Klimafonds Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sondervermögen und Schattenhaushalten bleibt von der einstigen Agenda der „Fortschrittskoalition“ nur noch das Spardiktat der FDP
Wer an der Infrastruktur spart, riskiert kaputte Ampeln
Illustration: der Freitag
Wir müssen uns die Ampel-Koalition als eine Comic-Figur vorstellen, die schon über den Abgrund hinausgerannt ist, aber gerade erst merkt, dass sie keinen Boden mehr unter den Füßen hat. Noch fällt sie nicht, noch ist sie noch nicht unten zerschellt und zerbrochen. Aber sie schwebt schon über dem Nichts, sieht nach unten und weiß, dass das Ganze nicht gut ausgehen kann.
Wer ihr den Boden unter den Füßen weggerissen hat? Das Bundesverfassungsgericht. Am 15. November hat es das Ende der Ampel-Koalition, so wie wir sie kennen, eingeläutet. Dass die Spitzen der drei Parteien sich wenige Minuten nach der Verkündung des Urteils noch vor die Presse stellten und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sinngemäß sagte: „Gehen Sie weiter,
e weiter, hier gibt es nichts zu sehen“, muss bloß als Indiz verstanden werden, dass die drei Regierungsparteien nun wirklich nicht mehr weiterwissen.Denn das war doch eigentlich die Vereinbarung, die SPD, Grüne und FDP im Innersten zusammenhielt: zugleich zu sparen und trotzdem in die Zukunft zu investieren. Zugleich die Schuldenbremse einzuhalten und trotzdem Geld für die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft zu haben. Zugleich Haushaltsdisziplin zu wahren und trotzdem den Sozialstaat hier und da auszubauen. Jeder bekam ein bisschen von dem, was er seinen Wählern und Wählerinnen versprochen hatte: Olaf Scholz ein wenig „Respekt“, ausgedrückt im Bürgergeld und in der Anhebung des Mindestlohns, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ein wenig Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren und der Energiewende, Christian Lindner (FDP) die Einhaltung der Schuldenbremse und keine Steuererhöhungen.Sparen und zugleich Geld ausgeben: Das geht nun nicht mehrDas Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil dieses Arrangement beendet. Formal ging es in Karlsruhe darum, ob die Ampel Gelder aus ungenutzten Corona-Fonds in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschieben dürfe (sie darf es nicht); in der Sache ging es darum, ob die Haushaltspolitik der Ampel verfassungsgemäß sei oder nicht: Ob man also hunderte Milliarden während der Aussetzung der Schuldenbremse in verschiedene Sondervermögen packen kann, mit dem man dann in anderen Jahren, da die Schuldenbremse wieder greift, sinnvolle Projekte finanzieren kann. Nein, auch das darf man nicht, sagt das Bundesverfassungsgericht.Die Folge des Urteils ist, dass nun Geld fehlt: 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds sind einfach nicht mehr da. Und sehr wahrscheinlich haben die Probleme für die Ampel damit gerade erst begonnen: Denn der sogenannte „Doppel-Wumms“, also jener Geldtopf für die Strom- und Gaspreisbremse, der eigentlich Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) heißt, wurde ja nach demselben Prinzip aufgesetzt, das der Verschiebung der Corona-Gelder in den KTF zugrunde liegt: Als die Schuldenbremse ausgesetzt war, befüllte der Finanzminister den WSF mit 200 Milliarden Euro, die nun, da die Schuldenbremse wieder greift, ausgegeben werden. Bis jetzt hat niemand vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den WSF geklagt, die CDU/CSU hat erst ein Gutachten in Auftrag gegeben, ob so eine Klage Aussicht auf Erfolg haben wird. Robert Habeck hat aber bereits angedeutet, dass auch der WSF wohl nicht zu halten sein wird.Haushaltssperre!Von den drei verschiedenen Agenden der Ampel – Respekt, grüne Transformation und Sparen – ist unter diesen Umständen eine allein machbar: Sparen geht immer, nur geht dann halt alles andere nicht mehr. Konkrete Folge des Karlsruher Urteils ist, dass im Haushalt für das Jahr 2024 rund 20 Milliarden Euro im KTF fehlen. Fällt auch der WSF, wächst das Haushaltsloch um weitere zehn Milliarden allein für das nächste Jahr. Das ist auch der Grund dafür, dass der Finanzminister zuerst eine Haushaltssperre für den KTF erlassen hat, inzwischen sogar auch für weite Bereiche des Kernhaushalts. Zuallererst betroffen sind die Kernprojekte der grünen Agenda, also Subventionen für Wind- und Solarenergie, für den Naturschutz, für die grüne Industrie, aber auch für den Ausbau der Bahn.Man kann davon ausgehen, dass sich die Grünen wieder einmal schwarzärgern, dass sie dem Chef einer Partei, die in Umfragen derzeit bei fünf Prozent liegt, ebenjenes Ministerium überlassen haben, an dessen Schalthebel er nun alle anderen Projekte der Bundesregierung blockieren kann.Für den Ökonomen Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Berater von Habecks Wirtschaftsministerium, steht nun „die klima- und industriepolitische Agenda der Ampel zur Disposition“. Er will noch nicht von einer Koalitionskrise reden, sagt dem Freitag aber: „Das hat das Potenzial, zu einer zu werden.“ Denn die Ampel hat jetzt nur drei Optionen dafür, das Haushaltsloch zu stopfen: zu sparen, Steuern zu erhöhen oder eine „außergewöhnliche Notsituation“ zu erklären und damit die erneute Aussetzung der Schuldenbremse zu begründen. Tatsächlich ist als Erstes gleich eine Diskussion darüber entbrannt, woran nun gespart werden kann: Wenig überraschend sieht die FDP bei den Sozialleistungen Potenzial, während die Grünen umweltschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg ins Auge fassen. Südekum gibt allerdings zu bedenken, dass man weder mit dem einen noch mit dem anderen realistischerweise 60 Milliarden Euro auftreiben kann. „Aus meiner Sicht“, sagt er, „müssen wir ehrlich über andere Lösungen reden, anstatt so zu tun, als ob wir das Problem durch Kürzungen aus der Welt schaffen könnten.“Schon vor dem Urteil reichten die Investitionen nichtDenn schon vor dem Karlsruher Urteil sei der Kurs der Haushaltspolitik nicht expansiv gewesen: „Schon der geplante Haushalt noch vor diesem Urteil hatte den Herausforderungen nicht genügt, um etwa die Klimaziele einzuhalten, die wir uns selbst gesetzt haben.“ Und um die anstehende Transformation der Wirtschaft und einer ganzen Lebensweise zu „postfossil“ zu stemmen, vor allem, da Wettbewerber – ob die USA oder China – staatliche Förderprogramme und Unterstützung in Milliardenhöhe in die Hand nehmen.Südekum fordert, die Ampel solle sich ehrlich machen, aber auch CDU und CSU, die, sollten sie in naher Zukunft regieren, ebenso von der scharf gestellten Schuldenbremse betroffen sein werden: „Wollen wir diese Transformations-Agenda weiterhin verfolgen, nicht nur aus klimapolitischen Gründen, sondern auch aus industrie- und wirtschaftspolitischen? Lautet die Antwort ja, dann sollten wir sie solide finanzieren, bis 2030 und darüber hinaus.“ Das aber, so Südekum, gehe nicht ohne eine „entsprechende Anpassung der Schuldenbremse“.Die naheliegendste Reform der Schuldenregel wäre, sie zwar weiter für Konsumausgaben des Staates, nicht aber für Investitionen gelten zu lassen. Eine andere Option schlägt Südekum selbst vor: „Man könnte ein Sondervermögen Klima aufsetzen, so wie es bei der Bundeswehr auch ging“, also zusammen mit der Union. „Nur muss das ins Grundgesetz geschrieben werden, um auch rechtssicher zu sein“, sagt der Ökonom. Denn das ist der Grund dafür, dass das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht wackelt: SPD, Grüne und FDP haben es gemeinsam mit CDU und CSU aufgesetzt und dann gleich ins Grundgesetz geschrieben.Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Union der Ampel-Koalition auf absehbare Zeit den Gefallen tun wird, für sie die heißen Haushaltskartoffeln aus dem Feuer zu holen. Auch wenn jetzt schon klar ist, dass sie sich bald selbst die Finger daran verbrennen wird. Denn von 2025 an wird es noch weniger Spielräume im Haushalt geben, sagt Südekum: keine Rücklagen im KTF mehr. Von 2027 an steht zudem die Tilgung der Notfallkredite an, die während des Aussetzens der Schuldenbremse aufgenommen wurden. Langfristig hätte die Union also ein Interesse daran, das Problem zu lösen. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass sie ihrem kurzfristigen Interesse nachgibt, der kommenden Selbstzerfleischung der Ampel genüsslich zuzusehen.
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