Lauschangriff 11/03

Portland, Oregon ist nicht unbedingt der Ort, an dem man moralische Abgründe vermuten würde. Der Ort ist nett und zivilisiert, aber in jeder Stadt ...

Portland, Oregon ist nicht unbedingt der Ort, an dem man moralische Abgründe vermuten würde. Der Ort ist nett und zivilisiert, aber in jeder Stadt der Welt lauert ein dekadenter Unterton. Im Falle von Portland, Oregon heißt die unbürgerliche Revolte The Dandy Warhols. Wenn Andy Warhol ein Dandy gewesen wäre, dann wäre er wie der Sänger/Gitarrist der Dandy Warhols Courtney Taylor gewesen: eitel, selbstgefällig, angetrieben vom reinen Geist des Rock´n´Roll.

Die Zeiten, als Musiker stolz erzählten, dass ihre neue Platte nicht ohne LSD hätte entstehen können, sind eigentlich vorbei; drogenbeladene Konzeptalben nur noch eine blasse Erinnerung. Aber The Dandy Warhols sind weniger eine moderne Fortsetzung der Rocktradition als ein Überblick über die Rockgeschichte: Neil Young, The Rolling Stones, Bob Dylan, Velvet Underground, T.Rex. Der Geist vieler Helden der Vergangenheit lebt weiter in The Dandy Warhols. Nicht in der Form eines Pastiche, sondern als Ehrung ihrer Vorbilder. Deshalb drückt auch das Privatleben der Band das Feeling von Woodstock aus: Eine Zeit, als es unmöglich war, eine Tasse Tee zu bestellen, ohne befürchten zu müssen, dass LSD statt Zucker hineingetan wurde.

The Dandy Warhols erzählen gerne Geschichten über freie Liebe, wilde Sexorgien und Drogenkonsum, die vielleicht sogar Ozzy Osbourne schockieren würden. Im Gegensatz zu Ozzy sehen sie aber alle noch gut aus. Sie erinnern eher an Oscar Wildes Bild von Dorian Gray. The Dandys Warhols machen, was sie wollen, nehmen, was sie wollen, zahlen aber anscheinend nicht den Preis dafür. Auf der Bühne wirken sie so eitel und kokett wie die Rolling Stones Ende der sechziger Jahre. Es ist eine Rock´n´Roll-Extravaganz, eine Übung in Selbstbeweihräucherung. Man findet das entweder irritierend oder unterhaltsam, das ist eine Frage der Perspektive. Die Keyboaderin/Bassistin Zia McCabe ist dafür bekannt, dass sie ihr Top während eines Konzertes ohne Ankündigung auszieht. Sie ist keine typische Schönheit, die mit ihrem Anblick dass männliche Publikum verwirren will; es ist eine Geste ihrer Rock´n´Roll-Freiheit, und ein Zeichen ihrer sexuellen Gleichberechtigung. Wie viele Männer ziehen ihr Hemd nach Lust und Laune aus? Dann darf sie es auch.

Dandy Warhols Songs heißen zum Beispiel Not if you were the last junkie on earth oder The Dope (Wonderful You). Das letzte Album aus dem Jahr 2000 hieß Thirteen tales from urban Bohemia, und es schien ein ganz normaler Flop zu sein: Die typische Indieband, die beim dritten Album zum großen Konzern wechselt; sie verschulden sich ohne Ende, und es endet doch in Tränen. Aber fast zwei Jahre nach dem Erscheinen der Platte wurde nicht die erste, sondern die zweite Singleauskopplung ein großer Hit weltweit. Vodaphone nahm Bohemian like you als Musik für einen Werbespot. Inzwischen kennt jeder das Lied, wenn auch unfreiwillig. Man hätte denken können, dass Vodaphone ihr Leben verändert hätte, dass The Dandy Warhols daraufhin eine ernste, langfristige Popkarriere planen würden. Aber ihre Integrität ist mit ihrem chaotischen Charakter sehr eng verknüpft. Die Band würde nie behaupten, zu elitär für den Mainstream zu sein, aber sie sind vom Naturell her zu schrill und skurril, um als dauerhaftes Popphänomen zu firmieren. Sie würden sich nicht an die Regeln halten können.

Für das neue Album Welcome to the Monkey House engagierten sie Nick Rhodes (ex-Duran Duran) als Produzent. Es mag sein, dass es ihr Ziel war, ein Mainstreammeisterwerk wie Duran Duran´s Planet Earth zu machen, aber das ist ihnen nicht gelungen, weil sie ihr hippieartiges, freies Denken nicht lassen können. Sie haben auf ihre Gitarrensoundmauer verzichtet und sie durch Keyboard und Elektrogeräusche ersetzt. Die Songs sind oft stark melodisch, und durchaus gelungen, aber ohne die Gitarren im Vordergrund wirken sie auf seltsame Weise dünn und unausgereift, als ob es sich um Demos handeln würde. Obwohl angeblich gerade das Gegenteil der Fall sein sollte. Aber man kann einem alten Hund keine neuen Tricks beibringen, und die Dandy Warhols haben eine starke Persönlichkeit, die man nicht so leicht umformen kann.

Aktuelle Tourdaten: 4.Juni Berlin; Casino. 10. Juni Hamburg; Große Freiheit.

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