Einen deutschen Mythos versenken

Berlin is not Bayreuth Das Happening versteht es mit viel Humor den gesamten Wagner-Kult auf die Schippe zu nehmen, doch die Künstler*innen vermeiden es, in Klamauk abzurutschen.

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Es war der früh verstorbene Videokünstler Gerry Schum, der Ende der 1960er Jahre eine besondere Kunstform vorstellte. Ein Wochenende wurde in einer Gallery oder auf einen vorher anders genutzten Areal ein Happening veranstaltet. Es gab in jeder Ecke Vorführungen, Performances, Musik und Theater. Das war damals eine neuartige Form der Kunst und viele der NS-sozialisierten Zeitgenoss*innen bezweifelten vor 50 Jahren noch, ob das überhaupt Kunst ist. In Berlin zumindest sind solche Kunsthappenings längst Teil des Touristikmarketings. Oft fehlt dabei eine gemeinsame Idee und die Aktionen werden beliebig. Das kann man von dem Happening nicht sagen, das noch bis zum Sonntag zahlreiche unter dem Motto „Berlin ist nicht Bayreuth“ auf dem Gelände der B.L.O-Ateliers in unmittelbarer Nähe des S-Bahnhofs Nöldner Platz zu erleben ist. Ein großes Ohr in der Unterführung zur S-Bahn ist nicht zu übersehen. Dort ist der Eingang zu den Ateliers und zu den Festivals. Am Dach eines der auf dem Gelände stehenden Gebäude im Eingangsbereich heißt wurde das Festivalmotto leicht abgewandelt und personifiziert. „Klaus Lederer ist nicht Richard Wagner“, heißt es dort. Zum Glück gibt es noch keinen AfD-Kulturverantwortlichen, könnte darin ausgedrückt werden. Das ganze Happening könnte auch dazu beitragen, das zu verhindern, ohne dass das irgendwo formuliert wird. Und das ist gerade eine besondere Qualität. Denn schon bei einen kurzen Rundgang über das Festivalgelände wird deutlich, dass es sich hier um ein Happening handelt, dass Wagner, seine schwülstigen, deutschtümmelnden Arbeiten und den ganze Wagner- Kult, der sich rund um Bayreuth breit gemacht hat, gehörig auf die Schippe nimmt oder eben auch dekonstruiert wird, um es neudeutsch zu formulieren.

Tannhäuser war ein völkisches Sampling

Da sind auf dem Gelände Plätze eingezäunt und heißen nun „Venusberg“. Wartburg“ oder "Little Italy“. Auf dem Venusberg steht ein alter Wohnwagen, in dem gelegentlich 3 Trompeter zum Einsatz kommen, wenn Tannhäuser seine Wagner-Arien schmettert. Der Tannhäuser-Darsteller ist auch von kräftiger Gestalt, wie die sagenumwobene Tannhäuser-Figur, der historisch ebenso wenig verbürgt ist wie der Sängerkrieg auf der Wartburg. Tatsächlich wurden da mehrere historisch voneinander getrennte Ereignisse gesampelt. Sie dienten dann im ausgehenden19. Jahrhundert zur Legitimierung eines deutschen Nationalismus, der sich wie alle Nationalismen historischer Mythen bemächtigte. Wagner war ein Herold dieses deutschen Nationalismus. Der Verfechter einer judenfreien Musik gehörte zu jenen völkischen Intellektuellen, die Georg Lukas in seinem Spätwerk „Die Zerstörung der Vernunft“ in die Linie stellte, die zum Nationalsozialismus führte. Das konnte man an Wagners Beispiel gut belegen. Seine Söhne und Enkel waren stramme Nazis. Bayreuth wurde zu Hitlers Rückzugsort schon in den 1920 er Jahren, als noch nicht klar war, dass ihm mal die Macht in Deutschland übertragen werden sollte. In der NS-Zeit wurde Bayreuth zum mythischen Ort, wo Hitler persönlich das Bad in der Menge nahm. Davon schwärmte Winifried Wagner noch in den 1970 er Jahren in ihren mehrstündigen Interviewfilm „Winifried Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried“. Produziert wurde er von Hans Jürgen Syberberg, eines der ersten neurechten Künstlers, man könnte ihn als Götz Kubitschek der 1970 er Jahre bezeichnen. Diese präfaschistische Seite Wagners wird auf dem Festival nicht explizit angesprochen. Doch das ganze Happening leistet doch wichtiges zur Wagner-Destruktion.

Romano-Auftritt als Highlight

Da wird der Sängerkrieg so nachgespielt, dass die gesamte Chose der Lächerlichkeit anheimfällt. Die beteiligten Künstler*innen machen hier eine gute Arbeit. Sei überführen den Kult um Wagner der Lächerlichkeit, die sie verdient, ohne aus dem ganzen einen Klamauk zu machen. Nur wenn der Tannhäuser-Spieler einen Skandal auf der Bühne inszeniert und die ganzen Festival-Macher*innen der Verwässerung Wagners zeiht, wird es etwas redundant. Ansonsten wird es nie langweilig. Der vor Jahren als Köpenicker Rapper berühmt gewordene Romano war sicher das Highlight des Abends. Kurz vor Mitternacht gab er noch ein Solo-Konzert, zu dem wohl einige seiner Fans extra gekommen sind, die sich weder für Wagner noch für Tannhäuser interessieren. Wenn Romano dann in die Gegenwart geht und über Internetzensur rappt und wie schnell man dort zum Nazi gestempelt wird, verharrt er auch in der für ihn typischen Uneindeutigkeit. Romano gibt den Jungen aus dem Osten, der auch die Rechten als seine Buddys bespassen will. Allerdings ist nichts dagegen zu sagen auf einem Happening, dass die Floskel „gegen rechts“ gar nicht braucht und in seinen ganzen Inhalten praktisch einen deutschen Mythos mit Witz beiseite räumt. Auch der Klerus bleibt nicht verschont.

„Das Helmi“, eine Gruppe, die in Berlin schon Kultstatus in der freien Theaterszene hat, spielte gemeinsam mit der feministischen Künstlerin Cora Frost Szenen aus Kirche und Welt wie die Fußwaschung, die so komisch sind, dass niemand sich das Lachen verkneifen kann

Peter Nowak

Noch bis Sonntagnacht kann das Happening besucht werden. Infos zum Programm und den Tickets gibt es hier:

http://berlinisnotbayreuth.de

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Geschrieben von

Peter Nowak

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