Bloody Wednesday für die Pressefreiheit

Terror gegen Satire Who shot Charlie Hebdo? Terroristen löschen mit Kalaschnikows das Lachen der Pariser, Satiriker. Tucholsky rief: Satire darf alles. Bleistifte raus! Wir sind Charlie.

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Charlie sind wir. "Satire darf alles!"dieser Ausruf von Kurt Tucholsky hallt den explosiven Kalaschnikowsalven nach. BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! BRAKKA! Wie aus der tiefbraunen Zeit der 30er Jahre Tucholskys ins Gegenwartsbewusstein geschleudert, in das von Fremdenfeinden gebeutelte Frankreich, mitten in unser Europa. Einfach so, plötzlich.

Herz. Der feige Terroranschlag auf das berüchtigte Satiremagazin Charlie Hebdo durchbohrt den Franzosen grausam das Herz. Charlie himself, der Sheriff im Clownskostüm für ihre heilge Presse- und Meinungsfreiheit ist niedergestreckt worden. Mitten in die vergnügt-kreative Redaktionssitzung, in der mit dem Stift skizziert und formuliert wurde, brach der Tod ein. Ermordeten islamistische Terrorristen die humanistische Redaktionsmannschaft. Wer es nicht aufs Dach schaffte, hatte keine Chance, dem Tod zu entfliehen.

Angesehene Journalisten wurden zu gejagten Flüchtlingen im eigenen Haus. Mitten in Paris von 2015. Zehn Kariakturisten, Satiriker, Journalisten wurden jäh aus ihrem lebendigen Lachen direkt mundtot gemacht. Ihr Humor, ihr Witz wird nicht mehr triumphieren über Unrecht, Unmenschlichkeit und religiösen Wahn. Diese zehn Journalisten sind für immer verstummt.

Rechtschaffende Beschützer, zwei Polizisten ließen ihr Leben in Verteidigung des Wertes Pressefreiheit. Und die Terroristen überfuhren einen Passanten, der zufällig des Weges kam.

Charlie himself, der Sheriff im Clownskostüm für ihre heilge Presse- und Meinungsfreiheit ist niedergestreckt worden.

Lustig ist das nicht. Dieter Hildebrandt vollzieht gerade eine volle Drehung im Grabe. Kaum auszumalen, wie er sich jetzt zu Wort gemeldet hätte. Sicher hätte er, so typisch für ihn, seine Hände ins Gesicht vergraben und so lächelnd geheult bis seine bitteren Tränen ihm in den Mund gelaufen und der Schmerz Geschmack angenommen hätte. Dem Ex-Titanic-Chefredakteur Matin Sonneborn würgt es tiefschwarz fast ganz den satirischen Motor ab: "Das ist nicht komisch. Mit Anzeigen, Abokündigungen oder Kalaschnikow-Geballer auf Satire zu reagieren, gilt in der Szene als unfein. Unser Mitleid gilt den französischen Kollegen. Bei Titanic könnte so etwas nicht passieren, wir haben nur 6 Redakteure." Leise, traurig zollt Sonneborn mit diesem Bleistift-Kritzeln im Hals den französischen Opfern Tribut.

Das ist zum Wimmern. Aber der Terror schweißt auch ad hoc die Bruchstellen in der Nachbarepublik zusammen. Zigtausende Pariser Bürger versammelten sich zu Trauer- und Solidaritätskundgebungen. Auf dem Place de la République skandieren sie: Es lebe die Freiheit! Es lebe Charlie! Wir sind Charlie!

Wir Bewohner Deutschlands können unseren Freunden in Frankreich nur zurückrufen: Vive le Parisien ! Vive le français ! Vive l' humanité!

In dem Land der Französichen Revolution, dem Land von Voltaire und dem ersten amerikanischen Verbündeten Bejamin Franklin. Die Wiege der Menschenrechte, der modernen Demokratie. Diese Rückbezüge wollte US-Außenminister John Kerry in Erinnerung rufen, als er vor die Weltpresse trat: "Ich möchte der Bevölkerung von Paris und ganz Frankreich sagen: Wir stehen im Geiste der Solidarität zusammen. Zu unserem ältesten Verbündeten. Wir treten ein für die Freiheit. (...) Frankreich ist die Wiege der Demokratie. Dort haben viele blutige Kämpfe für die Freiheit stattgefunden. Die ermorderten Journalisten sind Märtyrer der Freiheit. "

Er, Kerry, nahm einen Stift in die Hand: "Die Terroristen haben Waffen. Wir haben einen Stift, der das Instrument der Freiheit ist. Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind die Basis unserer Demokratie. Wir werden dem Terror gegenüber niemals nachgiebig sein." Frankreich und die Welt sind schockiert, aber wir lassen uns nicht eingeschüchtern. Die freie Welt lässt sich keine unmenschliche Lebensweise aufzwingen. Die freie Presse schon gar nicht. Die Journalisten von Charlie Hebdo stehen für den unabhängigen, kritischen Geist der Freiheit. " Es ist zu bitter. Das kritische Aufgreifen von Michel Houellebecqs Roman "Soumission" durch Carlie nach seinem Primetime-Interview in den französichen Hauptnachrichten vom 6. Januar 2015 reicht letztlich aus, um tags darauf von Terroristen ermordet zu werden.

Worüber man lacht, darüber kann man anfangen zu sprechen.

Lebendige Satiriker, Karikaturisten, Whistleblower und Investigativjournalisten. Sie alle fechten stellvertretend für alle Bürgerinnen und Bürger die Freiheitsräume laufend neu aus. Zeigen mit dem Finger auf Missstände, tasten sich laufend mutig und beherzt vor in Neues, Verschwiegens oder Verdrängtes, was laut gesagt werden muss. Die Route wird markiert zur latenten Wahrheit, die längst stumm im Raum wartet. Worüber man lacht, darüber kann man anfangen zu sprechen.

Vive le Parisien ! Vive le français !
Vive l' humanité!

Erwartungstreu geht Alexander Gauland, dem stellvertretende AfD-Bundesvorsitzenden jedes Gefühl für Respekt ab. Sogar bei diesem feigen, blutigen Terroranschlag, dem heftigsten seit Jahrzehnten in Frankreich. Darf dieser Gauland sich subito als rotziger Unmensch bestätigen und die blutig getroffene Pressefreiheit so instrumentaliesieren? Darf ein AfD-Spitzenmann den toten Journalisten diese eine Nacht der Pietät rauben?

Bedient Gauland sich etwa für die Eigen-PR am Tod anderer Menschen? Darauf müsste man dem Teufel ins Gesicht kotzen. Das dumpfbraune "Wir-haben-es-ja-immer-gesagt-Reaktionär-Besserwisser-Bewusstsein" bricht den Damm und fordert so erneut die zweifelhaften Teile der PEGIDA-"Volksbewegung" zum makaberen Engtanz auf: "All diejenigen, die bisher die Sorgen der Menschen vor einer drohenden Gefahr durch Islamismus ignoriert oder verlacht haben, werden durch diese Bluttat Lügen gestraft." Das ist in Deutschland natürlich auch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Aber nicht vom guten Benehmen und einem Gefühl von Pietät.

Bernd Lucke zeigt nun "Entsetzen" über die Terrorattacke auf Charlie Hebdo. Der AfD-Chef warnte dabei vor "Pauschalverurteilungen" und rief zu "Besonnenheit" auf: "Man darf nicht die Gewalttat zweier Extremisten einer ganzen Religionsgemeinschaft anlasten, die zum Großteil aus friedliebenden, unbescholtenen Menschen besteht." Das sind zum ersten Mal ganz andere Töne von dem VWL-Professor aus Hamburg.

Exkurs: Flashback

Ein Flashback: Lange nach Luckes CDU-Austritt, aber bereits drei Jahre vor seiner parteipolitischen Wiedergeburt als AfD-Gründer, hat der ordentliche Professor zu seinem Hörsaalpublikum etwas Interessantes gesagt. Der Flashback (siehe 2:57 Minuten) ist immerhin gedacht als Lockruf für Bewerberber zur Universität Hamburg, Imageverbesserung eben. Bereits im Jahre 2010 also übte Lucke, ganz Makroökonom, den Schulterschluss mit dem damals medial toppräsenten Thilo Sarrazin (SPD). Was die Kameraperspektive leider nicht zeigt: Die Gesichter aufmerksamer Studenten in diesem Sarrazin- Moment.

Exkurs: Flashback (ENDE)


Durch das Massaker an Charlie Hebdo ist wie mit einem ice bucket full of bullets das Bewusstsein wiedererlangt worden. Sind Köpfen und Herzen nun über Nacht global feinere Antennen gewachsen? Sind nun alle weltweit achtsam bei Sendefrequenzen fremdenfeindlicher Töne? Und seien sie noch so hinterlistig platziert? Echt? Nachhaltig?

Auf dem kommenden Parteitag der "Alternative für Deutschland" möchte Bernd Lucke sein "Ermächtigungsgesetz"durchbringen und seine beiden Co-Sprecher, Sachsens AfD-Spitzenkandidatin Frauke Petry und Konrad Adam abräumen. Alexander Gauland steht als "stellvertretener Partei-Sprecher" immerhin neben Hans Olaf Henkel, der auch diesen AfD-Titel trägt.

PEGIDA mit Hitler-Zitaten

Beispielhaft verachtend ist die entlarvende soziale Medienreaktion der PEGIDA-"Volksbewegung". Die Gruppierung benutzt den Terroranschlag für ihre Anwerbung, versucht knapp fünf Stunden danach, selbst aus dem Terror Kapital zu schlagen. PEGIDA schreibt auf ihrer Facebook-Seite: "Die Islamisten, vor denen Pegida seit nunmehr 12 Wochen warnt, haben heute in Frankreich gezeigt, dass sie eben nicht demokratiefähig sind, sondern auf Gewalt und Tod als Lösung setzen! Unsere Politiker wollen uns aber das Gegenteil glauben machen. Muss eine solche Tragödie etwa erst in Deutschland passieren??? Wollen Frau Orosz und Herr Tillich immer noch am Samstag gegen Pegida demonstrieren?" Damit alles seine journalistische Redlichkeit hat, "Lügenpressen" und so, habe ich eine Anfrage an die Pressestelle von PEGIDA gesendet, die bisher unbeantwortet geblieben ist. (Stand: 11. Januar 2015, 8:20 Uhr)

Nachtrag (11. Januar 2015, 8:20 Uhr)

Die Spiegel Online-Redaktion berichtet als Vorabmeldung für ihre Printausgabe, die ab sofort immer samstags erscheint, über eine interne Facebook-Gruppe, in der Pegida-Anführer zu Hitler-Zitaten und rassistische Parolen greifen. Siegfried Däbritz, offizielles Mitglied im Organisationsteam von Pegida, beleidigt die Muslime ehrverletzend als "mohammedanische Kamelwämser" und "Schluchtenscheißer". Die auf Facebook geführten Diskussionen beweisen, dass die Gruppierung in der Anfangszeit über ihren Namen zerstritten war. Ursprünglich sollte Pegida "Friedliche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" heißen. Damit war die nationalistische Fraktion nicht einverstanden und setzte sich durch. Ein Mitlglied kritisierte: "Ich finde den Namen viel zu nett und gutmenschenfraktionskompatibel. Haben wir das nötig?? Warum muss unbedingt friedliebend rein? Europäer? Ich bin deutscher... NATIONAL ist das Wort."
Nachzulesen in: Der Spiegel vom 10. Januar 2015.

Tja, wie grenzt sich die CSU ab, deren Franz Josef Strauß sagte, rechts von der Union dürfe keine Partei Platz finden? "Wir treten nicht in einen Wettbewerb der Parolen mit diesen Gruppierungen wie AfD und PEGIDA", um sie vom Einzug in die Parlamente abzuhalten, sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer im Heute Journal auf die richtigen Fragen von Klaus Kleber. Der CSU-Vorsitzende Seehofer weiter: "Wir Demokraten müssen jetzt zusammenrücken. Auch die Muslime als Antwort auf diesem babarischen Akt.". Allerdings ergänzte Seehofer die Muslime erst auf Nachfage Klebers, der am Ende noch darauf hinwies, dass das Inteview "in voller Länge an Abend aufgezeichnet" und jetzt "so gesendet" wurde. Ein Rückbezug auf das legendäre Vorgespräch, dass dann zum Interview wurde. Kollege Kleber ist eben sehr erfrischend gewissenhaft.

!Vizekanzler Sigmar Gabriel reagierte so: "Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind in diesen Stunden bei ihren französichen Freunden. Dieser Terroranschlag wird uns nicht in unserer Lebensweise ändern. (...) Es gilt der alte Satz von Kurt Tucholsky: Satire darf alles." In diesen Tagen zeige die deutsche Zivilgesellschaft, was die Rede und Meinungsfreiheit ihr wert ist. "Was in Frankreich geschehen ist, ist blanker Terror. Das hat nichts mit einem religiösen Glauben zu tun. Das ist pure Gewalt", so der SPD-Vorsitzende.

Was wird in Deutschland passieren, wenn Michel Houellebecqs "Unterwerfung" bei uns erscheint?

Oliver Barckhan

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(Anmerk.: Kurt Tucholsky (1890 – 1935) war Freimaurer.
Am 9. Januar 2015 hatte Br. Kurt seinen 125. Geburtstag.)

Autor Oliver Barckhan lebt in Hamburg.
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E-Mail: Oliver.Barckhan@oliverbarckhan.com
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Oliver Barckhan

Oliver Barckhan, Hamburg.

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