Ästhetik des Widerstands im Film

Für Marx Der Berliner Ak Geschichte Ost West zeigte einen außergewöhnlichen Filmabend, der so realistisch ist wie Kunst nur sein kann.

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Unions-Bashing ist in aller Munde. In fast allen Staaten sind aktive Gewerkschafter_innen mit juristischen Mitteln, mit Verleumdungen, aber auch mit direkter Gewalt konfrontiert. Es gibt viele Filme, die sich mit damit befassen. Sehr bekannt geworden sind "The Navigators" und „Brot und Rosen“ von Ken Loach.In beiden Filmen wird gezeigt, dass die Einschüchterung von aktiven Lohnabhängigen nur möglich ist, wenn sich die Kolleg_innen schon selber aufgegeben haben und nicht mehr daran glauben, die Welt verändern zu können.

„Diese Welt soll unser sein“ - diese empathische Zeile der Internationale hat auch viel zu dem Selbstvertrauen beigetragen, dass Proletarier_innen in aller Welt für eine andere Welt kämpfen ließ. Sie kannten sich in der Produktion aus, sie wussten, was in der Fabrik beachtet werden mussten. Wieso sollen sie nicht auch eine neue Welt aufbauen? Diese berechtigte Frage ist in einer Zeit kaum noch zu hören, in der zumindest in unseren Breitengraden kaum ein Lohnabhängiger noch den Eindruck hat, die Produktion zu kontrollieren. Regrediert auf den Stand des Frühkapitalismus sind die modernen Internetworker_innen nicht nur auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen und Löhne sondern schlimmer noch auch im Bewusstsein. Da zeigt ein außergewöhnlicher Film wie es auch anders sein könnte. „Für Marx“ heißt das Werk der russischen Künstlerin Svetlana Baskova. Bei der Berlinerale 2013 sorgte er für viel Aufsehen. Danach wurde er in Kinos in Deutschland nur noch selten gezeigt. Am 5. Mai ergriff der „AK Geschichte Soziale Bewegungen Ost West“ die Initative und lud zum Filmabend ins Berliner Acud-Kino ein.

Kunst und Revolution

Der Film führt uns in ein russisches Stahlwerk in Zeiten der Krise. Die Welt der Proletarier_innen wird gezeigt, die in dunklen Kellern eine unabhängige Gewerkschaft gründen. Schnell sind sie sich über die Forderungen einig. Viel mehr Zeit lassen sie sich bei der Diskussion über die Kunst. Gogol und seine Stellung im Krieg der Klassen wird ebenso ausführlich behandelt, wie die moderne französische Filmkunst. Ein Arbeiter besucht Veranstaltungen des Filmclubs und macht sich Notizen über die Unterschiede in Filmvorstellungen des Brecht-Theaters und der Hollywood-Kunst. Godard wird als Avantgardist gepriesen. Diese Szenen wirken wie eine Verfilmung von Peter Weiss Monumentalwerk „Ästhetik des Widerstand“, in dem die Proletarier_innen auch immer wieder über Kunst reden. Die Filmszenen rekurrieren auch auf eine Epoche als die Bolschewiki als kämpferische Oppositionspartei die Petersburger Arbeiter_innen organisierte. In den Fabriken, in denen sie großen Einfluss hatte, wurde nicht nur über die aktuellen Tagesforderungen diskutiert, sondern auch über die moderne Kunst und Wissenschaft. Denn die Kommunist_innen wussten damals noch, dass eine befreite Welt nicht nur über Lohnforderungen erreicht werden kann. Kommunismus war damals im bolschewistischen Verständnis eben nicht nur Elektrifizierung sondern auch die Aneignung der avantgardistischen Kunst und Wissenschaft durch die Proletarier_innen.

Hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet die Zukunft hervor

Im Film wird diese Welt der Proletarier_innen und ihres Emanzipationskampfes konfrontiert mit der Welt der russischen Oligarchen, die in ihren teuren Loftsdie Vernichtung der aktiven Gewerkschafter_innen anordnen und sich gleichzeitig darüber unterhalten, wie sie bei einer Auktion in London für Millionenbeträge die modernste Kunst einkaufen können. Schließlich macht es sich gut, wenn an den Wänden die angesagten Bilder hängen, wenn die westlichen Delegationen zu Verhandlungen anreisen. Diese unterschiedliche Funktion von Kunst bei den Proletarier_innen und den Oligarchen ist für mich der Kern und die Stärke des Films. Es wird gezeigt, wie die Terrorwelle einsetzt, während die unabhängigen Gewerkschafter_innen ihre erste Demonstration vorbereiten. Eine Szene ist besonders eindringlich. Der Kern der Aktivist_innen sitzt in einen kleinen hell erleuchteten Raum, diskutiert dort die nächsten Schritte und wechselt schnell zur Kulturdebatte. Drumherum liegen alle Gänge im Dunklen, dort treiben sich auch Kollegen herum, die die Gewerkschafter_innen bespitzeln. Dieses Bild erinnert an die Licht-Metapher, die in vielen Liedern der Arbeiter_innenbewegung eine große spielt. „Hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet die Zukunft hervor". Doch „Für Marx“ ist kein optimistischer Film. Die Kerngrupe der Gewerkschafter_innen wirdermordet. Gelingt es den Überlebenden, vor allem den enthusiastischen Jungen, die eifrig Transparente malen, den Weg der Emanzipation fortzusetzen? Die Frage bleibt offen. Am Ende des Filmes liefern sich auch die Oligarchen ein Shotdown. „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt einer der Reichen und Mächtigen. Damit meint er ,dass eine neue Regulationsphase des Kapitalismus begonnen hat . Der wilde Kapitalismus der Jelzin-Ära mündete in den staatlich regulierten Kapitalismus unter Putin. Manche der reichen Männer von einst wurden Minister, andere wanderten ins Gefängnis, gingen ins Exil oder starben unter mysteriösen Umständen. Doch für die Masse der Menschen, die an den Werkbänken ihr Leben fristeten oder gar keine Lohnarbeit haben, hat sich nicht viel geändert. Darum wird es auf der heutigen en Veranstaltung desAK Geschichte Soziale Bewegungen Ost West“ mit der russischen OppositionellenIrina Scherbakow gehen.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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