Als inoffizielle Nationalhymne empfiehlt sich in Deutschland ein Klassiker der späten 1940er Jahre: „Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt? Wer hat so viel Pinkepinke, wer hat so viel Geld?“, sang Jupp Schmitz und landete einen Karnevalshit mit kritischer Absicht: Die Preissteigerungen im Zuge von Ludwig Erhards Währungsreform von 1948 waren der Anstoß zu dem eingängigen Lied, was einer Umdeutung freilich nicht im Wege stand. Denn heutzutage gehört es zu den Selbstverständlichkeiten bundesdeutscher Geschichtsschreibung, dass die Währungsreform einer der Hauptgründe für das bundesdeutsche „Wirtschaftswunder“ war. So konnte die Frage „Wer soll das bezahlen?“ von einer Anklage herrschender Politik in ihr Ge
ezahlen?“ von einer Anklage herrschender Politik in ihr Gegenteil umgemünzt werden, in die Legitimation deutscher Sparsamkeit.Eingebetteter MedieninhaltWann immer der Staat Geld in die Hand nehmen will, um Investitionen zu tätigen, ist heute eins so sicher wie das Amen in der Kirche – die bürgerliche Presse und ein großer Teil der Bundespolitik stimmen in den immer gleichen Chor ein: „Wer soll das bezahlen?“ Eine Frage, auf die es aus finanzpolitischer Sicht mehrere mögliche Antworten gibt: Kürzungen anderswo, Steuererhöhungen – oder eben Schulden.Die Befürwortung von Schulden ist in einem Land mit so mächtigem Stolz auf seine weltberühmte Sparsamkeit eine heikle Position. Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit – das sind die Tugenden, von denen das deutsche Selbstbild lebt. So ist es kein Wunder, dass die in der Bevölkerung weitverbreitete Aversion gegen Schulden seit Jahrzehnten finanzpolitische Fürsprecher findet, die stets auf ausgeglichene Bundeshaushalte pochen – als handele es sich beim Haushalt der viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt um den einer schwäbischen Hausfrau.Als Wolfgang Schäuble gingDie politischen Spielarten dieser verschuldungsfeindlichen Politik sind vielfältig: Da wäre etwa die Schaffung einer „unabhängigen“ Zentralbank – erst in Form der Bundesbank, dann der EZB –, um eine Staatsverschuldung aus der Druckerpresse zu verhindern. Oder die Politik der schwarzen Null, die nicht mal eine geringe Neuverschuldung erlaubt, sondern zu ausgeglichenen oder gar positiven Haushalten zwingt. Zwischen 2014 und 2019 schaffte Deutschland mit seiner Exportweltmeisterpolitik diese Glanztat, ganz zum Stolz der Regierenden: Als Wolfgang Schäuble 2017 in den Ruhestand ging, formierten sich die Mitarbeiter des Finanzministeriums für ein Foto zu einer gigantischen schwarzen Null. Die CDU veröffentlichte im selben Jahr das Foto einer schwarzen Null mit Wachtmeistermütze und erklärte stolz: „Wir stehen zu unserem Fetisch.“Nun gilt für Fetische ja im Regelfall: besser zu Hause ausleben. In einem liberalen Land steht es jedem Unionspolitiker frei, mit seinem Geld zu machen, was er will. Doch ihre Schuldendogmatik hat die Union über Jahre hinweg einer ganzen Volkswirtschaft verordnet, sie 2009 mit der SPD sogar als Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen. Seitdem hat diese Ideologie Verfassungsrang. Was von Union und auch FDP als Tugend betrachtet wird, ist vor allem Ausdruck wirtschaftspolitischer Ideenlosigkeit: Die Angst vor Schulden kann durchaus als Angst vor der eigenen Wirtschaftskompetenz gelesen werden.Geld für Schulen, Bahn und grüne TechnologieDenn was sind Investitionen in Schulen, Bahnnetz und grüne Technologien, wenn nicht Investitionen, die sich rentieren dürften? Letztlich bedeutet eine solche Politik die Mehrung von Human- und Sachkapital – und damit die Garantie, dass die deutsche Volkswirtschaft nicht ins Hintertreffen gerät. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich ausgerechnet Union und FDP gegen Schulden sträuben – Parteien, die über Jahre hinweg stolzer Verfechter einer rücksichtslosen Exportstrategie zulasten des Rests von Europa waren, der dafür als Schuldner Deutschlands herhalten musste.Die Ideologie der schwäbischen Hausfrau ist hierzulande so tief eingesickert, dass die angeblich mit besonderer Wirtschaftskompetenz ausgestatteten Parteien nicht einmal mehr den Zweck von Schulden für den internationalen Standortwettbewerb erkennen: China hängt Deutschland derweil in der Automobilindustrie ab, die USA bringen mit frischen Staatskrediten und dem Inflation Reduction Act ihre Volkswirtschaft auf Vordermann. Die Union hingegen bejubelt voller Süffisanz ihre erfolgreiche Klage gegen die Haushaltspolitik der Ampel-Koalition.Die 60 Milliarden Euro, die dem Klima- und Transformationsfonds nun fehlen, können kaum durch Einsparungen ersetzt werden – ganz besonders nicht durch die Streichung der Kindergrundsicherung, die Friedrich Merz bezeichnenderweise als Erstes in den Sinn kam. Wie genau es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts weitergeht, ist unsicher. Von FDP und Union ist, anders als von der SPD, keinerlei Einsicht in die allseitige Schädlichkeit der Schuldenbremse zu erwarten, ihr Fetisch droht als radikal unsozialer Austeritätskurs zur Geißel für einen Großteil der Bevölkerung zu werden.Placeholder authorbio-1