So sieht es also aus, wenn in einer Marktwirtschaft der Markt gewaltig aus dem Tritt kommt. Oder ist es schon Planwirtschaft, was die Bundesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten auf dem Gassektor veranstaltete? Vielleicht muss man es einfach Kriegswirtschaft nennen: staatliche Gasbewirtschaftung in Kriegszeiten mit einem Teil Markt, einem Teil staatlicher Planungsziele und einem Teil regierungsamtlicher Volkspädagogigk. Ein Beispiel für Letzteres ist die Kennzahl der Zeit, der Füllstand der Gasspeicher. 94,4 Prozent! So hoch war der Füllstand am Dienstag dieser Woche. Klingt doch gut, oder? Für viele Menschen verspricht diese Zahl, dass wir für das nächste Jahr ausgesorgt haben, dabei decken die Speicher nur zwei oder höchstens drei Winterm
ermonate ab. Klingt schlecht, oder? Aber auch so ist der Füllstand nicht zu interpretieren. Sicher ist erst mal nur: Die ganze Sache ist komplexer, als es eine Zahl ausdrücken kann.In normalen Zeiten lief die Gasversorgung in Deutschland ja mehr oder weniger so ab: Der Staat gab die Regeln vor, den gesetzlichen Rahmen, und dann regelte der Markt. Im Sommer, wenn die Nachfrage nach Gas niedrig war, sank auch der Gaspreis: Also kauften findige Marktteilnehmer Gas und befüllten die Speicher damit. Im Winter dann, wenn die Nachfrage stieg, wurde das Gas aus den Speichern wieder auf den Markt gebracht und den Verbrauchern zur Verfügung gestellt. Das war einmal.Schon im Jahr 2021, also schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, trat in diesem System eine Störung auf. Die Speicher füllten sich im Sommer nicht wie sonst, weil der Gaspreis stark angestiegen war. Das war der Markt. Dann kam der Staat dazu, in diesem Fall der russische: Wohl aus strategischen Gründen ließen russische Staatsfirmen die Füllstände ihrer deutschen Speicher herunterlaufen. Als dann nach Kriegsbeginn auch noch der Gasimport aus Russland versiegte, beschloss die Bundesregierung: Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass der Markt die Verwerfungen des Krieges alleine ausbügelt. Also muss der Staat ran. Man beschloss Vorgaben für die Speicher, bis zum 1. November müssen sie zu 95 Prozent befüllt sein, und dann am 1. Februar schon wieder zu 40 Prozent.Wenn das der Markt von alleine schafft: gut. Wenn nicht, dann muss laut Gesetz der „Marktgebietsverantwortliche“ nachhelfen. Das ist in Deutschland ein Unternehmen, das die Netzgesellschaften zusammen aufgesetzt haben: die Trading Hub Europe (THE). Die THE kauft seit August im großen Stil Gas ein, um die Speicher zu füllen. Es ist wahrscheinlich, dass sie dadurch dazu beigetragen hat, dass der Gaspreis erst in schwindelerregende Höhen gestiegen ist – und jetzt, da die Speicher nahezu voll sind, wieder sinkt, weil abzusehen ist, dass es genug Angebot gibt.Angebot, Nachfrage, FrostSo weit, so gut. Vielleicht ist es hier an der Zeit, das nächste Missverständnis aufzulösen: Das eingespeicherte Gas, auch wenn es teilweise aufgrund von staatlichen Planvorgaben gekauft wurde, ist nicht für deutsche Haushalte oder Unternehmen „reserviert“. Nein, das Gas wird wieder vermarktet, sprich an den Meistbietenden verkauft. Ob es dann aber nach Tschechien oder Frankreich fließt, regeln Angebot und Nachfrage. Auch das war in der alten Zeit, vor dem Krieg, kein Problem; weil es ein Überangebot gab. Jetzt aber stellen sich viele bange die Frage: Wird das Gas reichen?Die ehrliche Antwort darauf ist: Das weiß allein Väterchen Frost. Denn ob es genug Gas für alle geben wird, also für Unternehmen und Haushalte, für Deutschland und Europa, hängt von vier Faktoren ab. Zuallererst von den Importen, von denen Deutschland abhängig ist: Norwegen und die Niederlande sind verlässliche Lieferanten, ab Januar soll auch noch LNG direkt über die neuen Flüssiggasterminals in Brunsbüttel und Wilhemshaven ankommen. Zweitens vom Verbrauch: Werden die deutsche Industrie und die Haushalte Gas einsparen? Drittens von den europäischen Nachbarn: Werden sie Gas aus Deutschland brauchen, weil sie selbst zu wenig haben? Und viertens: Vom Winter selbst. Wird es so kalt wie vergangenes Jahr, reichen Import- und Speichergas wohl locker aus. Schlägt der Frost aber hart zu, wird er auch dem Markt den Rest geben.