Playstation Fußball-Bundesliga

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Der wahre Fußballfan gilt sich selbst ja bis heute als der Phänotyp des Philosophen im Heraklit’schen Sinne, so wie er da am Rand des Spielflusses über die vorbeitreibenden Ereignisse reflektiert, mit den Stammesbrüdern über die Transzendenz göttlicher Spiel-Ideen sinniert, in der Tabellenmathematik als Sinnelixier seines Sports die mögliche Meisterschaft seines Clans antizipiert.

Doch auch das wahre Sein des Fußballspiels unterliegt wie manch anderes Liebgewordene der ‘ontologischen Drift’ durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und bald werden die AAhs und OOhs der Fans bei intuitiven Flanken und spekulativen Grätschen nicht mehr dem Spieler auf dem Feld gelten, sondern dem Mann am Joystick, der mit Hilfe der ständigen digitalen Spielanalyse die totale Ballkontrolle via Knopf im Spielerohr und kleinen Stromstößen in die Treterschenkel ausübt.

http://www.3sat.de/imperia/md/images/neueshitec/2008/06_juni/01_juni/analyse01_196x113.jpgKontrolliert wird das Geschehen von der Software ‘Mastercoach’, einem sensorikgesteuerten Analysesystem auf Basis der Echtzeit-Aufnahmen mehrerer Kameras, die das gesamte Spielfeld abtasten. Jeder Spieler wird dabei während des gesamten Spiels aus verschiedenen Perspektiven eingescannt.
Zur Zeit dient das System hauptsächlich zur nachträglichen Auswertung des Spiels, der Spieldaten und Einzelauswertungen aller Spieler. Dabei lässt sich erkennen, wie viel ein Spieler in einer Halbzeit gelaufen ist und ob er während des gesamtem Spiels eine homogene Laufleistung erbracht hat. Gelegentlich werden diese Daten heute schon dem TV-Fan eingeblendet, damit er über die aktuelle Kilometerleistung seines Lieblingsstürmers ins rechte Bild gesetzt wird. Das Spiel kann auch live auf einem Computermonitor als 2-D-Animation und als Realbild angezeigt und gespeichert werden, wobei sich etwa der Aufbau einer Viererkette während des gegnerischen Angriffes exakt nachvollziehen lässt - beim fehlerhaften Stellungsspiel des Abwehrblocks bei Zustandekommen eines Tores kann sich künftig keiner mehr rausreden.
Zudem lassen sich die als kleine Punkte dargestellten Spieler anklicken und deren Statistik zu jedem Zeitpunkt des Spiels anzeigen: wie erfolgreich ist der Spieler bei Zweikämpfen, der Ballannahme oder wie ist die Trefferquote der Freistöße. Auch die Fitnesswerte der Spieler wie Geschwindigkeit, Beschleunigung oder gelaufene Distanz bleiben den wachen Augen der Kameras nicht verborgen. Um an Taktik und Spielaufbau zu arbeiten, kann sich der Trainer zudem die Laufstrecken und das Stellungsspiel seiner Spieler in Form von Liniengrafiken anzeigen lassen. Die visuelle Darstellung zeigt also, wie der Spielaufbau zustande kam, welche Spieler welche Wege wählten. Es gibt schonungslos Aufschluss über Spielleistung, Strategie, Power und Fitness.

http://www.3sat.de/imperia/md/images/neueshitec/2008/06_juni/01_juni/analyse02_196x113.jpg Eine Geheimwaffe ist das Analysesystem längst nicht mehr. Nachdem es im Ausland bei erfolgreichen Vereinen wie Real Madrid, PSV Eindhoven, Chelsea und Liverpool bereits seit vielen Jahren Standard ist, wird es auch von den meisten Bundesligavereinen genutzt.
Dabei ist der Schritt zur Echtzeit-Anwendung während des Spielgeschehens, also die direkte Beeinflussung der Spieler von der Computer-Trainerbank, technisch prinzipiell schon möglich und wird wohl nur noch nicht gewagt, weil dabei der spontane emotionale Gehalt des Spiels den mathematischen Algorithmen geopfert werden müsste, woran sich uneinsichtige Fußball-Traditionalisten heute noch stören könnten ;-)

Immerhin scheint die digitale Spielanalyse inzwischen auch zum Haupt-Verkaufsargument bei Spielertransfers zu werden: Statt einer altbackenen Videocassette erhält der kaufinteressierte Verein einen USB-Stick mit sämtlichen Daten aller Trainings und Spiele ab dem ersten Jugend-Casting mitsamt sportmedizinischer Auswertung und einer verkaufsrelevanten computergenerierten Gesamtnote des Spielers.

Und auch dem Sportreporter (solang es ihn noch gibt) kann geholfen werden: in seiner journalistischen Sorgfaltspflicht muss er sich nicht mehr von seinem Bauchgefühl beirren lassen, sondern kann seine Unbestechlickeit durch präzise Analysedaten belegen.
Dabei gilt für ihn ebenso wie für Trainer und Fans: im Fußball hat sich’s ausphilosophiert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

oxnzeam

Notizen, Essays und Rezensionen zu Kultur, Medien, Literatur und Gegenwartsphilosophie

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