Kein Gedeck am Tisch von Habermas

Plebs, Vierte Welt, In einer Theaterstunde untersuchen Mariel Jana Supka und Marcus Reinhard das Phänomen der Subalternen, deren Stimmen nicht gehört werden, sie nennen sie Plebs.

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Bring den Krieg heim, lautete das Motto der US-Linken während des Vietnamkrieges. Zwei junge Afrikaner haben dieses Motto kürzlich in London umgesetzt, einen Soldaten getötet und die Welt steht Kopf. Von einem Angriff auf „unsere Werte“ schwadronierte der britischen Premierminister. Dabei haben die jungen Männer, die die Tat vollbracht haben, recht nachvollziehbar ihre Motive erklärt. Solche Tötungen passieren in den Ländern, aus denen sie kommen jeden Tag und werden kaum beachtet. Wenn wieder einmal die Meldung über den Ticker kommt, dass eine ganze Hochzeitsgesellschaft bei einem Drohenangriff ums Leben kam, reagiert die Welt mit einem Achselzuckel. Wenn ein Soldat, der diese Taten willig vollstreckt umkommt, schreit die Wertegemeinschaft auf. Ausgerechnet ein Theaterabend hat hier gute Erklärungsansätze geliefert, das auf den ersten Blick wenig mit dem Thema zu tun hat und unter zwei Titeln beworfen wird. Im toten Winkel 1, finde ich nichtssagend und zudem verbinde ich damit einen Film über Hitlers Sekretärin Traudl Junge, die im toten Winkel der Macht angeblich nichts von den Naziverbrechen mitbekommen haben will. „Die Wiederkehr der Plebs“ scheint mir hingegen der passendere Titel. Schließlich geht es um eine Text des französischen Philosophen Alain Brossat, zu dem das Theaterkollektiv „Vierte Welt“ verschiedene Zugänge erarbeiten will. Noch am heutigen Freitag werden die beiden Schauspieler_innen Mariel Jana Supka und Marcus Reinhardt ihre Version vortragen. Das Publikum sitzt sich in der Mitte des Raumes auf Stühlen gegenüber, in der Mitte ein verglaster Kubus auf den das Duo agiert. Viel Theorie wird in dieser Stunde verbraten, man könnte auch von einem theatralischen Lektürekurs sprechen. Begonnen wird mit dem Entsetzen eines kommunistischen Resistance-Kämpfers in Frankreich, der sich dagegen wehrte, mit einem sogenannten Kriminellen an den Handfesseln für den Transport zusammengeschlossen zu werden. Dieser „Kriminelle“ war der später berühmt gewordene Schriftsteller Jean Genet. Sofort werden Erinnerungen an die Diskriminierung von sogenannten kriminellen durch die politischen Gefangenen auch in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten wach. Wer als asozial galt, war von allen gemieden. Doch die Theaterstunde ist schon längst zum nächsten Thema gesprungen, Rousseau, der nicht am Dienstbotentisch speisen wollte wurde, wird ebenso traktiert, wie Motive aus verschiedenen Religionen und Mythologien.

Kein Volk, kein Staat

Immer wieder treten sich die Erzählungen um die Plebs oder Plebejer, Menschen, die nicht zum Volk gehören wollen, die eher „Wir sind die Chaoten“ als „Wir sind das Volk“ rufen und schon deshalb Sympathie verdienen. Sie können sich durchaus artikulieren, aber werden trotzdem nicht gehört, so lautete unterschiedlich variiert die Lektionen der Theaterstunde. Dafür haben die Schauspieler eine bemerkenswerte Metapher geprägt. „Für sie ist kein Gedeck vorhanden, am Tisch der Habermas Kommunikationstheorie“.

Ihre Stimmen lassen sich eben nicht einspeisen in das allgemeine Rauschen der Kommunikationsgesellschaft. Aber ist das nicht vielleicht sogar das beste Kompliment, das man diesen Stimmen machen kann? Weil sie nicht im Rauschen untergehen, sind sie ernst zunehmen. So ernst, wie der britische Premiere Cameron den Tod des Soldaten in London, so ernst wie die schwedische Polizei, die seit Tagen mit Jugendunruhen in Stockholm konfrontiert ist, so ernst wie die französische Staatsmacht, wenn es wieder einmal in einem Banlieu kracht. Überall dort melden sich die Plebs zur Wort oder schreiten zur Tat, die oft mit Gewalt. Auch darüber wurde am Theaterabend verhandelt, ohne dass gleich die Distanzierungstaste ansprang. Ein kluger, ein lehrreicher Abend war es, obwohl etwas aktuelles Anschauungsmaterial zur theoretischen Darbietung eine gute Auflockerung gewesen wäre. Dazu hätten sich beispielsweise einige Videoschnipsel auf den beiden Monitoren angeboten, auf der aktuelle Kunst zu sehen war. Vielleicht werden beim zweiten Versuch, Brossats Text szenisch darzustellen, aktuelle Nachrichten eingearbeitet. Der soll am 23. Und 24. August starten. Heute wird noch einmal die erste Fassung gespielt, was auch empfehlenswert ist, was auch an der guten Arbeit der beiden Künstler_innen lag. Nur ein kleiner Kritikpunkt sei angebracht. Das Stück provozierte geradezu mit seinen vielen beziehungsreichen Querverweisungen zum Austausch auch mit den Schauspieler_innen. Die aber waren schon 10 Minuten nach Ende des Stückes in Debatten über ihre nächsten Karrierepläne verwickelt. Natürlich weiß man, dass Schauspieler_innen sich Feierabend nehmen können, wenn sie die Bühne verlassen und dass sie heute unter so prekären Bedingungen arbeiten müssen, dass sie ständig an der Karriereplanung basteln müssen. Und trotzdem würde man sich wünschen, dass Schauspieler_innen eines solchen Theaterkollektivs die Fragen, die sie gestellt haben, auch noch beschäftigt, wenn das Stück zu Ende ist.

Peter Nowak

http://www.viertewelt.de/



noch einmal zu sehen am heutigen Fr. 24. Mai 2013

Beginn | 20 h | Bar/Kasse ab 19:30 | Karten 11/7/3 Euro

Reservierungen: karten@viertewelt.de

VIERTE WELT |Kottbusser Tor
Im Zentrum Kreuzberg | Galerie 1. OG | Zugang über Außentreppe Adalbertstraße 96 | 10999 Berlin

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Geschrieben von

Peter Nowak

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