Relax-it's only your job

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''Ja, aber: heutzutage muss man doch froh sein, wenn man einen Job hat...''

(allerorts zu hoerende Lieblingsaussage vieler aussichtslos arbeitswilliger Bundesbuerger, die sich allzu gern zu Lohnknechten machen lassen)

''President Kennedy was calling me up. He said:
'My friend Bob, what do we need to make our country grow?'
I said: 'My friend, John: Brigitte Bardot...Anita Ekberg, Sophia Lauren...and the country will grow...''
(Bob Dylan, I shall be free)

...genau. Es bedarf doch nicht unbedingt der Arbeit, um ein Land wachsen zu lassen. Man muss sich doch nicht fuer Hungerloehne halb zu Tode arbeiten, damit Deutschland noch einige weitere Jahre auf dem Silberrang in Sachen Exportweltmeister liegt, oder Manager sich die schmierigen Haende reiben oder Unternehmen Gewinne einstreichen und dann abhauen nach Asien. Dafuer sollen WIR in die Haende spucken und uns Schwielen an selbigen holen fuer das Bruttosozialprodukt. Da koennen wir doch eigentlich genauso gut den wundervoll relaxten Staat Bhutan als Vorbild nehmen (statt China) und lieber das Bruttosozialglueck steigern, nach dem man sich DORT richtet. Das waere doch mal progressiv. In Deutschland ist ja mittlerweile nur noch die Einkommenssteuer progressiv.

Die vita contemplativa ist eine wundervolle Sache, wenn man etwas mit ihr anzufangen weiß. Wundervolle Erkenntnisse sind umso vieles unbezahlbarer als ein Urlaub in der Dominikanischen Republik fuer ein, zwei Wochen, der 45Wochen Plackerei abgelten und ausgleichen soll. Was fuer schoene Buecher auch sind aus dem beschaulichen Leben entstanden: so zum Beispiel Marcel Prousts ''Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.'' apropos:
heutzutage braucht man ja nur unter der Woche mal vor 16Uhr eine Stunde in der Sonne zu liegen und wird schon fuer einen Muessigganger und staatszersetzenden Hartz-IV-Empfaenger gehalten oder man ist unproduktiv, weil man als Student abends mal ein Buch liest oder feiern geht statt fuers Examen zu pauken. Man verliert ja, Achtung: WERTVOLLE Zeit. Aber ist nicht jede Stunde, die wir nicht im kalten Reich des Kapitalsystems verbringen, vielmehr Zeit, die wir gewinnen? Ich behaupte: ja!

Ich will eine willkuerliche Faustregel aufstellen als Gradmesser dafuer, ob man ''dumm'' und ineffizient arbeitet und ein Lohnknecht des Kapitalismus ist: wer zB mit einer Wochenarbeitszeit von 40Stunden deutlich unter 1500Euro verdient, macht irgendetwas falsch und verschleudert sich. Er hat schlecht bezahlten Stress und sollte sich schleunigst ueberlegen, sich der vita contemplativa hinzugeben.

Ueberhaupt beduerfen wir gerade nach der Weltfinanzkrise mehr denn je zuvor der generellen Entspannung. Man muss nur drauf achten, wie natuerlich vor allem die schwarz-gelbe Regierung versucht, uns zu mobilisieren, wieder das Wirtschaftswunderland Deutschland zu werden. Aber wer garantiert uns ueberhaupt, dass wir das auch in zwanzig Jahren noch sein werden oder besser: wieder sein werden?
Warum dann nicht lieber, als Leuchtturm in Europa, das Entspannungswunderland Deutschland. Klingt irgendwie auch nach einem Freizeitpark, aber warum denn nicht? Wenn man zB die Sicherheitsdebatte in den Medien verfolgt, faellt auf, wie stolz man sich immer darueber geriert, wie relativ entspannt Deutschland im internationalen Vergleich in Fragen der Sicherheitspolitik gibt. Warum dann nicht auch in Fragen des Arbeitsverhaltens? Operation ''Enduring relaxation''...

Seien wir doch ehrlich: so richtig Lust aufs Arbeiten hat ohnehin kaum noch einer. Wer hat heute noch einen ''Beruf''? Frueher stand ja auf Grabsteinen immer der Beruf des verstorbenen, den selbiger meistenteils EIN LEBEN LANG verfolgt hatte, zB ''Hier ruht: Friedrich Meinberger, Tischler.''
(man stelle sich sowas uebrigens in Zeiten des prekaeren Gelderwerbs vor, zB: ''hier ruht: Peter Pinselmann, Blogger.'')
Will sagen: es gibt nur noch Jobs und die Faustregel des Verdienens lautet zunehmend:

Mehr arbeiten fuer weniger Geld!

...wenn dieser Satz ein Propagandaspruch auf einem Wahlplakat waere, wuerde die derart fuer sich werbende Partei, selbst wenn es zB die CDU waere, wahrscheinlich die Fuenf-Prozent-Huerde nicht mehr packen. Aber doch unterwerfen sich zu viele von uns tag fuer Tag diesem Satz und machen sich so gaenzlich zu Ameisenwesen und buecken sich dieser Aufforderung, damit ihr profitgieriger Chef auch weiterhin so wunderbar leben kann.
Und wenn man sich obigen Satz nur EINMAL durch den doch nicht gaenzlich verkalkten Kopf gehen laesst, muesste einem doch auffallen, warum immer mehr Menschen sich zunehmend lustlos der modernen ''Arbeitswelt'' entziehen. Man fragt sich, wo Dummheit anfaengt, wenn man entgegen jeglicher Intelligenz fast nur noch arbeitet, um einen Job zu behalten, bei dem man fast nichts verdient, aber unheimlich viel verliert: Lebenszeit.
Immer noch zuviele Leute beleidigen derart fortwaehrend ihre Intelligenz und ihren Stolz und sind zudem noch zu feige, die richtigen Konsequenzen zu ziehen...

Um noch einmal diese Arbeitgeberforderung zu paraphrasieren und das eingangszitat dieses eintrages in seiner Hohlheit zu offenbaren:

''Sie arbeiten fortan viel mehr, um dafuer weniger geld zu erhalten. Dafuer bleibt Ihnen Ihr Job ohne festvertrag erhalten, bei dem sie in Zukunft fuer noch weniger Geld noch mehr arbeiten duerfen. Davon koennen Sie dann zwar kaum noch leben, aber dafuer sind sie dann auch nicht arbeitslos.''

Ob wir das schaffen, den Mut aufzubringen, eine Post-Erwerbsgesellschaft zu begruenden bzw uns von dem Fluch des ''Arbeit fast ohne Lohn''-Diktates zu loesen? Eine gesellschaft, die darueber hinaus ohnehin entspannter waere und hoffentlich weniger gierig? Waere das nicht auch ein ungleich aesthetischeres Leben, das uns alle mehr oder minder zu Lebenskuenstlern statt Arbeitslosen oder faulen Saecken machen wuerde? Oder es zumindest ermoeglichte, uns als Hobby-Arbeitslose endlich einmal dem Leben hinzugeben, ohne staendig Angst zu haben, dass man mit der Stunde, die man in der Sonne liegt, eine unmoegliche Luecke in seinen Lebenslauf reißt?
Wer dann noch unbedingt arbeiten will: bitte! er kann meinen Part sehr gerne uebernehmen...Bienen-und Ameisenfleißige suchen und finden immer Arbeit und haben sie keine, schaffen sie sich welche...

Zugegeben, es ist ein großer frecher Traum, aber es sollte doch moeglich sein, Gleichgesinnte zu finden. Es ist ohnehin nur eine Frage der zeit, bis irgend ein kluger Kopf herausfindet, dass ein 80-Millionen Deutschland nach oekonomischen Maßstaeben kein 2.5 Milliarden Indien/China einholen kann...

aber ich bin doch nicht der Einzige und auch der dem ein oder anderen raumgewinner-Leser schon untergekommende Jan Amos Comenius geraet in seinem ''Der Weg des Lichtes'' (1648) ins Schwaermen:

''Dies wird das 7. Lebensalter sein: nach 6000 Jahren bestaendiger Muehen, schweißtreibender Anstrengungen, Kaempfen und Niederlagen wird es uns in diesem Zeitalter gestattet sein, dass wir uns ausruhen, bevor die Oktave der ewigen Seligkeit ertoent.''

''und wer soll diesen faulen Zauber das bezahlen?''...

...hoert man schon die Frage und ich vermute, darauf werden wir so unglaublich erfinderischen Deutschen schon eine Antwort finden. Wenn wir nur endlich einmal die Bereitschaft zeigten, uns endlich zu entspannen und nicht mitzubauen und zu propagieren, an der Drohkulisse einer angeblichen bundesrepublikanischen Totalverarmung und der Dekadenz vermeintlicher Sozialstaatsschmarotzer.
Vielleicht werden wir dann ja Entspannungs- statt Exportweltmeister...oder wir lernen es gar, Entspannung zu exportieren: was fuer ein unendlich versoehnlicher Ausgleich mit unserer, nun ja, nicht sehr entspannten Geschichte...

...werden wir also Weltmarktfuehrer in Sachen existentieller Leichtigkeit. Ist doch auch schrecklich, wenn wir Deutschen immer noch an der internationalen Erwartungshaltung an unserem alten Deutsche-Tugend- und Fleißbegriff zerbrechen, ueber den ja letztlich doch alle Nationen lachen oder spotten.

Dem geneigten Leser wuensche ich nun viel Erfolg und Spaß bei seiner selbstgewaehlten gaenzlich unproduktiven Beschaeftigung und ausgiebiger Freizeitertuechtigung...

...naechstens mehr...



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Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy