitrags der queeren Menschen ist unsere Games-Kultur so viel bunter und inklusiver“, betont Geschäftsführer Felix Falk. Der Verband bemüht sich, durch Initiativen wie „Hier spielt Vielfalt“ klare Signale innerhalb der deutschen Branche auszusenden. Und tatsächlich gibt es Positivbeispiele im deutschen Raum. Unternehmen wie Bytro und Twin Drums machen es vor. „Als schwarze, queere Gründungsperson habe ich es zu einer zentralen Säule des Unternehmens gemacht, auf viele verschiedene Arten inklusiv zu sein“, so Cudicio, CEO von Twin Drums. „Eine wichtige Sache, die wir tun, ist, Inklusion nicht als selbstverständlich anzusehen, sondern sie offen zu erwähnen, wann immer es möglich ist, und uns selbst auf Vorurteile zu überprüfen.“Bei Unternehmen wie Bytro oder Twin Drums scheint angekommen zu sein, dass es nicht reicht, zum alljährlichen Pride-Monat die Regenbogenfahne zu schwenken. Sondern dass es für echte Veränderung in der Branche vor allem den Dialog braucht. Doch gerade bei den großen Playern der Branche ist das noch längst keine Normalität. Das Ergebnis: Es gibt durchaus eine aktive und lebendige LGBTQIA+-Community unter den Mitarbeitenden der Branche. Nur spielt die sich oft innerhalb alternativer Räume – vor allem im Indie-Bereich – ab. Die Geschichte von Pete Foley ist ein typisches Beispiel dieser Ausweichbewegung. „So um 2006 rum, da war ich mit ein paar Leuten, die ich noch aus dem Studium kannte und die damals schon für große Spieleunternehmen arbeiteten, Bier trinken. Und die machten sich einen Spaß daraus, mir schwulem Jungen misogyne Beschimpfungen beibringen zu wollen“, erinnert sich Foley.Der Australier ist Netzkünstler und Teil des queeren Künstler-Duos Pete Foley & Scott Ford. Mit ihrem Spiel Queer Man Peering Into A Rock Pool wurden sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Australian Game Developer Award 2022. „Schon damals wurde mir klar, dass die Spieleindustrie in vielen Bereichen eine Branche ist, in der kein Platz für mich ist. Ich kann auf jeden Fall nachvollziehen, dass sich Frauen und genderqueere Menschen da nicht willkommen fühlen.“ Mittlerweile ist Foley mittendrin. Allerdings: „Wir sind Teil der Indie-Szene in Australien. Und die ist großartig – inklusiv, alternativ, queer. Natürlich gibt es große Spieleunternehmen überall im Land, die das Gegenteil davon sind. Aber mit denen haben wir einfach nicht viel zu tun.“Oberflächliche PR-AktionenDie Indie-Szene weltweit leistet Pionierarbeit, um queere Themen voranzubringen. Spieleentwickler*innen und Künstler*innen wie Anna Anthropy, Christine Love, Robert Yang oder eben Pete Foley sind nur einige Namen einer international aktiven Szene, die Spiele in all ihrer diversen Vielfalt schaffen. Nur: Gerade die sind es aber auch, die oft unter prekären Bedingungen arbeiten und leben müssen.Die Statistik zeigt, dass queere Indie-Entwickler*innen maßgeblich für den Anstieg queerer Themen und Darstellungen in Spielen weltweit verantwortlich sind. Es sind also ausgerechnet die prekär Arbeitenden, die die Industrie insgesamt voranbringen. „Queere Menschen und Themen haben via Games ihre Stimme gefunden. Aber wir brauchen mehr Möglichkeiten. Mehr Förderung, Unterstützung“, fordert Ariel Velloso, Gründer des queeren brasilianischen Spielestudios Aipo Digital mit Sitz in São Paulo.„Gerade in den letzten fünf Jahren sind viel mehr queere Spieleentwickler*innen in die Öffentlichkeit gegangen. Das Thema ist heute viel präsenter als früher.“ Aber auch Velloso kritisiert die Oberflächlichkeit vieler PR-Aktionen: „Es muss sich schleunigst ändern, dass viele Unternehmen queere Themen nur während des Pride-Monats und mit hohlen Aktionen unterstützen.“ Niederschwellige und kostengünstige Technologien haben die Spieleentwicklung in den letzten Jahren demokratisiert.„Heute ist es für kleine, unabhängige Teams viel einfacher, Indie-Spiele zu entwickeln. Das hat dazu geführt, dass viele Minderheiten, darunter auch LGBTQ+-Menschen, ihre eigenen Spiele entwickelt haben“, weiß Allan Cudicio von Twin Drums. Diese „Indie-Revolution“ habe die Branche in den letzten Jahren verändert. Allerdings meint Cudicio: „Sie begannen auch auf einem denkbar niedrigen Niveau“.
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