Ökonom Jens Südekum: „Bei einem Gasstopp ist die Schuldenbremse nicht zu halten“

Gaskrise Durch die Pipeline „Nord Stream 1“ fließt wieder Gas. Doch die Unsicherheit wird uns noch lange begleiten. Die Bundesregierung steckt in der Zwickmühle, meint der Ökonom Jens Südekum im Interview
Ausgabe 30/2022
Ökonom Jens Südekum: „Bei einem Gasstopp ist die Schuldenbremse nicht zu halten“

Illustration: Johanna Goldmann für der Freitag, Material: Getty Images

Fast die Hälfte der Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt. Was für Folgen hätte es da, wenn das Gas ausbleibt? Und wie umgehen mit der Unsicherheit, ob es im nächsten Winter genug Gas geben wird?

der Freitag: Herr Südekum, zum Zeitpunkt, da wir dieses Gespräch führen, wissen wir nicht, ob und wie viel Gas in Zukunft durch die Pipeline Nord Stream 1 fließen wird oder nicht.

Jens Südekum: Ich denke, wir müssen in jedem Fall davon ausgehen, dass Gaslieferungen aus Russland unsicher geworden sind. Auch wenn das Gas wieder fließt, kann es zwei Wochen später einen neuen Grund geben, warum Lieferungen ausbleiben.

Gas ist ein Instrument des Wirtschaftskrieges geworden.

Deutschland hat klar kommuniziert, dass es im Sommer 2024 von russischem Gas unabhängig sein will. Es ist aus meiner Sicht unwahrscheinlich, dass Putin uns da bequem nach Fahrplan aussteigen lässt. Ein Gasstopp löst jetzt in Europa maximale Wirkung aus, also gibt es einen Anreiz, diesen Trumpf bald auszuspielen; je länger Putin wartet, desto geringer ist der Effekt.

Was wären die Folgen, wenn die Gaslieferungen versiegen?

Dann hätten wir eine echte Notlage. Es bräuchte Bailouts für die großen Gasimporteure wie Uniper, weil diese sonst in die Insolvenz rutschen würden. So ein Bailout muss auch eine Lösung bieten, wie das Geschäftsmodell der Gasimporteure weitergeht.

Dass sie also ihre Preise anheben dürfen?

Ja. Ihr Geschäftsmodell ist ja deswegen in die Schieflage gerutscht, weil sie ausgefallene Gaslieferungen durch Zukäufe ersetzen müssen, die zehn Mal so teuer sind. Weil sie die Preise aber nicht an ihre Abnehmer weiterreichen dürfen, machen sie Verluste, die sie nicht lange durchhalten können. Man müsste ihnen also die Möglichkeit geben, die Kosten an die kommunalen Gasunternehmen und die Verbraucher weiterzugeben.

Zur Person

Foto: Imago/Ipon

Jens Südekum lehrt als Professor für internationale Volkswirtschaftslehre des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Dann hätten wir einen Gaspreisschock.

Absolut. Wir haben ja jetzt schon eine Verdreifachung des Preises, ohne dass die Folgen des Krieges eingepreist wären. Wenn kein russisches Gas mehr kommt, kann das zu einer weiteren Verdopplung, wenn nicht Vervierfachung des Gaspreises führen. So was hätte enormes politisches Sprengpotenzial.

Was kann und muss die Bundesregierung in so einem Fall tun?

Wir sind da in einem echten Dilemma. Es gibt zwei Varianten, wie die Preise auf die Konsumenten überwälzt werden: Das eine ist der Paragraf 24 des Energiesicherungsgesetzes, wonach die Versorger selbst die Preise anpassen können. Das hat den Nachteil, dass es wohl rechtsunsicher wäre und dass die Mehrkosten sehr unterschiedlich ausfallen würden: Kunden von Versorgern, die ihr Gas zur Gänze aus Russland beziehen, träfe es viel härter als andere. Die Alternative ist der Paragraf 26, wo der Staat einspringt, den Gasimporteuren ihre Verluste erstattet und sie über eine Umlage refinanziert, die er den Verbrauchern auferlegt. Das hätte den Vorteil, dass es breiter gestreut ist und dass der Staat einen Teil der Mehrkosten übernimmt. Hier gibt es aber ein Problem: Wenn der Staat sagt, wir können den Verbrauchern nicht so viel zumuten und übernehmen deshalb einen Großteil der Kosten, wäre das zwar vorteilhaft in Bezug auf Geringverdiener und die Inflation, aber es hätte den Nachteil, dass der Anreiz zum Gassparen wegfiele. Was wiederum das Risiko erhöhen würde, dass wir im Winter in die Gasmangellage reinlaufen, was ja auch auf die Bürger zurückfiele. Um das zu verhindern, muss der private Gasverbrauch runter, was wohl nur über ein Preissignal zu erreichen ist.

Auf den Staat kommen große Ausgaben zu: Bailouts, Entlastungspakete, Energiesparanreize. Ist die Schuldenbremse noch zu halten?

Nein. Schon jetzt ist der Haushaltsplan auf Kante genäht. Wenn das Gas aus Russland wegfällt, brauchen wir ein neues Entlastungspaket. Das funktioniert nicht mit einem Haushaltsplan, der die Schuldenbremse einhalten will. Aber es scheint mir offensichtlich, dass dieser Krieg eine außergewöhnliche Krisensituation ist, die ein Aussetzen der Schuldenbremse rechtfertigt.

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Geschrieben von

Pepe Egger

Verantwortlicher Redakteur für das „Wochenthema“

Pepe Egger verantwortet das Wochenthema und die Titelseite der Zeitung. Er studierte in Wien, Paris, Damaskus und London und arbeitete sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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