Warum für eine unabhängige Erinnerungskultur kämpfen?

Fuldaer Verhältnisse Heute findet im Lindenstraße 2 in Fulda eine Veranstaltung zum Thema "Warum für eine unabhängige Erinnerungspolitik kämpfen?" Eingeladen ist der Journalist Stefan Dietl aus Amberg und Aktive der Gruppe "Gegen das Vergessen" in Fulda.

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Am 17. August 2001 wurde Dorit Botts in ihren Geschäft in der Fuldaer Florengasse von einem Neonazi erstochen. Zunächst wurde die Tat als Raubmord dargestellt. Erst später wurde bekannt, dass der Täter der rechtsextremen Szene zuzuordnen war. Obwohl Dorit Botts von Anbeginn an von zivilgesellschaftlichen Gruppen wie der Amadeu Antonio Stiftung als Opfer rechter Gewalt gelistet wurde, gibt es bis heute keinen Gedenkort für sie.
Am 13.4. 2023 jährt sich zum fünften Mal der Tod von Matiullah J., der in Fulda durch die Schüsse eines Polizisten gestorben ist. Die juristischen Ermittlungen gegen den Polizeischützen wurden schnell eingestellt. Angeklagt und mit Strafverfahren und Urteilen konfrontiert wurden hingegen Antirassist*innen und Antifaschist*innen, die die offizielle Notwehr-Version hinterfragten und die Gerechtigkeit für Matiullah J. forderten.
Der Kampf um Gerechtigkeit für Opfer von rechter Gewalt, als auch Polizeigewalt, kann auch erfolgreich sein. Deshalb haben wir den Journalisten Stefan Dietl vom „Bündnis gegen das Vergessen“ aus Amberg eingeladen. Er wird über den über 20jährigen Kampf für einen Erinnerungsort für den am von Neonazis ermordeten Hans-Peter Beer berichten. Er wurde von den Rechten angriffen, weil er schwul war. Über viele Jahre führte eine antifaschistische Initiative den Kampf um Gerechtigkeit für Hans-Peter Beer. Von den Behörden wurden sie ignoriert, bekämpft und kriminalisiert. Doch ihre Beharrlichkeit zahlte sich aus. Nach mehr als 25 Jahren wurde in Amberg ein Gedenkort für Klaus-Peter Beer errichtet. In einer Broschüre, die hier heruntergeladen werden kann (https://bayern.vvn-bda.de/.../2022/09/Klaus-Peter-Beer.pdf), hat die Initiative gegen das Vergessen ihren langen Kampf dokumentiert. Zum Erfolg hat auch der Dokumentarfilm „Tödliche Begegnung“ der Regisseurin Gabriele Jenk beigetragen, der den Mord an Klaus-Peter Beer zum Thema hat. Er wird auf der Veranstaltung gezeigt. Anschließend wollen wir mit Stefan Dietl darüber reden, welche Bedingungen schließlich zu ihren Erfolg in Amberg beitrugen.
Gemeinsam mit dem Publikum wollen wir diskutieren, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den beiden Opfern rechter und staatlicher Gewalt in Fulda liegen. Unser Ziel besteht weiterhin, die Öffentlichkeit für einen Gedenkort zu sensibilisieren.

Ein Rückblick auf die Fuldaer Verhältnisse

Der Sozialarbeiter Christopher W. soll am 13. April 2019, den ersten Jahrestag des Tods von Matiullah J., die Parole „Bullen morden – der Staat schiebt ab – das ist das gleiche Rassistenpack“ gerufen haben. Deswegen wurde er wegen Beleidigung und Verächtlichmachung von Polizeibeamten a zu 60 Tagessätzen a 30 Euro verteilt.

Der 27jährigen Sozialpädagoge bekräftigte in einer Prozesserklärung, dass er die Parole wieder rufen würde, denn ihm gehe es damit um eine Kritik an den rassistischen Strukturen. Als Beispiel nannte er den Umgang der Behörden mit dem Tod von Matiullah J. Der war am 13. April 2018 in der Nähe seiner Unterkunft in Fulda von einem Polizisten erschossen worden, nachdem er in einer Bäckerei randaliert hatte. Ein Jahr darauf forderte das Afghan-Refugee-Movement, eine Selbstorganisation afghanischer Geflüchteter, auf einer Demonstration in Fulda gemeinsam mit Antirassist*innen die Wiederaufnahme des Verfahrens und die ein Gedenkzeichen am Ort seines Todes, wo der Polizist 12 Kugeln auf den Geflüchteten abgefeuert hatte, von denen ihn vier trafen und zwei tödlich waren. Die Ermittlungen gegen den Polizisten waren nach wenigen Wochen einstellt worden, weil er sich nach den polizeiinternen Ermittlungen in einer Notwehrsituation befunden haben soll.

Kann das Notwehr sein?

„4 Polizisten gehen gegen einen Flüchtling – 4 Schüsse aus einer Waffe – kann das Notwehr sein?“ Diese Frage auf einen Transparent der antirassistischen Demonstration bezog sich darauf, dass der Polizei Schütze mit drei seiner Kolleg*innen vor Ort war, bevor er Matiullah allein folgte. Während wegen seinen Tod niemand angeklagt wurde, widmeten sich Justiz und rehchte Politiker*innen der Verfolgung der Kritiker*innen der Umstände von Matiullahs Tod. Schon unmittelbar nach dem Tod des jungen Afghanen wurde der damalige Fuldaer Ausländerbeauftragte Abdulkerim Demir von Fuldaer Politiker*innen von CDU und AFD massiv angegriffen, weil er die Forderung von Matiullahs Mitbewohner*innen nach Aufklärung der Umstände seines Todes unterstützte. Das Verfolgungsinteresse richtete sich auch gegen Leila Robe und Darius Reinhard, die sich 2019 in einen Artikel auf Belltower News (https://www.belltower.news/polizeigewalt-in-fulda-nach-12-toedlichen-schuessen-auf-fluechtling-journalisten-und-politiker-diffamieren-demonstranten-84395/), die von der zivilgesellschaftlichen Antonio-Amadeus-Stiftung herausgegeben wird, kritisch mit den Todesumständen des jungen Afghanen auseinandergesetzt hatten. Sie beschrieben korrekt, dass der Polizist, zwölf Schüsse abgegeben hat, erwähnten aber nicht, dass nur vier Schüsse trafen und zwei tödlich waren. Deshalb wurde gegen die beiden Autor*innen Anklage wegen Verdachts der gemeinschaftlich begangenen üblen Nachrede erhoben. Gegen einen Freispruch durch das Fuldaer Landesgericht legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Auch für den Journalisten Timo Schadt, einen bekannten antifaschistischen Chronisten der rechten Szene in Osthessen, hatte dieser Artikel Konsequenzen. Er war Kontaktperson der Facebook-Seite des Netzwerks »Fulda aktiv gegen Rassismus«, auf dem der Artikel von Belltower News-Artikel gepostet wurde. Am Morgen des 17. Oktober 2019 stand unangekündigt die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl vom Amtsgericht Fulda vor der Tür des osthessischen Journalisten. Um zu verhindern, dass sein Computer und sein Laptop, also sein unentbehrliches Arbeitsgerät als Journalist, beschlagnahmt werden, händigte Schadt einem Polizisten sein Facebook-Passwort aus. Der Beamte löschte den Beitrag dann in seiner Anwesenheit.



Anzeigen gegen Teilnehmer*innen der Gedenkdemonstration



Auch gegen die Anmelderin der Gedenkdemo am ersten Jahrestag des Todes von Matiullah Sarmina Stuman vom wurde ein Strafbefehl erlassen. Als Versammlungsleiterin der Demonstration habe sie zum Hass aufrufende Sprechchöre nicht unterbunden, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Dazu gehört die Parole, wegen der Christopher W. verurteilt wurde. Auf der Gedenkdemonstration verteilte der Sozialwissenschaftler Philipp Weidemann Flugblätter, die über den Tod von Matiullah informierten. Ein Jugendlicher, der einen Flyer erhielt, soll seiner Mutter berichtet haben, der wäre ihm von einen Mann mit den Worten überreicht worden, ein Mensch sei von einem Polizisten ermordet worden. Die Mutter hat sich daraufhin auf Facebook über die Wortwahl des Sozialwissenschaftlers empört. Daraufhin lud die Polizei den Jugendlichen zur Vernehmung vor. Gegen Weidemann ermittelt die Justiz wegen Verleumdung. Dieser bestreitet, gegenüber dem Jugendlichen von Mord gesprochen zu haben und will einen Strafbefehl nicht akzeptieren.



Dorit Botts und die verweigerte Erinnerung

Mittlerweile wird die Kritik am Agieren der Fuldaer Polizei und Justiz auch außerhalb Osthessens lauter. Im letzten Jahr wurde unter dem Titel „Fuldaer Verhältnisse“ eine Broschüre veröffentlicht, die den Umgang mit dem Tod von Matiullah und den antifaschistischen und antirassistischen Kritiker*innen in eine Geschichte von rechten Strukturen und Aktivitäten im osthessischen Raum einordnet. Dazu gehört auch die Ermordung von Dorit Botts, die am 17. August 2001 von einen Neonazi in ihren Laden in der Fuldaer Innenstadt erstochen wurde. Die Polizei sprach zunächst von einen Raubmord, erst später wurden die rechten Hintergründe bekannt. Obwohl Dorit Botts mittlerweile von zivilgesellschaftlichen Initiativen als Opfer rechter Gewalt aufgelistet ist, gibt es in Fulda noch immer keine Erinnerung an sie. Den fünften Jahrestag des Todes von Matiuallah nahmen Antifaschist*innen zum Anlass, um zu diskutieren, wie ein Gedenken für Opfer rechter und staatlicher Gewalt aussehen kann. Ein gutes Beispiel hat das Afghan-Refugee-Movement gegeben. Am 5ten Todestag enthüllten sie an dem Ort an er starb einen Gedekstein mit der Aufschrift "Matiullah Jabarkhel 1.1.1997 Afghanistan, 14.4. 2018 Fulda.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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