Christian Lindner und Robert Habeck wären ein gutes Team
Zusammenspiel Christian Lindner und Robert Habeck beweisen beide auf ihre Art: Der Typus des Politikers hat sich gewandelt. Noch agieren sie oft gegeneinander. Im Team könnten sie dem Berufspolitiker jedoch endlich neues Renommee verschaffen
Fotomontage: der Freitag, Material: Getty Images, dpa
Ein Mann in schwerer Mission, einer, der die Welt vor dem Untergang bewahren muss. So geriert sich Christian Lindner in seinen furiosen Schwarz-Weiß-Videoclips zu den letzten Wahlen. Spätnachts arbeitet er im Büro Akten durch, danach sitzt er schon wieder im Dienstwagen, um später zu gebannten Zuhörern zu sprechen. All diese Momentaufnahmen rasen wie ein Schnellzug an uns vorüber.
Nur er, dieser Politiker, athletisch, mit aufrechtem Kreuz, erweist sich als Anker in einer haltlosen Globalisierung. Unter solchem Heldentum macht es der Workaholic offenbar nicht. Er will als Gralshüter der Schuldenbremse und als Macher gelten, als einer, der auf die großen Probleme der Zeit griffige, smart formulierte Antworten hat – ein Image, an dem der Frontmann
t formulierte Antworten hat – ein Image, an dem der Frontmann der FDP schon früh gearbeitet hat. Als man den Begriff Start-up noch nicht einmal kannte, drehte er bereits als Jugendlicher Videos über seine erste Unternehmensgründung und war seiner Zeit voraus.Christian Lindner inszeniert sich als MacherUnd heute? Stellt ebendieser inzwischen ins Kabinett aufgestiegene Lindner jenen Typus dar, nach dem sich Menschen und Land sehnen? Nun ja, seine souveräne Ausstrahlung wird seine Wirkung nicht verfehlen, gerade in einer Epoche, in der alle Gewissheiten von einst verloren gegangen zu sein scheinen. Zumal man im Volksmund nur allzu gern den Wunsch nach einem wie dem verstorbenen Helmut Schmidt, diesen großen Lotsen in unsicherem Gewässer, vernimmt. Obgleich der Liberale durchaus den anpackenden Gestus demonstriert und beispielsweise mit der Jagd als Hobby das traditionelle, virile Männlichkeitsbild kultiviert, wird der Überschuss an Selbstbewusstsein nicht allen gefallen. Helden tragen eben immer auch den Makel des Falschen. Oder überschrieb man die Spätmoderne nicht mit dem Postheroischen?Dem Macher Linder steht mit Robert Habeck ein in stilistischer und weltanschaulicher Hinsicht anderer Typus gegenüber. Zwar trägt Letzterer seit seiner Ernennung zum Minister Jacketts und bisweilen Anzüge, doch zumindest die alte Ledertasche verrät noch, woher er kam, nämlich aus einem zutiefst alternativen, ländlichen Milieu, genauer: Schleswig-Flensburg, dem äußersten Zipfel der bundesrepublikanischen Landkarte. Strubbeliges Haar, Hände in den Hosentaschen – so trat der 1969 in Lübeck geborene Familienmensch vor 21 Jahren den Grünen bei. Er wollte die Dinge vor Ort anpacken und tat es auch. Nachdem er noch mit einer frühen Kandidatur für den Bundesvorstand gescheitert war, schaffte er es zum Minister im Kabinett von Daniel Günther (CDU).Einen rund fünfzigprozentigen Zuwachs der Biolandflächen kann Habeck als Verdienst seiner damaligen Amtszeit ebenso für sich verbuchen wie den sogenannten Muschelfrieden, durch den eine naturverträgliche Miesmuschelkulturwirtschaft möglich wurde. Habeck sinnt auf Lösungen von Problemen, wo sie entstehen. Mit durchaus vergleichbarem Arbeitsethos wie Lindner: „Seit zehn Tagen habe ich nicht mehr abgewaschen. Der Müll ist nicht rausgebracht. Die Milch ist alle. Heute Morgen habe ich Müsli mit Wasser gegessen, ohne Scheiß“, sagt er in einem Interview. Ohne Durchhaltevermögen und den gesunden Pragmatismus des „Realo“ hätte er in der brenzligsten Energiekrise des Landes wohl kaum mit saudischen Öl-Scheichs verhandelt.Robert Habeck zeigt seine GewissenskonflikteLindner und Habeck, zwei Kämpfernaturen und doch so verschieden. Während der Finanzminister den Saubermann mit Inbrunst und Durchsetzungskraft repräsentiert, sticht Habeck durch sein intellektuell charismatisches Grübeln hervor. Wie kaum einer zuvor thematisiert er seine Selbstzweifel, allen voran bei der Auffüllung der Gasspeicher und dem Bau der LNG-Terminals, öffentlich. Er wägt ab, pendelt zwischen grüner Empfindsamkeit und rational gebotener Notwendigkeit des Realen. Dass er seinen Gewissenskonflikt nach außen trug, verhalf ihm phasenweise zur Spitzenposition unter den beliebtesten Politikern der Deutschen. Authentizität, und ja, ebenso Verletzlichkeit wird honoriert, wie der Blick auf die jüngere Geschichte zeigt.Man denke nur an den anfänglichen Hype um Martin Schulz‘ Kandidatur. Die Geschichte vom Buchhändler aus einfachen Verhältnissen, der es bis ganz nach oben schaffte und aus seiner privaten Verirrung im Alkoholmissbrauch keinen Hehl machte, traf zumindest für einige Wochen die Herzen der Wähler. Auch der Hype um die Augenklappe von Olaf Scholz stand in der Tradition der Verletzlichkeit der Macht.Willy Brandt wiederum erhob in seinem oft bedachtsamen Auftreten und nicht zuletzt seinem berühmten Kniefall die Demut zur Tugend. Bei den Kontrahenten Habeck und Lindner äußert sie sich in einem staatstragenden Respekt vor dem Amt – und überdies vor dem Regieren selbst. Während andere populistisch im Bierzelt hetzen, wissen sie, dass Handeln notwendig ist und Konsequenzen mit sich bringt. Doch gerade hierin äußert sich, wie der römische Rhetoriker Cicero festhält, der Edelmut der Politik: „Es ist nicht genug, Tugend zu besitzen, ohne sie auszuüben. Tugend besteht überhaupt nur darin, dass man sie übt! Ihr edelstes Übungsfeld aber ist: den Staat zu lenken. Und gerade die Dinge, die jene im stillen Winkel lautstark predigen, durch die Tat, nicht durch das Wort zu verwirklichen.“Max Webers WahrheitspflichtDas Tun bildet die Bewährungsprobe für die wiederum von Platon benannten Kardinaltugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit. Interpretiert man letztere zeitgemäß, ließe sie sich als Haltung beschreiben. Weder Lindner noch Habeck mangelt es dabei an ideologischem Fundament (der FDP-Mann hat für sie sogar einmal Koalitionsgespräche platzen lassen!).Beide verfügen sowohl über ein festes Weltbild als auch über eine Vision. Der Grüne strebt nach der klimaneutralen Gesellschaft, die durch ein erhöhtes Investitionsaufkommen und einen lenkenden Staat verwirklicht werden soll, wohingegen der andere eine generationengerechte Gemeinschaft im Sinne hat. Dies bedeutet, dass unsere Kinder in einem solide finanzierten Staatswesen aufwachsen und dadurch dieselben Chancen wie die Älteren heute besitzen sollen.So gegensätzlich diese beiden Spitzencharaktere und Ausnahmetalente des Politikbetriebs auch daherkommen – beide eint aus ihrer jeweiligen Sicht also der Wunsch, das Gute zu realisieren, mithin der einst von Max Weber benannten „Wahrheitspflicht“ (Politik als Beruf) des Politikers nachzukommen. Würde man eine Züchtung aus dem Zweifler- und dem Macher-Gen herstellen, hätte man wohl den Dream-Politiker. Oder käme dann ein scholzomatiges Mitte-Wesen dabei heraus, das niemanden anfeindet, aber auch niemanden begeistert? Aber im Ernst: Diese beiden Extremprofile entwerfen schon für sich bestimmende Typen unserer politischen Kultur. Ins Positive gewendet stellt ihr häufiges Kollidieren die Unterschiedlichkeit und Angebotsvielfalt im demokratischen Spektrum heraus. Sie könnten als Traumteam Stärke mit dem Mut zur Ambivalenz verbinden.Was beiden Politikern fehltWoran es ihnen jedoch fehlt, ist die insbesondere in unserer erhitzten Debattenlandschaft wohltuende Kardinaltugend der Mäßigung. Zuletzt waren die beharrlichen Egodemonstrationen offenkundig beim Gezanke um das Heizungsgesetz und dem richtigen Weg bei der Atomkraft zu beobachten. Ging das nicht einmal anders? Lindner bewies doch mit seiner Partei eine durchaus konstruktiven Oppositionsarbeit unter der Angela-Merkel-Ägide. Viele Corona-Schutzmaßnahmen trug seine Fraktion mit, wandte sich aber differenziert und mit einer zeitgemäßen Definition des Liberalismus gegen die harten Lockdowns.Und Habeck? Im Amt des Landesministers begleitete ihn der Ruf als Schmied von Kompromissen, er brachte Naturschützer, Windradunternehmen, Landwirte immer wieder zusammen, wenn es um schwierige Projekte wie den Trassenbau gen Süden oder Offshore-Anlagen ging.Ob man in zwanzig, dreißig Jahren wohl die Worte wie „Uns fehlt ein Habeck und ein Linder!“ im Volk raunen hören wird, bleibt ungewiss, und es hängt davon ab, ob beide einsehen, dass sie aktuell im selben Boot sitzen. Im Egotrip wird keiner von beiden zu dem avancieren, was die Bevölkerung derzeit so sehr bräuchte, nämlich ein Vorbild. Zwischen einem unter Amnesie leidenden Kanzler – Stichwort Wirecard –, einem Oppositionsführer, der keine zündelnde Stammtischparole auslässt, zwischen Maskenaffäre und Hubert-Aiwanger-Polemik gilt vielen der Politbetrieb als Moloch aus Dekadenz und Selbstsucht.Zwei starke Spieler, die sich nach einem schweren Match die Hand reichen und ihren Vorteil fortan im Duo wahrnähmen – sie hätten das Potenzial zur Versöhnung, könnten verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Alles andere liefe, um im Bild zu bleiben, nur auf Eigentore hinaus.
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