Hält die Ampel-Regierung? Was für und was gegen einen Bruch der Koalition spricht
Analyse FDP und Grüne in einer Regierung – das war machtpolitisch plausibel, aber inhaltlich absurd. Die Streits zwischen Christian Lindner und Robert Habeck weisen verblüffende Parallelen zum Ende der sozialliberalen Koalition 1982 auf
Christian Lindner von der FDP, Robert Habeck von den Grünen – aber Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist hier mal wieder nicht zu sehen
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Am 17. September 1982 traten die vier Bundesminister der FDP zurück. Damit war die sozialliberale Koalition geplatzt. Einer der vier, Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, hatte auf Bitten des Bundeskanzlers am 9. September ein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche“ vorgelegt. Mit diesem Konzept wollte Lambsdorff aber nicht nur die Staatsverschuldung eindämmen, mehr Investitionsanreize für Unternehmer schaffen und drastische Kürzungen im Sozialbereich vornehmen, er wollte vor allem die Koalition erledigen.
Die Positionen der beiden Regierungspartner waren nicht mehr zur Deckung zu bringen. Die SPD verlangte Steuererhöhungen, die FDP – wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan – Steuersenkungen, um di
bringen. Die SPD verlangte Steuererhöhungen, die FDP – wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan – Steuersenkungen, um die „bedrohlich nachlassende Wettbewerbsfähigkeit“ zu beheben. Die Liberalen drängten auf eine „wirtschaftspolitische Zeitenwende“ – und genau das tun sie heute wieder. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass die Rolle der SPD inzwischen von den Grünen ausgefüllt wird und die FDP nicht mehr den Wirtschafts-, sondern den Finanzminister stellt. Könnte es sein, dass die Regierung, wie 1982, an „unüberbrückbaren Differenzen“ beim Haushalt scheitert?Wieder ein russischer KriegZumindest die Vorgeschichten weisen verblüffende Parallelen auf. Beide Regierungen, die sozialliberale von 1980 und die Ampel von 2021, waren als „Reform-“ bzw. „Fortschrittskoalition“ gestartet, beide wurden durch einen russischen Einmarsch (1980 in Afghanistan, 2022 in die Ukraine) aus der Bahn geworfen, beide hatten mit heftig umstrittenen Aufrüstungsvorhaben zu kämpfen, die einen mit dem NATO-Doppelbeschluss, die anderen mit der NATO-Aufrüstung im Zuge des Ukraine-Kriegs. Heute wie damals setzten einflussreiche Wirtschafts- und Medien-Eliten „ihre“ FDP unter Handlungsdruck, während die Partei in Landtagswahlen serienweise Niederlagen kassierte. Selbst in Hessen scheiterte sie im Herbst 1982 an der Fünfprozenthürde. Der heutigen FDP ergeht es nicht anders. Seit ihrem Eintritt in die Ampelregierung stolpert sie von Misserfolg zu Misserfolg, in NRW und Schleswig-Holstein wurde sie bei den Wahlen fast halbiert, in Niedersachsen und Berlin flog sie aus dem Landtag, in Bayern sind die Aussichten nicht rosig. Erneut könnte eine Landtagswahl in Hessen die Entscheidung bringen, im Oktober.Doch eine Wiederholung von 1982 halten die meisten Beobachter für ausgeschlossen. Zum einen sei die Ampel erst eineinhalb Jahre im Amt. Ein Abspringen nach so kurzer Zeit würde die Lindner-FDP für alle künftigen Partner vollends zur unberechenbaren Größe machen. Die sozialliberale Koalition ist erst nach 13 Jahren geplatzt, ihr Verschleiß zeichnete sich lange ab und trotzdem hing der FDP der „Verratsvorwurf“ noch lange in den Kleidern.Von der Ampel zu Jamaika?Entscheidend sei indes ein anderer Grund: Es gibt für die FDP derzeit keine Alternative, weil es die Alternative schon gibt: die Alternative für Deutschland (AfD). Anders als 1982 verfügen Union und FDP über keine eigene Mehrheit, sie bräuchten einen dritten Partner. Es wäre aber ein Treppenwitz der Geschichte, würde die FDP die Ampel aus Wut über die Grünen verlassen, um im Rahmen von Jamaika sofort wieder mit ihnen zu koalieren.Trotz dieser parteistrategisch fundierten Einwände ist ein vorzeitiges Ende der Ampel nicht mehr ausgeschlossen. Denn jenseits der beliebten Koalitionsspielchen gibt es ja noch die Realität. Und die besagt: Wirtschaftsentwicklung und Ukraine-Krieg könnten den bislang unter den Teppich gekehrten Grundwiderspruch zwischen FDP und Grünen so eskalieren lassen, dass den Parteien die Entscheidung irgendwann aus der Hand genommen wird.Von Tempolimit bis WärmepumpeProgrammatisch liegt der Grundwiderspruch offen zutage: Die FDP betrachtet die grünen Modernisierungsvorhaben nicht als unerlässliche Maßnahmen gegen den Klimawandel, sondern als sozialistischen Irrweg in die „Planwirtschaft“. Sie lehnt die staatliche Subventionierung erneuerbarer Energien ebenso ab wie die Festlegung auf verbindliche CO₂-Reduktionsziele. Sie will kein Tempolimit, keine „zwangsweise“ Einführung von Elektroautos und Wärmepumpen und kein Frackingverbot. Die „Freidemokraten“ wenden sich gegen jede „Verzichts- und Verbotsideologie“. Der Markt soll es richten. Die Grünen dagegen wollen riesige Investitionsprogramme aus Steuermitteln und staatlicher Kreditaufnahme. Der Staat soll die Energie-, Verkehrs-, Agrar- und Wärmewende finanzieren sowie einen Green New Deal und einen grünen Marshallplan auflegen. Verbieten soll er Tempo 150, Glyphosat, Gasheizungen und Verbrennungsmotoren. Das bedeutet: umbauen und umverteilen, kurz: Revolution!Grüne und FDP in einer gemeinsamen Regierung, das mag machtpolitisch plausibel sein, inhaltlich ist es absurd. In einer solchen Koalition fällt der FDP die Aufgabe zu, die Vorhaben der Grünen zu verhindern.Startpunkt Atomkraft-FrageEin erstes Aufflackern der Unvereinbarkeiten zeigte sich beim Streit über den Weiterbetrieb der letzten Atomkraftwerke. Während die Grünen – zur Vermeidung von Versorgungsengpässen – lediglich einen kurzen Streckbetrieb erlauben wollten, verlangte die FDP den Weiterbetrieb über 2023 hinaus. Erst ein Machtwort des Kanzlers konnte den Streit beenden. Allerdings nur vorübergehend.Im Februar kabbelten sich Wirtschafts- und Finanzminister erneut. Robert Habeck verlangte von Christian Lindner die Bereitschaft zu staatlichen „Einnahmeverbesserungen“, sprich Steuererhöhungen. Lindner lehnte mit Verweis auf die Schuldenbremse ab. Statt wie versprochen die Eckwerte für den Haushalt 2024 zu präsentieren, vertröstete er die Grünen auf die nächste Steuerschätzung.Robert Habecks Partei demütigenIn dieser aufgeladenen Atmosphäre tagte Ende März der Koalitionsausschuss. Nach 30 zähen Verhandlungsstunden war klar: Die FDP hat sich durchgesetzt. Verkehrsminister Volker Wissing wurde von der Verpflichtung entbunden, für sein Ressort ein Sofortprogramm zur CO₂-Reduzierung vorzulegen. Als Gegenleistung sollte Habecks Wärmepumpenwende den Bundestag noch vor der Sommerpause passieren. Doch statt sich an die Absprache zu halten, initiierte die FDP – über Bande – eine Kampagne gegen „Habecks Heizungs-Hammer“ (Bild). Die Grünen mussten zähneknirschend klein beigeben. Um sie ein weiteres Mal zu demütigen, nutzte Lindner die Steuerschätzung am 11. Mai: Der Staat werde 2024 fast 31 Milliarden Euro weniger einnehmen als bei der letzten Steuerschätzung prognostiziert. Teure Vorhaben wie die Kindergrundsicherung seien deshalb nicht zu realisieren. Wegen der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit im „Hochsteuerland Deutschland“ sei jetzt auch „nicht die Zeit für Steuererhöhungen“. Die Haushaltsberatungen müssten erneut verschoben werden.Um das Maß voll zu machen, schickte die FDP-Fraktion dem grünen Wirtschaftsminister Fragenkataloge zum geplanten Gebäudeenergiegesetz. Ob es sich dabei um 77, 101 oder 113 Fragen handelte, kann die FDP bis heute nicht beantworten. Egal, Hauptsache Blockade. Der Dauerstreit zwischen Lindner und Habeck führt nun dazu, dass sich FDP und Grüne nicht mehr, wie in der Vergangenheit, auf Kosten des jeweils anderen profilieren können, er bewirkt vielmehr, dass beide Parteien gemeinsam verlieren, wie jüngst bei der Wahl in Bremen.Christian Lindner macht hellhörigAuch von außen erfährt die Ampel zunehmend Druck: durch Rezession und Inflation, durch die immer schwieriger werdende Unterbringung von Flüchtlingen, durch Fachkräftemangel und sich häufende Dysfunktionalitäten in der öffentlichen Versorgung (Zugausfälle, fehlende Ärzte und Medikamente, Mangel an Kitaplätzen und Wohnungen), und nicht zuletzt durch den Ukraine-Krieg, der immer mehr Geld und Waffen fordert. Der krisenbedingte gesamteuropäische Trend zu konservativen Regierungen isoliert die Ampel auch international.Vor diesem Hintergrund macht Christian Lindners Rede beim Bundesverband Beteiligungskapital in der vergangenen Woche doch hellhörig. Angesichts „schwindender Wettbewerbsfähigkeit“ und aufziehender Rezession forderte der Finanzminister eine „wirtschaftspolitische Zeitenwende“. Das klingt verdammt nach 1982. Vielleicht ist das nächste „Lambsdorff-Papier“ schon in Arbeit.