Mit verbundenen Augen im Theater

Dark Room 2, Im Kulturzelt in Hannvoer konnte man eine Theateraufführung mit Augenbinde verfolgen und hören.

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Die Warteschlangen waren groß vor dem Kulturzelt in der Innenstadt von Hannover. Denn schon der Einlass war ein besonderes Prozedere. Alle Besucher_innen legten eine dunkle Augenbinde an, die sie bereits bei der Anmeldung in einem kleinen weißen Beutelchen erhalten hatten. Einzeln oder in Gruppen wurden sie dann zu ihren Plätzen geführt. Sofort fälle auf, wie der Gehörsinn geschärft wird, wenn die Augen verbunden sind. Man hört viel intensiver, wie sich die Nachbar_innen rechts und links unterhalten. Plötzlich hebt eine Musik an, erst noch zögerlich und leise spielen die Instrumente gegen den Lärmpegel an. Doch der wird leiser und bald lauschen alle dem Orchester im Treppenhaus, das bekannte US-amerikanische Kompositionen von Leonard Bernstein über Steve Reich bis zu Charlie Chaplins Filmmusiken spielt

Bald beginnen die Profisprecher Norman Matt und Tobias Kluckert die schier unglaubliche aber wahre Lebensgeschichte von Johann August Sutter zu erzählen. Wegen verschiedener Delikte von der Schweizer Polizei verfolgt, sucht er wie viele in der damaligen Zeit, sein Glück in den USA, dem sogenannten Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Für Glücksritter wie Sutter traf das vollkommend zu, wenn sie nur besonders skrupellos waren. In der Erzählung wird nicht ausgespart, wie er Indigene und entführte Afrikaner_innen ausbeutete und damit reich wurde. Damit unterschied er sich nicht von so vielen anderen europäischen Glücksrittern, die heute zu den Stützen der USA gehörten. Auch Sutter galt seiner Zeit als reichster Mann der Welt, weil er riesige Ländereinen erobert und zahlreiche Menschen für sich arbeiten ließ.

Der Goldrauch machte ihm arm

Dass Sutters Bild heute nicht den offiziellen Gebäuden hängt, liegt daran, weil auf den Flächen, die er sich angeeignet hat, Gold gefunden wird. Ein beispielloser Run auf das begehrte Edelmetall setzt an und die Tausende, die sich jetzt auf dem Areal niederließen, haben wenig übrig für Sutters Raubgut, das er sei Eigentum nennt .Es ist noch die Phase der ursprünglichen Akkumulation, wo sich die Kapitalisten gegenseitig bekriegen und der Staat ist noch nicht als idealer Gesamtkapitalist durchgesetzt. Aus irgendwelchen Grünen gelingt es Sutter nicht, wie andere Kapitalisten eine Privatarmee zusammenzustellen, die für ihn die Drecksarbeit erledigt. Also muss er zusehen, wie er bald ein König ohne Land ist und als er dann vor den US-Gerichten alle Menschen verklagt, die sich an der Goldsuche beteiligt und damit seine Eigentumsrechte verletzt hätten, wird Sutter endgültig zur tragischen Gestalt. Das Gericht gibt ihm sogar formal recht, doch das zusammengeraubte Land bekommt er nicht zurück. Schließlich stirbt Sutter mit 77 Jahren bettelarm irgendwo in der Nähe des Kapitols. Die Geschichte des betrogenen Betrügers wird allerdings bei der Theateraufführung nicht dazu genutzt, Begriffe wie Besitz und Eigentum insgesamt zu infrage zu stellen, oder mal die Frage eines lesenden Arbeiters frei nach Bert Brecht kreativ weiterzuentwickeln. Sutter wurde vom Schweizer Kleinkriminellen zum reichsten Mann der Welt? Wer half ihm dabei? Hatte er nicht wenigstens einen Koch dabei? Wo schliefen, am Tag als der Goldrausch begann. Sutters Sklaven? Stattdessen wird in der Aufführung das Stück zur Parabel vom Aufstieg und Fall eines reichen Mannes und soll von zu viel Hochmut warnen. Diejenigen, über deren Leichen Sutter zum Reichtum gekommen sind, bleiben auch unsichtbar. Die Geschichte von Erobern und Mördern wird uns von jeher als Geschichte großer Männer verkauft.

Am Ende viele Zugaben

Ist die Aufführung so politisch durchaus kritisch zu bewerten, so werden die Besucher_innen künstlerisch entschädigt. Das Publikum dankte mit minutenlangem Applaus, den das exzellente Orchester mit mehreren Zugaben belohnte. Wenn dann die Augenbinden fallen, entdeckt man, dass das Zelt mit den unterschiedlichen Sitzgelegenheiten bestückt wurde. Stühle, Sofas, Matratzen. Liegen stehen dicht an dicht in dem Zelt. Am Ende erinnert ein Sprecher noch einmal an den weißen Beutel mit der ernstgemeinsten Aufschrift „Pay what you can“. Es gab tatsächlich keinen festen Eintrittspreis und das Publikum hat dieses Vertrauen sicher gut belohnt.

Peter Nowak

Infos zum Stück;

http://www.treppenhausorchester.de/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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