Auf der Suche nach den Protesten, die nicht stattgefunden haben

Heißer Herbst - kalter Winter Mitte Februar trafen sich im Berliner Mehringhof Aktive der aus unterschiedlichen linken Bündnissen, die in Berlin in den letzten Monaten Proteste gegen Inflation organisiert haben. Jetzt wurde bearbeitender Mitschnitt Online gestellt

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Ines Schwerdtner vom Bündnis „Genug ist genug“, Marcus Staiger vom Bündnis „Heizung, Brot und Frieden, zwei Aktive der libertären Gruppe „Perspektive Selbstverwaltungund der langjährige Erwerbslosenaktivist Harald Rein saßen auf dem Podium. Mit einen Informationsstand war das anarchistische Netzwerk „Der Preis ist heiss“ vertreten.

Bei den Aktiven der unterschiedlichen Bündnisse war man sich einig, dass die Proteste auch deshalb klein geblieben sind, weil der Staat mit den Entlastungspaketen zumindest den Eindruck erweckte, er kümmere sich in der Krise auch um die Armen. Inhaltliche Differenzen wurden auf der Veranstaltung nur kurz angedeutet. So monierte Marcus Staiger, dass die Frage des Ukraine-Krieges von mehreren Bündnissen ausgeklammert wurde. Die beiden Aktiven von „Perspektive Selbstverwaltung“ entgegneten, dass auch die Proteste des Bündnisses „Heizung, Brot und Frieden“, das sich explizit gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hat, auch keine Massen mobilisieren konnte.

Dass sich wenig einkommensarme Menschen an den Sozialprotesten beteiligen, war für Harald Rein nicht überraschend. Er hinterfragte die Motive der unterschiedlichen Protestbündnisse, die in den letzten Monaten gegen Inflation mobilisiert haben. Da habe vor allem die Überlegung eine Rolle gespielt, dass man den Rechten nicht die Strasse überlassen dürfe und ihnen daher mit eigenen Aktionen zuvorkommen müsse. „Doch, warum sollten die Armen dann auf die Strasse gehen, wenn linke Bewegungsaktivist*innen die Zeit für gegeben halten, fragte Rein. Dabei werde unterschätzt, dass heute viele von Armut Betroffene in einer anderen Lebensrealität als die meisten linken Aktivist*innen lebten. Diese Distanz könne auch nicht kurzfristig dadurch überwunden werden, dass linke Aktivist*innen kurz vor größeren Protestaktionen Flugblätter in Stadtteilen verteilt, in denen viele arme Menschen leben. Ein solches Vorgehen erinnerte Rein an das Auftreten der verschiedenen politischen Parteien, die auch meinst vor den Wahlen mit Flugblättern und Infoständen in bestimmten Stadtteilen auftauchen.

Organisation in den Stadtteilen

Als Alternative zu einer linken Kampagnenpolitik setzen mittlerweile auch in Berlin viele Initiativen auf langfristige Organisation in den Stadtteilen. Dort müssen Orte geschaffen, wo sich Mieter*innen, die Probleme mit ihren Vermieter haben ebenso Rat und Tat holen können, wie Erwerbslose, die sich gegen Sanktionen und Schikanen im Jobcenter wehren. Sie brauchen Orte für Beratung und Unterstützung, die sich auch in einer Begleitung auf das Amt ausdrücken kann. So trifft sich im Stadtteilladen Lunte in Neukölln eine Gruppe, um Informationsmaterial zu erstellen, dass vor Jobcentern und Sozialämtern verteilt wird. „Dabei haben wir häufig die Erfahrung gemacht, dass Informationsmaterial sehr gut weggehen, die sich um Tipps auf Ämtern und Jobcentern drehen. Aufrufe zu den unterschiedlichen Protesten und Demonstrationen finden hingegen wenig Beachtung, erklärt Anne Seeck, die seit Jahren der Neuköllner Initiative mitarbeitet. Auch im Stadtteil Wedding widmen sich seit Jahren mehrere Initiativen einer längerfristigen Basisarbeit im Stadtteil. Genannt seien hier das Kiezhaus Agnes Reinhold, die Weddinger Kiezkommune und die Erwerbsloseninitiative Basta. Trotz mancher Differenzen zu politischen Einschätzungen sind sich diese Initiativen daran einig, dass die Organisierung von Mieter*innen, Erwerbslose und prekär Beschäftigten die Grundlage für eine linke Politik ist, die nicht um die eigene Szene kreist. Die Menschen, mit denen wir im Stadtteil in Kontakt stellen sich die Frage, wie sie die Nachzahlungen bei Strom und Gas bezahlen sollen, die in der nächsten Zeit eintreffen werden“, sagte ein Aktiver aus dem Wedding. Da spüre man Angst, Verunsicherung, aber auch Wut, so seine Einschätzung. Da könnte es durchaus noch Proteste geben, die nicht von linke Initiativen organisiert werden, die sie aber unterstützen können.

Peter Nowak

Hier einstündige bearbeitete Mitschnitt der Diskussion:

https://archive.org/details/2023-03-01-16h-radio-aktiv-heisser-herbst-kalter-winter

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Geschrieben von

Peter Nowak

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