Diagnose Realitätsverlust

Flüchtlingsdebatte Der Politiker Björn Höcke gab in der Talkshow "Günther Jauch" einen denkwürdigen Auftritt ab. Eine Aufarbeitung seiner Argumente.

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Gleich zum Einstieg nutzte Höcke (AfD Thüringen) die Sendung zur Provokation: Als Jauch ihm die erste Frage stellte, holte er aus seinem Anzug eine Deutschlandflagge hervor und platzierte diese auf der Lehne seines Sessels, aus tiefer Liebe zum Land wie er den anderen verdutzten Gästen der Sendung sagte. Zudem griff er direkt Justizminister Heiko Maas verbal an und behauptete, dieser würde sich anhören wie die DDR-Eliten in ihren letzten Tagen. Wie genau das zu verstehen sei, führte Höcke auch auf Nachfrage von Jauch nicht aus. Außerdem kritisierte Höcke die Zusammensetzung der Gäste als eindimensíonal gegen ihn und forderte daher 50 Porzent der Redeanteile, wo bei er völlig verkannte, dass seine Partei nicht ein solches Gewicht darstellt, sondern eine politische Minderheit auf Bundesebene ist. Interessant wäre es vielleicht gewesen, einen Kritiker des Kurses von Frau Merkel aus CDU oder CSU einzuladen, unbedingt nötig war es jedoch nicht.
Darauf folgte ein Einspieler, der Höcke bei verschiedenen Reden bei von ihm organisierten Demonstrationen in Erfurt zeigte. Höcke tönte davon, dass er ein Volk sähe, was eine Zukunft haben will, Erfurt schön deutsch bleiben solle, deutsche Kinder in Berlin nur noch "Kanaksprach" sprechen würden und der Syrer ja noch sein Syrien hätte, wenn Deutschland jedoch verloren ginge, die Deutschen keine Heimat mehr hätten. Desweiteren sprach Höcke in einem zweiten Einspieler davon, dass die Angsträume blonder deutscher Frauen größer würden.


Es hilft diese Aussagen einzeln zu betrachten und ihre Absurdität darzulegen. Zur ersten Aussage lässt sich festhalten, dass wohl jedes Volk eine Zukunft haben will, angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftslage muss es einem jedoch vollkommen abwegig erscheinen zu behaupten, dass das gesamte Volk keine Zukunft mehr habe. Auch die Aussage Erfurt solle schön deutsch bleiben, impliziert ja, dass Erfurt durch die Anwesenheit von Flüchtlingen hässlich werden würde, was ganz offensichtlich Rassismus darstellt. Was genau Kanaksprach sei und woher er weiß, dass ebendies alle deutschen Kinder in Berlin sprechen würde, konnte er auch auf Nachfrage von Günther Jauch nicht beantworten. Die Behauptung der Syrer habe noch sein Syrien, während dem Deutschen der Verlust der Heimat drohe, könnte zynischer angesichts der Bilder aus Syrien nicht sein. Menschen, die ihre Arbeit, ihre Freunde, ihre Familienmitglieder und ihr gesamtes bisheriges Leben aufgeben mussten vorzuhalten, dass sie in einer besseren Position als Deutsche dastehen würden ist ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen. Bei den Angsträumen für deutsche blonde Frauen widersprach vor allem die Journalistin Anja Reschke deutlich und verwies auf die Statistiken, die keinen Beweis für Höckes Thesen liefern.

Im weiteren Verlauf der Sendung verstieg sich Höcke auf die steile These, die jetzige Situation sei ein Experiment der Altparteien. Falscher kann man wohl mit der Analyse der aktuellen Lage nicht liegen. Zu glauben, dass Politiker das Volk als Testobjekt missbrauchen würden um ein multikulturelles Experiment durchzuführen, lässt völlig außer Acht, dass die Parteien in Deutschland weder den Krieg in Syrien zu verantworten haben noch, dass sich niemand gewünscht hat, dass soviele Menschen sich auf eine Flucht begeben müssen. Doch anders als die AfD versuchen die Regierenden die Situation mit pragmatischen Lösungen zu füllen und nicht mit dem Schüren von Ängsten.

Ein weiteres Argument des Landeschef Thüringen der Alternative für Deutschland war, dass Pegida den Durchschnitt des Bürgertums repräsentiere. Heiko Maas wies völlig zurecht daraufhin, dass das solche Thesen nicht besser machen würde . Ergänzend hinzu kommt, dass Dresden die Ausnahme nicht die Regel darstellt. In den meisten (vor allem den westdeutschen) Großstädten sind die Pegida-Ableger krachend gescheitert. Deshalb ist auch völlig richtig, als ihn Panorama-Moderatorin Reschke darauf hinweist, dass er nunmal nicht "das Volk" im Gesamten darstellt( und behaupten kann "das Volk hat Angst") sondern nur einen Teil davon, der außerdem eine Minderheit sei.

Doch Höcke schaffte es dies noch auf die Spitze zu vertreiben, damit das die ostdeutschen Arbeitnehmer aus Erfurt und Dresden vielfach in Mannheim, Frankfurt,Dortmund und Essen arbeiten würden und Zustände wie dort nicht in Ostdeutschland haben wollen. Ein kurzer Blick auf den Internetdienst Google Maps verrät, welch einen Unsinn Herr Höcke verbreitet. Die Distanz von Erfurt aus nach Frankfurt beträgt 257km, nach Mannheim 335km, nach Dortmund 346 und nach Essen rund 380km. Für eine Anreise aus Dresden darf man gut noch einmal 220km auf diese Zahlen draufschlagen. Die Arbeitnehmer, die einen solchen Arbeitsweg haben dürften jedoch einen verschwindend geringen Anteil darstellen.

All diese Aussagen würden schon für sich obskur wirken, in Anbetracht des mutmaßlich fremdenfeindlichen Mordanschlag auf die neu gewählte Bürgermeisterin Reker am Tag zuvor in Köln wirken sie zudem völlig deplatziert. Während überall im Land die Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund in die Höhe schnellen und massenhaft Brandanschläge verübt werden schürt Höcke und die AfD im Allgemeinen die Angst vor denen, die aus größter Not heraus in dieses wirtschaftliche so starke und politisch so stabile Land flüchten. Lösungen entwirft Höcke keine, er verbreitet mit fester Überzeugung Untergangsfantasien der gleichgeschalteten Medien, der "vermerkelisierten" CDU und allgemein des "Altparteienkartells". Offensichtlich wurde dies als der saarländische Innenmininster Bouillon von den Schwierigkeiten berichtete die es mitunter in Flüchtlingsheimen gibt aber gleichzeitig Optimismus verbreitete, auf erste Lösungsansätze von Innenminister Thomas de Maiziere hinweis und Merkels Credo "Wir schaffen das" noch einmal bekräftige. Darauf plärrte Höcke mehrfach wie ein trotziges Kind in die Runde: "Nein wir schaffen das nicht, nein wir schaffen das nicht".

Höcke sieht sich selbst wohl als Teil einer Bewegung, die in Deutschland die Macht übernehmen wird, sobald dieses System untergeht und felsenfest davon ausgeht, dass dies bald auch passieren wird. Was Höcke dabei wohl nicht sieht oder sehen will, sind die starke Wirtschaftsleistung, eine gut ausgebildete, politisch interessierte Generation junger Menschen, gleichbleibende Umfragewerte bei den großen Parteien, die große Zustimmung vieler Bundesbürger zur aktellen Politik von der Bundeskanzlerin und das ehrenamtliche Engament sowie die Tatsache, dass der Vorwurf der gleichgeschalteten Medien völlig daneben zielt, wenn gerade er in Deutschlands größte Talkshow zu bester Sendezeit eingeladen wird. Die AfD ist die "Angst für Deutschland", nicht eine Alternative. Wäre sie tatsächlich eine Alternative so hätte Höcke seinen Auftritt dazu nutzen können Konzepte und Lösungen vorzulegen anstatt sich in absurden Behauptungen und Relativierungen zu verstricken.
So bleibt er nichts weiter als ein rhetorischer Brandstifter.

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Geschrieben von

PaulHansen

18 Jahre alt, linksliberal, Mitglied der Jusos und in der SPD

PaulHansen

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