Lexikon der kleinen Gemeinheiten

Musik Wie es der Hamburger Band Die Zimmermänner einmal gelang, dem Pop den Rockismus auszutreiben
Ausgabe 44/2014
Timo Blunck und Detlef Diederichsen (r): Die Zimmermänner
Timo Blunck und Detlef Diederichsen (r): Die Zimmermänner

Foto: Elliot Blunck

Downtown! Mitte der 60er schlichen sich die Verheißungen des Rock ’n’ Roll auch in die samtigen Harmonien der Popmusik. Beatles und Beach Boys verwischten die Grenzen, eine neue Freiheit schien geboren. Doch der Rocker wusste sehr wohl zu unterscheiden: nicht echt, Weichei, Verräter. Einer dieser Verräter, Ray Davies von den Kinks, führte seine Band vom wilden You Really Got Me zum introspektiven Augenzwinkern des Sunny Afternoon. Sich des Spagats bewusst, skandierte er: „I’m not like everybody else.“ Ein Statement war das gegen jene normierende Kraft, die auch den freien Klängen der frühen Punk-Gegenkultur bald das Suffix -Rock verordnete.

Die stilistische Offenheit der frühen Tage nutzend, zelebrierten ein paar Hamburger Teenager in unmittelbarer Nähe von Punk das Ska-Revival. Der über alle neuen Töne bestinformierte Alfred Hilsberg entdeckte sie für sein Label Zickzack. Sie debütierten als Ede und die Zimmermänner, verloren mit Ede alsbald den Ska und suchten stattdessen nach einer deutschen Popmusik, die es nicht gab.

Wer sie waren? Detlef Diederichsen, heute Musik-, Tanz- und Theaterchef am Haus der Kulturen der Welt in Berlin, der damals wie sein Bruder im Musikmagazin Sounds Texte veröffentlichte, sein Schulfreund und Palais-Schaumburg-Bassist Timo Blunck, dazu Christian Kellersmann, ein toller Saxofonist, auch bald mit im Boot: Tom Holert (heute Kunsttheoretiker) an der Trompete und eine Handvoll weitere Hochbegabte. Woran in den 70ern melodieinteressierte Liedermacher gekratzt hatten, war jetzt möglich, 1982 im Sog dezidiert antirockistischer Popmusik. Wer im Spektrum von ABC bis Aztec Camera sein Glück fand, konnte auch die Zimmermänner lieben. Popper, die ähnlich aussahen wie Blunck und Kollegen, prügelten sich mit Punkern, deren Bands dort auftraten, wo auch die Zimmermänner spielten. Nicht wie jeder andere zu sein, das vertonten die Zimmermänner auf zwei LPs und einer EP in Klängen, die den mehrstimmigen Gesang der Beach Boys, den brasilianischen Funk von Gilberto Gil und Al Greens schwärmerischen Soul mit der deutschen Sprache versöhnten. Ihre Fusion war vollkommen, keine synthetische Retro-Idee.

Sex ohne Spaß

Die fünf CDs dieses Boxsets, das ihr Gesamtwerk plus zig unveröffentlichte Stücke und einen Live-Mitschnitt enthält, bieten Popsongs in heute noch verblüffender Schönheit. Dabei erzählen sie Lausbubengeschichten, deren Ironie und Leichtigkeit ein Lebensgefühl kolorierten. Natürlich war das alles enorm downtown, eine großstädtische sophistication, die im Jahr 1982 im ersten LP-Titel 1001 Wege Sex zu machen ohne daran Spaß zu haben Beatnikikone Tuli Kupferberg paraphrasierte, um sich ein Jahr später, mit besserer Produktion, noch mehr Euphorie, aber auch erratischer, Zurück in der Zirkulation zu wähnen und 1984 auf Goethe eine komplett eigene Welt zu erschaffen.

Während die Originalveröffentlichungen Sammlerpreise erreichten und im popaffinen Japan zur Legende wuchsen, hörte man das Erbe der Zimmermänner vor allem im Norden, bei Fans wie Knarf Rellöm und JaKönigJa, bei den späten Blumfeld und im verliebten Viele Wege führen nach Rom der Hip-Hopper Fettes Brot. Man mag die Zimmermänner als vertontes Lexikon der kleinen Gemeinheiten und großen Gesten wiederentdecken oder einfach als Band, die nicht passen wollte, auch wenn Kraftwerk, Can, Fehlfarben und Einstürzende Neubauten ruhig mal was Platz machen dürfen, da oben im Konsensolymp.

Die Wäschenleinen waren lang (1980 – 1985) Die Zimmermänner Tapete/Indigo 2014

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