Erinnerung an das vergessene Massaker im März 1919 in Berlin

north east antifa Die antifaschistische Gruppe erinnerte am vergangenen Sonntag an ein Massaker in Berlin vor 104 Jahren, an dem die Märzkämpfe 1919 in Lichtenberg und das Blutbad der Nöske-Truppen

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Vor 104 Jahren wurden im Osten Berlins, vornehmlich in den proletarischen Stadtteilen Friedrichshain und dem noch von Berlin unabhängigen Lichtenberg, bis zu 1200 Menschen von Freikorps ermordet. Die meisten waren Arbeiter*innen. „Neben revolutionären Aktivist*innen waren unter dem Toten auch viele Unabhängige, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren“, berichtete ein Aktivist der North East Antifa (NEA). Die in Berlin seit vielen Jahren aktive Gruppe autonomer Antifaschist*innen hat am Sonntagnachmittag zu einem Gedenkspaziergang für die vor 104 Jahren Ermordeten durch den Stadtteil Lichtenberg eingeladen. Zu Beginn begründete einer der Organisatoren, warum die Antifaschist*innen für ihren Gedenkspaziergang bewußt ein wenig bekanntes Ereignis ausgesucht haben und dazu noch keinen der runden Jahrestage gewählt haben. „Im Schatten der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind die vielen unbekannten Toten im März 1919 weitgehend in Vergessenheit geraten. Uns geht darum, diesen Alltagswiderstand bekannt zu machen“, erklärte der NEA-Aktivist. Der Antifaschist skizzierte den politischen Kontext im März 1919. Die Hoffnungen, die aufständischen Arbeiter*innen, darunter auch viele SPD-Mitglieder, im November 1918 mit der Ausrufung der Republik verbunden hatten, waren einer Enttäuschung über die Kooperation der SPD-Führung mit den alten politischen Kräften gewichen. Mit einen Generalstreik, wollten vor allem die in den Betrieben aktiven Revolutionären Obleute die Glut der Revolution erneut entfachen. Darauf entwickelten sich an vielen Stellen in Ostteil Berlins Aufstände. Auch in Lichtenberg besetzten Arbeiter*innen das dortige Polizeipräsidium, die Polizisten konnten fliehen.

Fake-News vor 104 Jahren

An diesen Ort informierte ein historisch bewanderter Antifaschist über die eine inszenierte Fakenews-Kampagne vor 104 Jahren, die den Hass auf die Aufständischen anstacheln sollte. So wurde behauptet, dass beim Sturm auf das Polizeipräsidium 60 Polizisten von den revolutionären Arbeiter*innen brutal ermordet worden seien. „Alle Zeitungen, auch das SPD-Organ Vorwärts, verbreiteten die Falschbehauptungen, während die Zeitungen von USPD und KPD verboten waren“, schilderte der Redner. Er verlas den Befehl des für die Bekämpfung des Aufstands zuständigen SPD-Politikers Gustav Noske, der den nach Lichtenberg einrückenden Freikorps einen Freibrief zum Schiessen gab. Davon machten die offen rechten Freikorps-Mitglieder reichlich Gebrauch. Sie gingen mit schweren Waffen und sogar mit Bombenflugzeugen gegen die Häuser der Arbeiter*innen vor. Redner*innen unter anderem von der VVN-Bund der Antifaschist*innen sowie örtlichen Antifagruppen informierten über diese Gräuel an der sogenannten Blutmauer im Lichtenberger Rathauspark, wo ein Gedenkort für einige der Opfer errichtet wurde. Dort wurden von der NEA Blumen hinterlegt. Dass es den Antifaschist*innen nicht nur um ein historisches Gedenken ging, zeigte der Redebeitrag des Gewerkschafters und Rechtsanwalts Benedikt Hopmann. Er erklärte, dass der Kampf für ein bedingungsloses Streikrecht bis heute nicht zu Ende ist Hopmann streitet seit Jahren politisch und juristisch für dieses bedingungslose Streikrecht. Der Gedenkspaziergang endete bei den Knorr-Bremse-Werken, die vor 104 Jahren eines der Zentren des proletarischen Widerstands waren. „Wir haben mit ca. 20 Menschen gerechnet, gekommen sind über 60 Interessierte aller Altersgruppe. Es waren ältere Lichtenberger*innen darunter, aber auch junge Menschen, die sich gerade erst mit der Geschichte befassen“, zeigte sich ein NEA-Aktivist zufrieden. Der Gedenkspaziergang ist Teil der bundesweiten Kampagne „100 Jahre Krise – wo bleibt der Aufstand“. Damit wollen linke Gruppen an den schnell gescheiterten Hamburger Aufstand im Oktober 1923 erinnern, mit dem die revolutionäre Welle nach 1918 beendet war. Der an dem Aufstand beteiligte spätere KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann erklärte damals „Es gilt zu begreifen, dass man nicht siegen kann, wenn man nicht gelernt hat, die Vergangenheit zu verstehen“. Der Satz hätte auch das Motto des Gedenkspaziergangs vom Sonntag sein können.

Peter Nowak

Literaturtip zu den Märzkämpfen 1919 und den Massaker in Lichtenberg und Friedrichshain:

Massenstreik und Schießbefehl,

Der Generalstreik und die Märzkämpfe in Berlin 1919

Dietmar Lange
ISBN: 978-3-942885-14-0 / 2-973
19,80 Euro

Edition Assemblage

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Geschrieben von

Peter Nowak

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