Der Mauerrummel – der eueste deutscher Opfergang

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Wer kann die Pyramiden überstrahlen?

Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?

Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen

Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.

Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.

Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.


Peter Hacks, Das Vaterland


Nun ist wohl das Schlimmste überstanden. Am Samstag wird der Höhepunkt des deutschen Mauerzirkus zelebriert und dann dürfte zumindest die nächsten fünf Jahre wieder etwas Ruhe eintreten. Dass allerdings zum Thema Mauer noch etwas Restvernunft eintritt, ist unwahrscheinlich. Denn zum 50ten Jubiläumstag ist der Mauerbau und -fall endgültig Teil des deutschen Opfermythos geworden. So wie den Bombenopfern im zweiten Weltkrieg, der Flüchtlingssaga infolge des zweiten Weltkrieges, so wird auch die Geschichte der Mauer eingereiht in dieses Lamento: Wie haben wir gelitten und wie tapfer haben wir wiederstanden. Und am Ende haben wir gesiegt. Deshalb wollen wir auch gar nichts davon hören davon, dass eine Vorgeschichte gab. Denn damals marschierte dieses „Wir“ als r deutsche Volksgemeinschaft mordend und brandschatzend durch Europa, trieb alle Juden, die sie finden konnte in die Vernichtungslager. Ja, ja, schlimm war das und das wird niemand vergessen, erklärten die nationalen Geschichtserklärer. Aber daran wollen wir bitteschön nicht erinnert werden, wenn wir unsere Leiden zelebrieren. Deswegen galt die Vorsitzende der Linken Gesine Lötzsch schon als Nestbeschmutzerin, als sie nur an die simple historische Tatsache erinnert, dass ohne den Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion vor 70 Jahren nie eine Mauer gebaut worden wäre. Sie hätte den Zusammenhang noch zuspitzen müssen. Hätte es in Deutschland genügend Menschen gegeben, die gegen die Nazis gekämpft hätten, statt als Mordkollektiv mit ihnen die Vernichtungslager am Laufen gehalten zu haben, hätte es die Mauer nicht gegeben.

Aber wenn nationale Mythen zelebriert werden, haben simple Tatsachen keine Chancen auch nur angehört zu werden. So wird in diesen Tagen auch selten erwähnt, dass auch die Westalliierten den Mauerbau durchaus mit Erleichterung begegneten. Sie waren sich sicher, dass die durchgeknalltesten deutschen Revisionisten jetzt an der deutschen Frage keinen Krieg mehr entfachen konnten. So konnte man nach dem Mauerbau noch einmal so etwas wie eine informelle Anti-Hitlerkoalition am Werk sehen, die die selbsterklärten Nachfolgern des 3.Reiches in Bonn in die Schranken gewiesen hat. Natürlich wird auch nicht mehr erwähnt, wie erleichtert diejenigen waren, die wirklich noch hofften, aus der DDR nach der Schließung der Grenze „ein anderes Deutschland“ machen zu wollen. Dabei hatte Bert Brecht dazu schon 8 Jahre zuvor gesagt, dazu hätte sich die SED ein anderes Volk wählen müssen. Mit den NS-Tätern und Mitläufern, die es in allen Teilen Deutschlands kam, konnten auch die wenigen Antifaschisten an der Spitze keinen anderen Staat machen. Einer, der damals die Mauer verteidigte und heute ein besonders lauter Lautsprecher des deutschen Opfermythos ist, hat sich auch noch einmal aus der Gruft gemeldet. Dabei vergisst Wolf Biermann nicht auf seine eigenen Verdienste zu verweisen, die er mit seinen Gadichten und Liedern zum Fall der Mauer auch gegen seinen damaligen Willen beigetragen hat. Dialektik hatte derals Jungkommunist von Hamburg in die DDR migrierte Biermann schließlichim roten Elternhaus gelernt. Doch was seine und seiner Freunde Kunst betrifft, da hat Wiglaf Droste schon vor Jahrzehnten das nötige gesagt, als er als eines der größten Verbrechens des SED-Regimes benannte, dass die BRD mit soviel schlechten Gedichten und Gesang traktiert worden ist.

Ein anderer Blick – keine andere Sicht


Niemand redet auch heute mehr davon, dass es DDR-Oppositionelle waren, die im November 1989 die überstürzte Grenzöffnung als letzte Rache der SED-Gerontologie werteten. Ihnen war sofort klar, dass damit alle Vorstellungen, eines Sozialimus ohne Staat und Stasi umzusetzen, wie es die DDR-Oppositionellen zu dieser Zeit noch vorhatten, endgültig eine Fußnote der Geschichte bleiben würde. Das gerade mal 21 Jahre später davon niemand mehr was wissen will, zeigt wie wirkungsmächtig ein nationaler Opfermythos ist.

Das konnte man gut in der Eröffnungsveranstaltung des Rahmenprogramms zur durchaus interessanten Ausstellung "Aus anderer Sicht – die frühere Berliner Mauer“ beobachteten. Die Exposition, die prominent in einen extra zum Museum umgestalteten Gebäude Unter den Linden 40 noch bis zum 3.10. zu sehen sein wird, lädt gerade wegen ihrer unspektakulären Fotos, die die DDR-Grenzer machten, zum Nachdenken ein. Besonders die Texte aus den Meldungsbüchern der Grenzbeamten über Vorkommnisse rund um die Mauer vermitteln einen unaufgeregten Einblick. Da wird darüber berichtet, wie sich nun durch die Mauer getrennte Freunde und Verwandte zuwinken, wie den Grenzern auch mal Gesundheit oder ein Gruß entsandt wurde, von Tragödien wie im Grenzbereich ertrunkenen Kindern erfährt der Leser. Aber auch von vielen braunen Provokationen wird nicht geschwiegen, so dass die Mauer manchmal doch ganz in der SED-Propaganda als ntifaschistischer Schutzwall fungierte. Aber natürlich wurde darüber auf der Veranstaltung unter dem Titel „Zur Ästhetik des banalen Bösen“ nicht geredet. Alle Diskussionsteilnehmer und auch die Moderator_innen reihten sich nahtlos ein in den nationalen Opferdiskurs. Es wurde höchstens darüber gestritten, ob man den Zweck besser erreichen kann, wenn man die Mauer ein Stück weit wieder aufbaut oder ob die noch vorhandenen Relikte genügend Gruselfaktor mobilisieren können. Historische Fakten waren an dem zweistündigen Abend nicht gefragt. Dafür hielt eine Mitarbeiterin der Ausstellung aus dem Publikum mit Verweis auf die Besucherkommentare eine Eloge auf den nationalen Zusammenhalt, den Mauer und Großmächte nicht zerstören konnten. Da es eine ernstzunehmende antideutsche Bewegung, die diesen Namen verdient, sich rund um den nationalen Mauertag nicht öffentlich artikuliert, muss jeder Mensch mit Restvernunft hoffen, dass der aktuelle Rummel zumindest bald vorbei ist und kann vielleicht Trost bei jenen gnadenlosen Realisten Peter Hacks nehmen, dessen dem Artikel vorangestelltes Mauerlob übrigens von der Moderatorin Annett Gröschner als Absonderlichkeit zu Beginn der Veranstaltung zitiert wurde. Dabei wurde in dieser Polemik mehr Gehaltvolles über die Mauer gesagt als in den Statements danach.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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