Schuldenbremse: Ökonom Michael Hüther fordert 400 Milliarden Euro Sondervermögen
Transformation Michael Hüther ist Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Er ahnt, wie der Streit um die Schuldenbremse enden und wie sich CDU und CSU verhalten werden – und er taxiert, wieviel Geld es für Deutschlands Infrastruktur braucht
Michael Hüther über Deutschlands Wirtschaft: „Wir haben sicher nicht über unsere Verhältnisse gelebt. Im Gegenteil“
Foto: Imago/Ipon
Die Debatte, wie mit dem Urteil zur Schuldenbremse umzugehen ist, führt derzeit zu mühsamen Verhandlungen der Ampel-Koalition und billiger Häme der Opposition: Eigentlich geht es aber im Kern darum, wie Deutschland die Transformation bewerkstelligen kann: Der Ökonom Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen IW Köln, ist sicher kein Linker – da mag überraschen, was er sagt.
der Freitag: Herr Hüther, aus meiner Sicht gibt es vier Möglichkeiten des Umgangs mit dem Urteil zur Schuldenbremse. Man kann sparen, man kann zweitens eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen; man kann drittens ein „Sondervermögen Grüne Transformation“ aufsetzen. Oder man kann viertens die Schuldenbremse im Grundgesetz so refo
Schuldenbremse im Grundgesetz so reformieren, dass sie mehr Spielraum für Investitionen erlaubt. Was ist aus Ihrer Sicht der wahrscheinlichste Ausgang? Und welcher der beste?Michael Hüther: Aus meiner Sicht ist Variante drei sowohl die kurzfristig sinnvollste als auch die wahrscheinlichste: ein Sondervermögen nach Machart des Sondervermögens Bundeswehr. Denn wir sollten jetzt eine Lösung finden, die mittelfristig tragfähig ist und nicht eine, die nur ein Jahr lang hilft. Fürs Sparen gilt: Das kann man für den Haushalt 2024 sicherlich irgendwie tun, aber schon 2025 wäre der Ausgabendruck und damit Kürzungsdruck noch einmal deutlich höher, allein aufgrund des Wirtschaftsplans des Klima- und Transformationsfonds (KTF). Das Aussetzen der Schuldenbremse per Notlagen-Erklärung scheint mir für 2024 relativ schwierig, da hat das Verfassungsgericht eine hohe Hürde gelegt. Und eine Reform der Schuldenbremse wird kurzfristig nicht möglich sein, weil so etwas einen intensiven Diskussionsprozess erfordert, den wir momentan nicht in der gebotenen Tiefe und nötigen Breite durchlaufen können. Bleibt also der Ausweg eines Sondervermögens, der obendrein den politischen Charme hätte, dass im normalen Haushalt und für konsumtive Ausgaben die Schuldenbremse weiterhin gelten würde.Wie genau stellen Sie sich das vor? Und welchen Umfang müsste so etwas haben?Ich denke, dass das nach Vorbild des Bundeswehr-Sondervermögens ins Grundgesetz geschrieben wird, als Sondervermögen Transformation der Infrastruktur. Anders als bei der Bundeswehr bräuchte es hier aber ein begleitendes Verfahren, etwa in Form einer Bund-Länder-Kommission. Die Transformation ist eine Aufgabe von mindestens zehn Jahren, wofür ein Betrag in der Größenordnung von sicher 400 Milliarden Euro anzusetzen ist. Und zwar nur für alle Infrastruktur; begründete Subventionen für Unternehmen müssten künftig aus dem normalen Haushalt gestemmt werden.Für so ein Sondervermögen bräuchte man allerdings CDU und CSU, damit das Bundesverfassungsgericht das nicht mehr kippen kann.Gewiss. Die Union müsste mit Blick auf eine künftige Regierungsverantwortung, wann immer diese beginnt, auch an einer Lösung interessiert sein, die nachhaltig und tragfähig ist. Obendrein scheint die Interessenlage der unionsgeführten Länder wohl eine deutlich andere als die der Spitze der CDU im Bundestag zu sein. Ich wage die These: Am Ende sind die entscheidenden Kräfte die Ministerpräsidenten der Union.„Ich weiß nicht, wie man die Dekarbonisierung der Wirtschaft mit dem CO2-Preis hinbekommen will“Nun hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse aber auch jenen Positionen unter Ihren Kollegen Aufwind verschafft, die sagen, die Transformation könne nicht herbeisubventioniert werden, der Markt wisse sowieso besser, wo das Geld am effizientesten eingesetzt werden kann, also sei doch jetzt die Antwort: Rauf mit dem CO2-Preis und gut ist. Sie scheinen da Zweifel zu haben. Warum?Ich bin prinzipiell für diesen Weg. Aber uns fehlt die Zeit, denn: Wir haben nicht rechtzeitig damit angefangen, den CO2-Preis anzuheben. Und jetzt sollen wir laut Klimaschutzgesetz schon 2045 CO2-neutral sein: Die Zeit ist also begrenzt, deshalb müssen wir mit Subventionen und anderen Markteingriffen, Stichwort Leitmärkte, nachhelfen. Ich meine damit allerdings nicht Ansiedlungsinvestitionen beispielsweise für eine Batteriezellfabrik oder eine Chipfabrik wie Intel, die sollten aus dem regulären Haushalt gestemmt werden, weil das klassische Standortpolitik ist.Was soll denn dann aus dem Sondervermögen Transformation bezahlt werden, so es denn ein solches geben wird?Die Ladeinfrastruktur, die Ertüchtigung der Bahn, die Elektrifizierung der Wärmeproduktion und der Industrie, der Ausbau der Netzinfrastruktur beim Strom, die Digitalisierung, die Sanierung und der Ausbau der Autobahnen: Mit einem Wort, alle Infrastrukturen, die notwendig sind, um die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu erreichen. Ich kann mir schlichtweg nicht vorstellen, wie man das mit dem CO2-Preis hinbekommen will. Eine starke Anhebung des CO2-Preises würde außerdem einem Inflationsimpuls gleichkommen, und es wäre aus den Einnahmen der soziale Ausgleich – sprich ein Klimageld – zu finanzieren.Es gibt allerdings viele Menschen, die infrage stellen, warum man profitablen Unternehmen wie Intel zehn Milliarden Euro nachwerfen oder auch den Chemie- und Stahlunternehmen Milliardenförderschecks in die Hand drücken soll, damit sie ihre Produktion dekarbonisieren. Ist das überhaupt die Aufgabe des Staates?Na ja, wenn es Aufgabe des Staates ist, für Klimaschutz und Klimaneutralität zu sorgen, dann ja. Ich bin auch kein großer Anhänger dieser zehn Milliarden für Intel. Aber ich kann die Augen vor der geopolitischen Realität nicht verschließen und davor, dass es nun mal weltweit keinen Halbleiter-Produktionsstandort gibt ohne Subventionskulisse. Es geht hier um die viel beschworene Resilienz des Standorts.Placeholder image-1Ganz kurz noch mal zum Grundsätzlichen: Was genau ist aus Ihrer Sicht das Problem der Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form? Als sie 2009 beschlossen wurde, haben Sie damals schon gedacht: Was für ein handwerklich schlecht gemachtes Gesetz?Ehrlich gesagt: nein. Ich habe zu denen gehört, die das befürwortet haben, auch weil wir damals eine Schuldenstandsquote von 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hatten. Die Schuldenbremse hatte aber schon damals keine Ewigkeitsgarantie. Schon 2012 hatte ich in einem Interview gesagt: Wenn wir mit der Schuldenstandsquote wieder unter dem in den europäischen Regeln vorgesehenen Niveau sind, dann sollten wir überlegen, wie man die Schuldenbremse verändert, sodass sie Investitionsausgaben anders bewertet. Dass jetzt so ein Glaubenskrieg entsteht und die Leute einen immer gleich für unseriös halten, wenn man sich erdreistet, die Schuldenbremse reformieren zu wollen, finde ich seltsam.„Schwäbische Hausfrau? So argumentiert man eher schlicht und an der Sache vorbei“Das Niveau der Debatte ist der Sache nicht angemessen. „Man kann nur ausgeben, was man eingenommen hat“: Wenn das gälte, dann könnten in Deutschland nur noch Millionäre Häuser bauen und die allermeisten Unternehmen müssten zusperren ...In der Tat. Wenn hier mit der schwäbischen Hausfrau argumentiert wird, dann argumentiert man eher schlicht und an der Sache vorbei. Die Frage ist doch die: Ist es ein Wert an sich, dass die Schuldenstandsquote permanent sinkt? Natürlich nicht. Sondern das hängt ab von unseren Aufgaben, von der Logik unserer Finanzierungsstruktur und von der Finanzierbarkeit. Ein Kriterium wäre eine Zinssteuerquote, um darzustellen, wie hoch der Druck aus der Verschuldung der Vergangenheit für die Ausgabenspielräume ist.Sie haben öfters gesagt, dass die deutsche Wirtschaft eigentlich ein längerfristiges Strukturproblem habe, das weder mit Corona noch mit Energiepreisen zu tun hat. Was müsste man Ihrer Meinung da angehen und warum?Unsere Gesellschaft befindet sich auf einem Schrumpfungs- und Alterungspfad, der auch bei aller Zuwanderungsmobilisierung im Kern in den vor uns liegenden 15 Jahren bestehen bleiben wird: Bei einem derartigen demografischen Trend müssen wir alles tun, um die Effizienz der Arbeit, also die Produktivität, zu erhöhen. Dazu brauchen wir notwendig mehr Kapital pro Kopf der Beschäftigten, was nichts anderes heißt als: Wir müssen mehr und anders investieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in Deutschland, was den Kapitalstock angeht, in den letzten Jahren von der Substanz gelebt haben und auf Verschleiß gefahren sind. Wir haben genau genommen also nicht über unsere Verhältnisse gelebt, sondern unter unseren Verhältnissen.Placeholder infobox-1
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