"Freiheit" als geistige Leere: Das totalitäre Anlitz der Neuen Pseudo-Linken

Debatte Ein an Foucault geschulter Blick müsste dafür sensibilisieren, dass das Menschenbild hinter queering gender die ideologische Rechtfertigung für eine globale Dystopie des technokratischen Feudalismus bildet.

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Warum wirbt das World Economic Forum auf seiner Website für die Unterstützung von queerem Leben? Ein Akt moralischer Selbsterweiterung? Das WEF zögert nicht, seine Beweggründe, die LGBTQ-Inklusion zu propagieren, schwarz auf weiß zu benennen:

„There are clear business and moral imperatives for LGBTQ-inclusion in media, advertising and other communications.“

Zunächst: Eine Frage der LGBTQ-Inklusion ist grundsätzlich eine (menschen-) rechtliche und keine wirtschaftliche. Das WEF macht jedoch keinen Hehl daraus, den Menschen als homo oeconomicus einem humanistischen Menschenbild, das den Menschen noch als Zweck selbst setzt, vorzuziehen. Doch nicht nur aus Imagegründen schreibt sich der WEF den Regenbogen auf die Fahne. Die queere Anthropologie definiert den Menschen als willkürliche Konstruktion, die von der metaphysischen Kraft des Sozialen ins Leben gerufen wird. Die absolute gesellschaftliche Konstruiertheit des menschlichen Daseins lässt sich auch als Ideologie der Willkür (philos. Kontingenz) oder als Nihilismus bezeichnen. Der neoliberale Staat setzt eben eine solche Leerstelle, das spirituelle Vakuum, voraus: die Auferlegung der Kontingenz oder Zufälligkeit jeglicher menschlicher Eigenschaften ist die Voraussetzung seiner Kontrolltechnologie, eben nicht mehr die repressive Zuschreibung von (sexuierten) Eigenschaften, die von der queer Theorie jedoch als das letzte pièce de resistance anvisiert wird. Was haben queere Theoretiker verpasst?

Die Philosophin Dr. Tove Soiland (die aufgrund ihrer Kritik an der Corona-Politik einen Arbeitsplatz verlor) spricht von einem neuen gesellschaftlichen Phänomen: dem Missbrauch einer linken Wertehaltung für die Interessen des technokratischen Feudalismus, einer neuen Koalition zwischen Kapital und vermeintlich linker Ideologie. Die Gender-Standardformel erscheint als Ausdruck einer – im negativen Sinne – biederen Mentalität, die auf beschränkte Weise rechtschaffend neo-kapitalistische Strukturen ideologisch unterfüttert: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Wie der Philosoph und Publizist Michael Andrick in einem Interview äußerte: angesichts größter Absurdität und in diesem Fall absurd auffälliger Scheinheiligkeit, helfen manchmal nur die Mittel der Parodie, der Satire und der Polemik.

Das neue verheerende Macht-Bündnis: technokratischer Feudalismus im Kostüm einer vermeintlich linken, pseudo-solidarischen Wertehaltung.

Die Oligarchen des globalen Großkapitals und ihren immer höriger werdenden Handlangern: Big Government inklusive politischer Metastrukturen wie WHO, WEF, NATO, EU, UN etc., Big Finance, Big Tech und anderen Großkonzernen operieren über eine Neue Koalition. Totalitäre Machtsicherungsstrategien kommen nicht mehr von Rechts, sondern tragen das Gewand einer vermeintlich linken Wertehaltung. Mich befiel schon immer Unbehagen angesichts queer-femistischer Theorie. Auch als ich selbst noch einige Thesen verteidigte in jugendlicher Kampfeslust und dem Übermut der Überlegenheit, die erste gesellschaftskritische Einsichten begleiten, hörte ich mich selbst argumentieren und glaubte mir doch nicht ganz. Es gibt viele Gründe für Selbstverblendung: z.B. jugendlicher Idealismus und Naivität, vermeintlich moralisch erhabene Einsichten über komplexe gesellschaftliche Fragen, auch oder gerade wenn diese mit Halbwahrheiten zu einem fragilen Kartenhaus konstruiert (!) werden. In Kombination mit dem jugendlichen und berechtigten Sturm und Drang nach Protagonismus, dem Willen zur Macht, jenem Wächter, der dem Intellekt treu ergeben ist im Bündnis mit kollektiven als auch persönlichen neurotischen Strukturen. Am Schluss bin ich aber dann doch dem Evidenzgefühl, das die Stimmigkeit oder eben Unstimmigkeit eines Gedankens oder einer These beurteilt, immer gefolgt.

Capitalism never breaks. It bends. In this Case: It queers.

Die feministische Theoretikerin Soiland macht auf einen historischen Umstand der Theoriegeschichte aufmerksam. Betrachtet man die radikale Kritik an der Heteronormativität vor dem Hintergrund von realen politischen Entwicklungen in den 90er Jahren, springe eine Koinzidenz ins Auge, „von der man sich wundern kann, dass sie bisher nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich zog.“ Die historische Synchronizität der Entstehung des Neoliberalismus und der politischen Theorie und Praxis von Queer spiegelt sich in einer allzu harmonischen Verschränkung von queerer Anti-Anthropologie und wirtschaftlicher Strategie wieder.

Die Frage, ob „die von der Geschlechtertheorie angestrebte Destabilisierung von Identitäten nicht einfach den Bedürfnissen des neoliberalen Arbeitsregimes entspreche“, wird ergänzt durch Soilands mit Blick auf Foucault formulierte These, dass das gender-Theorem, entgegen der eigenen Selbsteinschätzung, nicht als subversiv bezeichnet werden könne. Sie argumentiert mit Lacans Sprach- und Subjektverständnis. In einem Artikel merkt sie an, dass die Theorie aus Komplexitätsgründen nicht umfassend dargestellt werden kann. Wenn der Gestus der woke army auf irritierende Weise bieder bis repressiv daherkommt, erscheint dieses Phänomen umso bedenkenswerter, wenn dieser Eindruck von philosophischer Seite aus bestätigt und erläutet werden kann.

Die queere Kritik, die sich auf Butlers Interpretation von Lacan und Althusser bezieht, geht davon aus, dass die geschlechtliche Subjektpostion durch die gesellschaftliche Auferlegung einer Kohärenz sprachlich konstruiert wird. Soiland argumentiert, dass dieses Subjektverständnis in zentralen Aspekten sowohl dem Sprachverständnis Lacans als auch demjenigen Foucaults widerspricht. Dieses sogenannte französische Subjektverständnis werde gerade im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert.

Die Vorstellung eines machtkritischen, d.h. subversiven Potentials des Inkohärenten kollidiert mit einem postrukturalistischen Machtverständnis.

„Dementsprechend will dieses Laissez-faire auch das Verhalten der Individuen nicht selber leiten, sondern lediglich auf ihr Umfeld Einfluss nehmen, in einer Weise, dass deren latente Ungewissheit von sich aus das Verhalten der Individuen bestimmt. Diese Machttechnologie muss nicht nur darum besorgt sein, sich die Freiheit der Individuen zu erhalten, sondern sie wird diese als die für sie wichtigste Ressource gleich selber verordnen (2004b, 96 f.; 2004a, 76 f.; 1987, 256). Wenn Foucault also im Zusammenhang mit der neoliberalen Regulation von „Kontrollgesellschaft“ spricht und in diesem Zusammenhang von „Sicherheitstechnologien“ oder einem „Sicherheitsdispositiv“ (2004a, 96 ff), so meinen diese Begriffe gerade nicht eine rigide Kontrolle der einzelnen Individuen, sondern ganz im Gegenteil die aktive Schaffung von Kontingenzen, in welchen sich die Individuen vermittels ihrer Kreativität selbst zurechtzufinden haben.“

Die analytische Leerstelle, die dem Individuum auferlegt wird, wird als "Freiheit" verkauft, die in der Durchkreuzung von vermeintlich eindeutigen, sexuierten Subjektpositionen einer binären, heterosexuellen Matrix ihre höchste Vervollkommnung sucht - sie ist jedoch eigentliche der Dreh- und Angelpunkt neoliberaler Machtausübung.

Nicht mehr die Auferlegung einer Kohärenz, sondern die Auferlegung einer sinnlosen Willkür ist das Korrelat zu einer Kontrolltechnologie des neoliberalen Staates.

Das zentrale politische Instrument des queeren Liberalismus ist ihr vehementes Eingreifen in die Sprache. Diese folgt logisch aus den (fraglichen) Grundannahmen, dass die Auferlegung kohärenter geschlechtlicher Positionen durch den sprachlichen Diskurs generiert wird, über diese Anrufung sich der Körper wie magisch manifestiert und dabei eine staatliche Disziplinierung der Seele stattfindet. Außerhalb dieser sozialen Konstruktionskraft gibt es nichts und jede Benennung von allgemeinen Charakteristika ist eine "Vereigenschaftlichung", also eine - Achtung Schreckgespenst - Essentialisierung. Frau Soiland geht, trotz ihrer Kritik am queer-Feminismus ebenso davon aus, dass es keine seelische Rückbindung, Verflochtenheit an die biologischen Eigenschafen unserer geschlechtlichen Körper gäbe. Ist die Angst doch so groß hier die queere Konstruktionsphilosophie in Frage zu stellen? Denn genau an diesem Punkt gewinnt das Wesen der queeren Anthropologie ihr Profil. Vor dem Hintergund, dass gerade durch diese verordnete Willkür technokratische Machttechnologie operiert, erscheint das staatlich empfohlene Gendern der Sprache als neokolonialistische Praxis, die ein kulturelles Erbe im Namen eines neoliberalen Nihilismus, wie Andrick es formuliert: "ideologisch überfachtet". Der Geist einer Sprache wird mit beiläufiger Abfälligkeit und Ignoranz behandelt. Ein jahrtausende altes Kulturgut wird im Namen der Bedeutungslosigkeit ideologisch verformt.

Die ideologische Instrumentalisierung der Sprache durch das Gender-Diktat dient der technokratischen Kontrolltechnologie

Die Schaffung von Bedeutungs- und Sprachlosigkeiten zeigt sich auch in der theoretischen Strömung des Neuen Materialismus, einer nahen Verwandten des queeren Liberalismus, der sich programmatisch weigert, im Namen der Kritik am Anthropozentrismus die Frage nach der Kategorie Mensch überhaupt noch zu stellen. Wenn bereits das Fragen als Ausdruck von potentieller Diskriminierung gesehen wird, ist eine Rückeroberung des Wortes im Sinne seiner wertneutralen Bedeutung sinnvoll: lat. discrīmināre ‚trennen, absondern, unterscheiden‘. Auch hier trägt die Erzeugung von analytischen Leerstellen dazu bei, dass, mit der Überwindung des Menschlichen im Namen der individuellen Freiheit eine Sprachlosigkeit entstehe, aus der, laut Pia Garske „die Unmöglichkeit erwächst, real existierende Ungleichheiten und Ausbeutungsverhältnisse zwischen Menschen noch benennen zu können.“ Doch nicht nur das: Einen Menschen durch mehr weniger subtile Schmähung in die Sprachlosigkeit zu treiben und seinen Selbstausdruck zu verunsichern, ist ein wuchtiges Mittel, seine Seele zu brechen. Das gender-Diktat greift in die Subjektbezeichnung ein. In dem es die vermeintlich kohärenten binären Positionen durchkreuzt und so vermeintlich befreit, wird - Foucaults Analyse entsprechend - ein Raum der Bedeutungslosigkeit geschaffen, der sich den europäischen Wert der Autonomie pervertiert aneignet, die Ermöglichung einer individuellen Selbstbestimmung vorgibt. Dabei ist die durch den Unterstrich erzeugte Leerestelle das Zeichen einer abgründigen Bedeutungs- und Sprachlosigkeit des sekularen Totalitarismus.

Die Ideologie des Transhumanismus hat an die Stelle einer "Erlösung des Ich", die "Auflösung des Ich" gesetzt.


Anti-humanistische Wissenschaftsphilosophien der Gegenwart, ob kritisch oder unkritisch, sind ein Frontal-Angriff auf den sakralen Raum der abendländischen Kultur: die Würde des Selbst, das integere Ich des Individuums, das menschliche Wesen als zentraler Träger von Erkenntnis und Selbstbestimmung, von Freiheit und Verantwortung.

Das Trans-Präfix ist das Leitmotiv des technokratischen Staates. Er steht für den systematischen Missbrauch und die Verdrehungen der zentralen Ideen und Werte europäischer Kultur. Die faustische Grundidee Europas, liegt in der Suche des Menschen nach wahrer sittlicher und seelisch-geistiger Entwicklung aus dem Ich heraus, und schließlich in der Überzeugung, dass er zur Transzendenz seiner Natur durch Kultur fähig sei. Diese Form individueller Transzendenz (Individuation) umfasst im Kern die Fähigkeit zur objektiven Selbsterkenntnis, Welterkenntnis und Willensfreiheit durch Selbstbestimmung.

Transhumanismus mag davon nur die radikalste Form dieser Gesinnung darstellen, dennoch nicht zu radikal um salonfähig zu sein in gar nicht so unwichtigen internationalen Foren wie dem WEF und den zentralen öffentlichen Medien. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das Präfix Trans- schließlich in aller Munde ist durch drei große Schlagworte: Transgender, Transhumanismus und Great Transformation. Diese drei versprechen uns alle weltlichen und menschlichen Probleme zu lösen bzw. zu transzendieren, inklusive das religiöse Vakuum zu füllen oder das pluri-spirituelle Chaos zu ordnen (ein bisschen Yoga, Meditationsapps gegen Stress und Weihnachten in die Kirche). Diesmal aber durch staatliche Interventionen (Gewalt?) hauptsächlich materielle Technologien und Methoden, statt wie in demokratischen Gesellschaften und Zeiten postuliert, durch eine vom Individuum und von Institutionen ausgehende Läuterung der menschlichen Natur durch geistige Tätigkeiten wie Kunst, Wissenschaft, Spiritualität (darf man Religion sagen?) und andere erbauende, erziehende Wege von Bildung und Kultur. Entwicklung aus dem schöpferischen Geiste des Menschen, statt Entwicklung aus dem seelenlosen maschinellen Surrogat des Geistes.

Im Binnendiskurs der Anti-humanistischen Wissenschaftsphilosophien grenzt sich der kritische Posthumanismus dezidiert vom Transhumanismus ab. Die rhetorischen Abmilderungen ändern jedoch nichts an der gemeinsamen anthropolgischen Tiefenstruktur. Zentrale Wesenzüge des Menschen werden negiert: Zum einen die Fähigeit zur objektiven Selbst- und Welterkenntnis durch die Etablierung des wissenschaftlichen Paradigmas des Anti-Essentialismus und damit dem Einzug des Begründunsgrelativismus. Zum anderen die Verteuflung des s.g. humanistischen Exeptionalismus, der Ablehnung jeglicher vertikaler Umwertungsprozesse und der Anbetung rein horizontaler Gleichwertigkeit - unter der Überschrift des More-than-human soll die Verwandschaft und Gleichheit des Menschen zu Tier, Umwelt aber auch Technik ins Bewusstsein gehoben werden, epistemologische und politisch-moralische Ebenen werden hier in ein unstatthaftes zweckrationales Verhältnis gezwungen. Ontologisch, d.h. die Auffassung der Wirklichkeit betreffend, wird die Abgrenzung zwischen Mensch und natürlicher und technischer Umwelt mit einem resignierten Schulterzucken aufgelöst. Das bedeutet, man wird ermutigt das angeblich Unveränderliche auf der bildungsbürgerlichen Yogamatte ganz buddhistisch bejahend hinzunehmen, und einfach naiv-optimistisch das Beste daraus zu machen, nach dem Motto Chancen und Risiken der alternativlosen, aufkommenden Regulierung der Menschheit durch die zentral organisierte algorythmusgesteuerte digitale Kontrolle aller wesentlichen menschlicher Lebenswelten und der Verabschiedung des humanistischen Menschenbildes als Orientierung gebende und verbindende Instanz des Westens. Grundsätzlich werden alle begrifflichen und materiellen Grenzen als sozial konstruierte Illusionen (Maya) und nicht als wenigstens teilweise notwendiges und gesundes Moment einer seelisch-geistigen Freiheit, sondern - infantil gewendet - nur als zu dekonstruierendes Repressionsmittel und angebliche Ursache aller Übel der "Gesellschaft" gesehen. Die Besonderheit des Selbst, das Exeptionelle des Menschen wird nur noch als narzissisch verzerrtes Selbstüberhöhung gesehen, nicht mehr als einfache Tatsache, die noch lange nicht oder die gerade nicht zu Selbst- und Fremdausbeutung führt.

Auch der Philosoph Oliver Müller bezeichnet das Menschenbild des Transhumanismus als eine Agenda, die mit der Verbesserung des als defizient eingestuften Wesens Mensch in letzter Konsequenz seine Selbstabschaffung zum Ziel hat.

"Der Transhumanismus kann meines Erachtens nicht verstanden werden, wenn wir nicht die Reflexionstraditionen in den Blick bekommen, die der Transhumanismus aufgreift, um sich diese in szientistisch pervertierter Form anzueignen."

Der neoliberale Staat als auch der Anti-Essentialismus als politische Epistemologie schließen sich nur vordergründig an die zentrale westliche Denktradition der Selbstbestimmung an - die Wirklichkeitsauffassung und anthropolologische TIefenstruktur stehen in krassem Gegensatz zu den alteuropäischen Denkfiguren der individuellen Freiheit. Der Anti-Essentialismus als politische Epistemologie und somit die gender-Standardformel entfalten eine Stimmigkeit nur innerhalb eines bestimmten weltanschaulichen Bezugsrahmens, den man als szientistischen Materialismus bezeichnen kann. Die Tradtion des westlichen Transzendenzbegehrens (Selbstüberschreitung) wurde in der alteuropäischen Linie immer vor dem Hintergrund eines seelisch-geistigen Wesens des Menschen charakterisiert und demenstprechend als seelisch-geistige (Selbst-)Erlösung oder -Bestimmung erfasst. Die transhumanistische oder queere Selbsterschaffungsphantasie, welche die phyische Grenze, die sich im Tod vollendet, glaubt oder hofft überwinden zu können und darin den Ausdruck der menschlichen Freiheit zu finden, sei eine "Leugnung des menschlichen Wesens, da sie der ‚Bedingtheiten‘ der conditio humana und der existentiellen Grenzsituationen letztlich entkommen will."


Die Aufgabe, der Komplexität des menschlichen Wesens wirklich gerecht zu werden, wird unterschätzt. Haben wir die falschen, reduktionistischen Begriffe und Konzepte, verbleib die Gesellschaft im Chaos.

In einem Wort: der Mensch kann sich nicht selbst erschaffen, aber er kann sich moralisch entwickeln oder auch erlösen. Vieles ist ihm gegeben, unter Anderem sein Körper, damit auch sein Geschlecht, sein Temperament, seine Intelligenz - auf diese Begrenzung muss sich der Mensch beziehen, an dieser Begrenzung wächst er, plastiziert, alchemisiert er sich und in dieser Begrenztheit muss er und will er leiden und durch das Feuer der Wahrheit gehen. Und eine Grenze ist gerade nicht der endlosen Diversifizierung auslieferbar, wie vom queer-Feminismus gefordert und behauptet wird und so weiterhin am Altar des freudschen Prothesengottes betet. Eben gerade keine Auflösung der Grenze, am Besten durch Technik. Da ist eine Grenze - oder: Mein Körper ist weiblich - Grenze. Diese Grenze gilt es anzunehmen um sie zu einer neuen Grenze zu alchemisieren, aber nicht aus dem Elfenbeinkeller pseudo-emanzipativer Theoriebildung heraus mental zu dekonsturieren, nach dem Motto: wenn ich nicht mehr hinschaue, löst sich die Sache auf. Das ist die conditio humana. und in dieser auch physischen Enge wird moralische, geistige, seelische Freiheit erst zu der großen Aufgabe, die sie ist, wird der Reiz der Freiheit überhaupt ein existenzielles Anliegen. Aber dafür müsste anerkannt werden, dass der Mensch nicht nur ein physisches, sondern ein seelisches und ein geistiges Wesen ist. Dass der physischen Grenze, zuletzt der Tod als der Moment der geistigen Geburt verstanden wird, schon im Leben. Und gerade die humanistischen Denktraditionen, welche ein solches Menschbild noch eher charakterisiert haben, werden ironischerweise durch die Ätzarbeit der feminstischen, kritischen oder unkritischen post- und transhumanistischen Wissenschaftsströmngen frontal angegriffen. Die absurde Behauptung von Geschlechtervielfalt ersetzt, was man eigentich mal Persönlichkeit nannte. In dieser Logik sind 72 Geschlechter (?) ein Witz. Es gibt natürlich soviele "Geschlechter", d.h. Persönlichkeiten, wie Menschen, d.h. über 8 Millarden. Aber warum wählen wir nicht ein Modell, das die Wirklichkeit sinnvoller beschreibt? Zum Beispiel: Zwei Geschlechter und unendliche Persönlichkeiten. Aber das passt dem materialistischen Selbsterschaffungspostulat und dem inflationären Individualismus der neoliberalen Kontrolltechnologie leider nicht in den Kram.

Der gender-Unterstrich ist quasi die konkrete Poesie des Neoliberalismus.

Dass es sich bei dieser Leere um eine Pseudo-Freiheit handelt, habe ich versucht, weiter oben nachzuzeichnen. Die Verunsicherung und Hemmung des spontanen – freien – Selbstausdrucks schafft eine Sprachlosigkeit, die sich bis zu – der neoliberalen Kontrolltechnologie entsprechenden – selbstauferlegten Denkverboten ausweitet: In einem Seminar der Gender Studies beichtete eine junge Studentin, dass sie an sich selbst beobachtet habe, eine Frau als Frau wahrgenommen zu habe (dies eine stimmige Korrelation von Objekt und Urteil). Sie schämte sich also ihrer sündigen Gewohnheit, die gesellschaftliche Auferlegung von Kohärenz zu reproduzieren.

Trotz all dieser zum Himmel stinkenden und schreienden Allianzen zwischen pseudo-linker Ideologie und Kapital werden Einwände in einschlägigen Medien der queer-Community, soweit ich das bisher überblicken kann, auf Ängste, Ressentiments und Verunsicherungen der Kritiker zurückgeführt, die mit einem selbstgenügsamen Gestus der Bemitleidung kommentiert werden. Die führende gender-Forscherin Paula-Irene Villa meint:

„[…] aber manche trauern einer geordneten Natürlichkeit hinterher, die sie phantasieren. Da verstehe ich, dass das die Leute als Verlust empfinden. Und wenn wir an Rollenbilder denken, hat es auch etwas mit dem Prekärwerden bestimmter Männlichkeiten zu tun. D.h. Männer müssen zunehmend auch lernen, was Frauen schon lange erfahren, nämlich sich selbst als Geschlecht wahrzunehmen und als solches zu gestalten: Diät machen, Haare färben usw. Da sind ja auch neue Zwänge damit verbunden. Ich denke, da ist für die Männer in der sozialen Wirklichkeit einiges in Bewegung geraten, was sie verunsichert."

Angesichts des säkularen Totalitariusmus der queer Theorie, seiner theoretischen Defizite und der hiermit verbundenen Eignung, das neo-kapitalistische und technokratische Paradigma mit einer politischen Epistemologie zu unterfüttern, erscheint es mir kurzsichtig und nicht besonders verständig, Widerstände allein auf Diäten zurückzuführen. Und ja: Wer angesichts dieser gesellschaftlichen Entwicklung nicht verunsichert ist, hat seinen gesunden Menschenverstand an der Garderobe abgegeben. Meines Erachtens rührt der instinktive Wiederstand der Menschen, darunter Männer, die erst seit dem Feminismus entdeckt haben sollen, dass sie auch ein Geschlecht haben, nicht selten daher, dass irgendetwas nicht ganz stimmig ist an dem Ganzen. Wie meine Erklärungsversuche oben vermitteln, sind gerade neo-kapitalistische Machtsicherungsstrategien dadurch gekennzeichnet, dass sie mit Pseudo-Idealen operieren, die dem Original so nahe kommen, dass sie ein großes Verführungspotential besitzen und nicht ohne Weiteres entlarvt werden. Sogar für einen geschulten Akademiker ist die Durchdringung mehr als anspruchsvoll. Wenige Menschen haben die Ressourcen, ihre Intuition, ihren Sinn für Wahrheit, zu erklären.

„Es gibt nur einen lächerlichen DFB und zwei Geschlechter!“

Der Mensch, gerade der nicht Verbildete, hat manchmal einen besseren Instinkt für Integrität und Kohärenz, begründet diese dann leider mit den falschen Argumenten oder wendet sich einfach ab. Umgekehrt hätten die akademisch Geschulten das begriffliche Werkzeug, nur sind sie viel eher entfremdet von einem bodenständigen und menschlichen Wahrheitsgefühl. Gerade deswegen braucht es ein Band zwischen Intellektuellen und anderen Bevölkerungsgruppen, die linke Intellektuelle wie Noam Choamsky noch verkörpern. Der in der Überschrift zitierte Banner-Spruch ist definitv diskriminierend gegenüber dem Deutschen Fußball-Bund, natürlich kein Angriff auf die Trans-Jugend und bezieht sich auf die unsichtbare Tiefenschicht des queeren Liberalismus. Man muss nicht Lacans Subjekttheorie verstehen um festzustellen, dass die queere Anthropologie die Grenze zur Absurdität weit überschritten hat. Die Koalition zwischen Pseudo-Linker politischer Epistemologie und Kapital ist realer ist als deren vordergründiger Anti-Diskriminierungsagenda. Die Fußballfans wissen: Alles in allem ist das eine Farce. Lächerlich. Und da haben sie Recht, ohne eine Zeile Foucault gelesen zu haben. Aber natürlich ist es einfacher auf Fußballfans, die eher nicht im bildungsbürgerlichen Milieu beheimatet sind, herunterzuschauen und deren beherzte Direktheit als diskriminierende Geste zu diffamieren.

Junge Männer, die sich die Nägel lackieren: ästhetische Streitfrage, in den seltensten Fällen Subversion.

Der CSD tut als ob Freigeist, spielt jedoch schon lange nur noch mit dem unerfüllten Transzendenzbegehren (der spirituellen Obdachlosigkeit) und der sexuellen Hitze der Jugend, die sich in Enthemmung und Rausch erfüllen soll. Sie müssen nicht mehr nach Mallorca fahren (ist teuer und außerdem müsste man fliegen, und das heimlich) – Ballerman +, d. h. Sau rauslassen mit weißer Weste und Social Credits, gibts direkt vor der Haustür. In dem Fall kein böses Erbe der Aufklärung, sondern Erbe der 68er Bewegung, denen man doch auch vorwerfen kann, sexuelle Freiheit an die Logik des Konsums geknüpft zu haben, die sich an die Individualitätsvorstellungen des neoliberalen laissez faire nahtlos anschließt. Wie gesagt. Jeder soll machen. Und wenn es politisch, philosophisch im Namen der Freiheit geschieht? Auch das Phänomen, dass junge Männer sich die Nägel lackieren – tja, ich weiß nicht. Foucault würde sagen: ästhetisch diskutierbar, aber subversiv?: unwahrscheinlich. Ich plädiere dafür, statt Nagellack und Drogenkonsum Soilands Lesart des späten Foucault zu verstehen. Und ich gebe zu: Queere Partys sind lustiger.



Quellen

Videos:

Interview: Warum politische Moralisierung gefährlich ist - Publizist und Philosoph Michael Andrick, unter

https://www.youtube.com/watch?v=pnN2tQHUfJ8&list=PLU7BCEes4J7uliNxcqAV66AudztrdVhwf&index=8, zuletzt aufgerufen am 27.02.2024.

Interview: Feministische Trigger-Themen: Gleichberechtigung, Biologie und "Queer-Feminismus" - Dr. Tove Soiland

https://www.youtube.com/watch?v=JS4q98DVbhg, zuletzt aufgerufen am 27.02.2024.

Artikel und Monographien

Garske, Pia: What’s the „matter“? Der Materialitätsbegriff des „New Materialism“ und dessen Konsequenzen für feministisch-politische Handlungsfähigkeit. In: PROKLA. Nr. 174, Jg. 44/Nr. 1, 2014, SS. 111–129.

Meissner, Hanna: Von der Romantik imaginärer Verluste: Bringing the material back in? In: Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft. Band 23, Nr. 2, 2014, S. 106–115, S. 106.

Müller, Oliver: Von der Selbstüberschreitung zur Selbstersetzung. Zu einigen anthropologischen Tiefenstrukturen des Transhumanismus, 2021, SS. 333-350.

Soiland, Tove : ‚Gender’: Kontingente theoretische Grundlagen und ihre politischen Implikationen, o.O. [online] 2009.
- Sexuelle Differenz. Feministisch-psychoanalytische Perspektiven auf die Gegenwart, Münster 2022.

Dort finden Sie auch weitere Angaben zu Primärquellen (Lacan, Foucault etc.).

Villa, Paula-Irene: Feminismus oder Grundlagenforschung [Interview], [online] https://www.br.de/fernsehen/ard- alpha/sendungen/campus/gender-studies-paula-villa-100.html, zuletzt geöffnet am 23.08.2023.



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