Wenn der Funktionär träumt

Erhard Scherner Der Funktionär aus der zweiten Reihe erzählt in dem Film Graben über sein Leben.

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Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.

An die Nachgeborenen, Bertold Brecht

Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?
Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?
Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,
und du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Mutter, für den Graben.

Kurt Tucholsky, Der Graben

"Wir träumte, ein großer Frühling werde uns frei und brüderlich machen, Erde, Tier und Baum, ein halbes Jahrhundert ist verronnen, habe nichts verloren, nichts gewonnen, nur einen Traum“.

Das schrieb der Erhard Scherner als er 50 Jahre war. 40 Jahre ist das her. In der Zwischenzeit hat der SED-Funktionär aus der zweiten Reihe der Nomenklatura nicht nur sein Land sondern auch seinen Traum verloren. Mit 94 Jahren erzählt Scherner in dem Film „Graben“ von seinen Leben. Der Titel ist räteslhaft, soll es wohl auch. Graben - das erinnert an da Wühlen, vieleicht in Erinnerungen? Graben, das kann auch die Kluft bedeuten, zwischen den Klassen oder wie im Fall von Scherner, die Kluft zwischen seinem Leben in der DDR und der heutigen Realität.

Geboren am Ende der Weimarer Republik erzählt der geistig noch rege Senior über seine Jugend am Ende des Kriegs. Er berichtet auch vom Neuanfang in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone. Dort gehörte Scherner zu denen, die Schluss machten wollten mit den Grundlagen von NS-Faschismus und Krieg, „Lesen, lesen, lesen“ beschreibt Scherner seine damalige Beschäftigung.

Dabei blieben auch viele Fragen offen. So beschreibt Scherner wie sein jüngerer Bruder Peter seit dem Frühjahr 1949 vermisst ist. Man hat ihn nie gefunden. „Man hat ihn wohl erschlagen, weil man bei ihm die Waffe fand“, flüchtete sich Scherner wieder in die Sprache der Posie. Dabei bleibt unklar, wer für das Verschwinden des Bruders verantwortlich ist. Vielleicht Erhard Scherner selber, der damals immerhin 20 Jahre war? Das ist nicht die einzige Frage, die im Film offen bleibt. Denn anders als der Titel vielleicht suggeriert, gräbt der Regisseur Sven Boeck wenig. Er fragt nur ganz selten mal nach. Ansonsten lässt er den alten Mann seine Lebensbeichte ablegen, was durchaus nicht uninteressant ist. Nur manchmal fehlen dann auch Hintergrundinformationen. So berichtet Scherner von seinem Studium bei Hans Mayer, Ernst Bloch und Wolfgang Harich und erwähnte dort, dass Meyer gegen Kuba war. Erst langsam erfährt man, dass es sich da nicht um die Karibikinsel handelt sondern um einen SED-Schriftsteller, der eigentlich Kurt Barthel hieß, der sich KuBa nannte und der auch bei kommunistischen Literaturen nicht sehr beleibt war. Warum wird nicht ganz klar. Vielleicht stand der Arbeitersohn KuBa zu sehr für den Bitterfelder Weg, der, auch dass erfahren wir bei Scherner, nicht sehr beliebt war. Auch hier fehlt Hintergrundinformation. Mit dem Bitterfelder Weg sollte nach dem Vorbild des Bundes Revolutionärer Schriftsteller*innen in der Weimarer Republik Werktätige an die Literatur herangeführt werden. Dass stieß auch innerhalb der Nomenklatura auf Widerstand, wie wir schon im kürzlich erschienenen Buch Linientreue Dissidenten von Sonia Combe erfahren. Die vielen Bürgersöhne und auch Bürgertöchter in der kommunistischen Bewegung verteidigten ihr Privileg, dass das Bürgertum für Kultur ständig sind, auch in der kommunistischen Bewegung. Deswegen waren die proletarischen Schriftsteller*innen nicht gut angesehen in diesen Kreisen.

Er stotterte in 30 Sprachen“

Einige Episoden erfährt man in dem Film von Scherner über die junge Christa Wolf, die damals noch ein eifriges SED-Mitglied war, die höchstens mal gerügt wurde, weil sie ihr Parteibuch verloren hat. Auch Alfred Kurella hat bis heute den Ruf, ein dogmatischer Hardliner gewesen zu sein, der seinen Kolleg*innen das Leben schwer machte. Scherner wurde sein Sekretär, was seinen Ruf auch nicht gerade verbesserte. Kurella, der auch im antifaschistischen Widerstand gegen den NS eine wichtige Rolle spielte, bekam erst spät die Genehmigung aus seinem sowjetischen Exil nach Ostdeutschland zu übersiedeln. Allerdings hätte man gerne mehr über Scherners Tätigkeit als Kurellas Sekretär erfahren. Doch schon war er in China, wo er im wesentlich als Hausmann fungierte und sich der Erziehung seines Sohnes widmete. Seine Frau Helga Scherner war Sinologin und arbeitete in China als Wissenschaftlerin. Trotzdem hat Helga Scherner im Gegensatz zu ihren Mann bis heute keinen Wikipediaeintrag. Scherner beschreibt diese moderne Rollenverteilung sehr offen und das macht ihn sympathisch. Auch seine Berichte über China sind nicht sehr ausführlich gestaltet. Doch gut erinnern kann er sich, wie ein Papagei, den er in China kaufte, sein Leben rettete. Weil er im Flugzeug nicht mitgenommen wurde, tauschte er das Ticket um um und fuhr mit dem Zug und dem Papagei nach Berlin. Dort erfuhr er dann dass das Flugzeug, das er gebucht hatte, über Sibirien abgestürzt war. Niemand überlebte. Dann geht es wieder zu Kurella, von dem Scherner weiß, dass er in 30 Sprachen stotterte. Immer mal wieder hören wir Lyrisches, „über die Vernunft, die siegen müsse“. Ich kann die Qualität dieser Lyrik nicht beurteilen, würde sie aber nicht lesen wollen. Aber der Film ist sehenswert. Es ist interessant mal zu hören, von was ein Mann der Nomenklatura in der DDR träumte, dass er überhaupt noch Träume hatte und manchmal auch Humor. So bezeichnete sich Scherner auch mal als Berufsrevolutionär, der er bestimmt nicht war. Er war halt nicht alt genug für den antifaschistischen Widerstand oder die Teilnahme an der spanischen Revolution. Scherner war einer der Funktionäre, die vielleicht viel dazu beigetragen haben, dass der Sozialismus a la DDR so unattraktiv war. Aber auch für ihn sollte gelten, was Brecht in seinen Gedicht „An die Nachgeborenen“ schrieb. "Gedenkt ihm mit Nachsicht“

»Graben. Erhard Scherner – Erinnerungen«, Regie: Sven Boeck, BRD 2022, 79 Min.

https://www.graben-film.de

Zur Zeit sind keine Termine mit dem Film angegeben. Wer eine Veranstaltung organisieren möchte, kann sich an den Regisseur Sven Boeck

sven_boeck@gmx.net wenden

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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