Charlie Hebdo - Anschlag auf Hamburger Mopo

Je suis MOPO! Terror gegen die Pressefreiheit in Deutschland? Oder war's der Mob? Die wahnkranke Antwort auf einen "Wir sind Charlie!"-Titel ist ein zündelnder Anschlag. Je suis MOPO!

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Ich bin MOPO! Ums Eck hat man meine journalistische Kinderstube angesteckt. Vielleicht sind im MOPO-Zeitungsarchiv auch Artikel von mir verbrannt. Die Hamburger Morgenpost hatte nach dem Terroranschlag in Paris sofort drei Karikaturen von Charlie Hebdo mit dem Propheten Mohammed auf dem Titel. Schlagzeile: "So viel Freiheit muss sein!" Nun ist auf die Redaktion der Hamburger Morgenpost in Hamburg Altona ein Brandanschlag verübt worden. Ausgerechnet in dem Viertel der praktisch gelebten Nachbarschaft zwischen Menschen türkischer Herkunft, die hier seit Generationen ihre neue Heimat gefunden haben, mit den eingeborenen Hanseaten und mit den Zugezogenen aus allen Teilen der Welt, wird ein Anschlag auf eine mutige Zeitungsredaktion verübt, die ohne Zögern solidarisch Haltung gezeigt hat mit den nun insgesamt 17 Opfern des Terroranschlags auf die Satire-Zeitung Charlie Hebdo und der anschließenden Geiselnahmen im jüdischen Viertel von Paris.

Am Tag nach dem Molotow-Cocktails ins Archiv der Hamburger Morgenpost geschleudert worden sind, steht das Verlangsgebäude fest da. Der Torbogen, durch den man zur MOPO gelangt, steht für die Offenheit und Gastfreundschaft, mit der die Redaktion der gehobenen Boulevard-Zeitung die Hamburger an helleren Tagen zu ihren Sommerfesten einläd. Zum Flanieren und lockeren Gedankenaustausch von Menschen unterschiedlicher Ansichten und Herkunft. Biegt man nach dem Torbogen rechts ab, dann erblickt man, was die Terroristen (oder war es der Mob?) angerichtet haben. Die Fensterscheiben im Souterrain sind von Steinen zerborsten.

Mitten im zeitgeschichtliche Archiv der MOPO haben die bewahrten Inhalte arg gelitten am kranken Fegefeuer religiösen Wahns. In diesen Räumen habe ich Anfang der 90er Jahre als freier Musikjournalist häufig Zeit verbacht. Damals war's der "Kulturkeller", wo die Musikseite MOPOP gemacht wurde, eine der wenigen bis heute verbliebenen Kleinode für Plattenkritiken, Konzertberichte und Musikerinterviews, die noch täglich auf Zeitungspapier stattfinden. Da konnte man sich am Tresen (wie hieß die Dame noch?) mit belegten Brötchen ausrüsten, um damit die Waschzettel der Plattenfirmen einzufetten, die sich auf den Schreibtischen anhäuften. CD-Player mit Ohrstöpseln und Artikel Reinhacken in grünliche Monochorm-Terminals. Gut, dass die persönlichen Erinnerungen daran unbrennbar im Kopf archiviert sind. Die Gedanken sind frei, eben. Und kein Terror kann das Bewusstsein für Freiheit auslöschen, aus dem etwas veröffentlicht in die freie Welt gesendet wird. Bis zur schärfsten Satire, die die Kultur der freien Meinungsäußerung verteidigt.

Vor den Fenstern in diese Vergangenheit liegen die Haufen verbrandter Akten und alter MOPO-Ausgaben. Zusammengekehrte Scheiterhaufen, einer Hexenverbrennung der Pressefreiheit gleich. Das ist das Mittelalter, in das die aufgekläreten und weltoffenen Hamburger nie wieder zurück möchten. Entwicklungsgeschichtlich ist die Freie und Hansestadt Hamburg aus Dörfern, Bauernhöfen, Viehweiden und Handwerksmanufakturen an der Elbe über Jahrhunderte zusammengewachsen. Hamburg war immer Anziehungspunkt für Händler und Kaufleute, die als Vorleger die ersten Journale für ihre Annoncen drucken ließen, aus denen sich viel später einer der größten Zeitungs- und Verlagsstandorte Europas entwickelte. Heute ist die Stadt mit dem Sitz von Tagesschau, Spiegel Online und Der Spiegel,Gala und Die Zeit, einen der wichtigsten Medienstandorte überhaupt und ein Hort für Pressefreiheit, offenen Meinungsaustausch und Multikulti-Publikum aus aller Welt. Eben das "Tor zur Welt", das offensteht, wie der Torbogen bei der MOPO.

Die Backsteine des MOPO-Hauses stützen sich gegenseitg fest. Die Redaktion steht fest zu ihrer Entscheidung, die wuchtigen Charlie Hebdo-Karikaturen aufs Titelblatt gehoben zu haben: "Wir halten unser Titelblatt nach wie vor für richtig und für wichtig. Es ging und geht uns nicht um Provokation, sondern darum, Haltung zu zeigen. Gegen den irren Terror religiöser Fanatiker, für die Freiheit von Presse und Meinung. Daran wird sich auch jetzt nichts ändern", erklärt Chefredakteur Frank Niggemeier. Die Redaktionsmitglieder waren "bestürzt" und hatten "nicht für möglich gehalten, dass eine Zeitungsredaktion in einer so weltoffenen und liberalen Stadt wie Hamburg direkt angegriffen wird. Zum Glück waren zu dem Zeitpunkt, als Molotow-Cocktails durch die Fenster flogen, keine Mitarbeiter mehr im Haus!"

Mit der Landespressekonferenz Hamburg zusammen benannte Jürgen Heuer den Anschlag als „feigen und hinterhältigen Terrorakt gegen die Pressefreiheit“. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hat sich mit seinem Innensenator Michael Neumann persönlich ein Bild im sonst so gemütlichen Bachsteingebäude der MOPO-Redaktion gemacht , um unbürokratisch ihre Hilfe anzubieten. Jeder Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit sei ein direkter Angriff auf unsere Demokratie, sagte der Erste Bürgermeister. Scholz sicherte den MOPO-Mitarbeitern und allen Medienhäusern, die in der Freien- und Hansestadt Hamburg ihren Sitz haben, seine persönliche Unterstützung zu.

In dieser neuen Bedrohungslage befinden sich also die Hamburger Medien kurz vor der Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015. Welche Sicherheitsmaßnahmen nun neben den ohnehin für die Politiker getroffenen auch noch für die Berichterstatter im Wahlkampf zu treffen sind, darum haben sich nun Staatsschautz und Polizei zu kümmern. Nicht auszudenken, welche Auswirkungen es auf die Wahlbeteiligung haben könnte, wenn sich Nachahmer finden oder ein weiterer Anschlag dann Todesopfer fordert. Sicher werden die Briefwahlunterlagen ab jetzt vermehtt von den Hamburgern angefordert werden.

Im Wahlkampf, der dieser Tage beginnt, reagierte Scholz' politischer Kontrahent Dietrich Wersich entschlossen: "Wir dürfen uns durch solche Taten weder einschüchtern noch aufhetzen lassen." Der Vorsitzender derBürgerschaftsfraktion der CDU sagte: "Gewalt dürfe kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Die Meinungs- und Pressefreiheit ist eine unverzichtbare Grundlage der Demokratie. Diese Basis entschlossen zu verteidigen", ist die Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger.

Odernehmen wir die Äußerung der Mediensprecherin der Linken,Kersten Artus: "Wir stehen an der Seite der Kolleginnen und Kollegen der MOPO und sagen ihnen: Lasst Euch nicht bei eurer Arbeit einschüchtern.“ Alle Brüderschaftsfraktionen sind MOPO: "Dieser Übergriff zielt direkt auf die Meinungs- und Pressefreiheit - und damit auf das Herzstück unserer Demokratie. Niemand darf die Meinungsvielfalt mit Gewalt attackieren.", identifizierte sich SPD-Fraktionschef Andreas Dressel mir den Redaktionen in der Hansestadt. Katja Suding, Fraktionsspitzenfrau der FDP sprach von einem „feigen kriminellen Akt“. Ihr Pendant bei den Grünen, Katharina Fegebank, twitterte: "Was ist bloß mit der Welt los? Brandanschlag auf @mopo. Kann es nicht glauben. Bleibt stark!"


Innenminister de Maizière in Sorge

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, es sei klug, „erst Informationen zu bestätigen, wenn sie wirklich sicher sind“. Er traute sich noch nicht zu, die Motivation und Dimension des Brandanschlags auf die MOPO einzuordnen: „Der Vorfall zeigt allerdings, dass wir Grund zur Sorge haben und zur Wachsamkeit. Und bei beidem wird es bleiben.“ Der Generalbundesanwalt (GBA) hat das Verfahren noch nicht an sich gezogen, so de Maizière. Der GBA ermittelt üblicherweise, wenn die innere Sicherheit Deutschlands durch politische Straftaten oder Terrorgewalt bedroht ist.

Pressefreiheit wir von einem Anschlag also plötzlich ganz nah gertoffen. Das fühlt sich scheiße an. Ich war tatsächlich mal MOPO. Kann sein, dass im abgefackelten Zeitungsarchiv auch meine Artikel verbrannt worden sind. Die im alten Zeitungsformat vom Anfang der 90er Jahre. Vielleicht sind meine Lieblingsgeschichten in Rauch aufgeganen. Geschichten, bei denen ich zum ersten Mal dieses ganzkonktreteGefühl "Pressefreiheit" persönlich erfahren habe. Die Freiheit mein Konzerterlebnis aus der Großen Freiheit übers Telefon in den Schub zu schicken, der dann reinfließ in die Pop-Seite. Einen Augenblick kommt mir wieder alles Mögliche in den Sinn... was für eine geile der MOPO-Zeit: Interviews mit Katrina and the Waves ("Walking on Sunshine") über die ständige Reduktion auf einen Hit. Mit Justin Sullivan von New Model Army zur Unmenschlichkeit, dem zugesehenen Vöklermord auf dem Balkan und zur sozialen Ungerechtigkeit im Thatcher-England. MitSuede über Eitelkeit, Stiefelhaltung und Profilierung. Mit Achim Reichel über Zensur im Radio. Und mein Highlight (!): Mit Stephen Duffy im Taxi auf dem Weg zum fast verpassten Flieger zurück ins Industrieschornstein-verrauchte Birmingham. Bei voller Fahrt ein völlig entspanntes Interview über die unterschiedlichen Bewussteine von Land- und Stadtmenschen.

Ohne Innehalten geht Chefredakteur Frank Niggemeier zusammen mit seinen MOPO-Kollegen unbeirrt vom Terror weiter seinen Weg: "Wir beziehen weiter Stellung, wir bleiben MOPO. Und wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken für die große Welle an Solidarität, die uns gestern von Lesern, Kollegen aus der halben Welt und vielen, vielen Hamburgern erreichte. Das tut gut und das macht Mut. Merci." Dieser Solidarität schließe ich mich an. Der MOPO-Kulturkeller war mein journalistischer Laufstall, in dem ich meine Formulierungsversuche ausprobieren durfte, angeleitet von erfahrenen, menschlich zugeneigten Zeitungsprofis, die mich mit ausgebildet haben. So bin ich persönlich getroffen von diesem feigen Anschlag gegen meine ganz persönlich erlebte Pressefreiheit. Zum Glück sind meine Erinnerungen unverbrannt geblieben. Und vor allen meine Kollegen bei meiner Ex-MOPO, bei der ich kaum aus der Schule so viel ausprobieren und lernen konnte. Danke an meine MOPO mit ihrer Pressefreiheit pur. Ich bin MOPO! Je suis Charlie! Hoffentlich bleibt es so.

Oliver Barckhan

Torbogen zur Mopo

(Mit Material von dpa, MOPO, ndr.de)

Autor Oliver Barckhan lebt in Hamburg.
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E-Mail: Oliver.Barckhan@oliverbarckhan.com
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Geschrieben von

Oliver Barckhan

Oliver Barckhan, Hamburg.

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