Rote Räte

Klaus Stanjek Der Dokumentarfilmer lässt in den Film Menschen zu Wort kommen, die auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade am Kampf um die Bayerische Räterepublik beteiligt waren.

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Die zahlreichen Veranstaltungen zu denhistorischen Jubiläen über den Kampf um die proletarische Räteherrschaft vor 100 Jahren in Deutschland und anderen Ländern hatten ein Manko. Es gibt heute keine Zeitzeug*innen mehr, die darüber berichten können. So war es ein Glücksfall, dass Ende der 1970er Jahre der damalige Linksintellektuelle Hans-Magnus Enzensbergerim Auftrag des WDR für seinen Film „Der kurze Sommer der Anarchie“ in Südfrankreich lebende spanische Anarchist*innen und Anarchosyndikalist*innen befragen konnte. So erfahren wir nicht nur über ihren Kampf gegen den Franco-Faschismus, sondern auch über ihr großes Unverständnis über die hedonistische 1968er Bewegung. Lange war nicht bekannt, dass es auchsolche Zeitzeugengespräche mit Protagonisten (es wären nur Männer) der Bayerischen Räterepublik gibt. Nur hatte der Dokumentarfilmer Klaus Stanjek keinen Sender hinter sich, der das Projekt förderte, als er mit seinen Freund*innen in den 1970er Jahren in München 6 Männer, die an unterschiedlicher Stelle am Kampf für und gegen die Räterepublik beteiligt waren, ausfindig machte, besuchte und meist an Originalschauplätzen erzählen liess. Die mit minimalen technischen Mitteln aufgenommenen Gespräche lagen jahrzehntelang in den Archiven. Zum Glück hat Klaus Stanjek, der in München als prekärer Kulturschaffender lebte, im Rentenalter doch noch den Film produziert, den er als junger Mann mit linken Ideen mit Freund*innen vor 40 Jahren machen wollte. Der Titel „Rote Räte“ ist wohl irreführend und wird den auch erwähnten Anarchist*innen wie Landauer nicht gerecht. Doch der einstündige Film gibt einen guten Einblick in die Motivation derjenigen, die vor 100 Jahren für und gegen die Räteherrschaft kämpften. Noch in den 1970er Jahren verteidigten mehrereim Gespräch mit den jungen Oralhistoriker*innenmit Elan und Leidenschaft ihr damaliges Engagement für die Räteherrschaft. Einer der Beteiligten beschreibt an der Münchner Hackerbrücke, wie er sich nur mit Mühe vor dem Gewehrfeuer der anrückenden Konterrevolutionären retten konnte. Ein anderer erzählt, wie er als Wache vor dem Büro des Rätevorsitzenden Eugen Levine, einen Mann, der unkontrolliert durchschlüpfen wollte, als Konterrevolutionär entlarvte, der eine Menge gefälschter Dokumente mit den Stempel der Rätemacht bei sich hatte. Das erinnert an die Methoden der Thule-Gesellschaft, die gegen die Rätemacht agierte und im Film mit Grund noch öfter erwähnt wird.

Die Konterrevolution versteckte sich hinter der Verteidigung des Parlamentarismus

Es waren mehrere Arbeiter, die beiläufig über die besondere Ausbeutung in Bayernunter der Herrschaft der Wittelsbacher berichteten. Es gab einen 12.Stundentag bei geringen Lohn, Gewerkschaften waren kaum vorhanden. Einer der Gesprächspartner, ein Herr Hagen, warin der kurzen Zeit der Räterepublik als Medizinstudent in einer sozialistischen Studierendenorganisation aktiv und beteiligte sich am Neuaufbau der Münchner Universität, gefördert vom kurzzeitigen Beauftragen für Bildung Gustav Landauer. Hagen, der als studentischer Aktivist auch in die Geschichtsbücher über die Bayerische Revolution eingegangen ist, berichtet davon, wie die wenigen fortschrittlichen Studierenden einer Mehrzahl vor konservativen Kommiliton*innen gegenüberstand, die sich in den Freikorps bald an der Niederschlagung der Räterepublik beteiligte. Einer der Freikorpssoldaten mit Adelstitel kommt im Film auch zu Wort Er bekundete, dass er und seine Familie monarchistischdachten und in der Republik nur Pöbelherrschaft sahen, die es zu bekämpfen galt. Nicht wenige von ihnen sprachen verächtlich von der Judenrepublik. Es ist auch zu sehen, wie der adelige Konterrevolutionär noch Ende der 1970er zunächst erklärte, dass in seinen Kreisen schon die bürgerliche Revolution bekämpft wurde, um sich wenige Minuten später sich als Verteidiger des Parlaments gegen die Räteherrschaft auszugeben. Noch Ende der 70er Jahre versteckt sich die Konterrevolution hinter dem Ruf nach der Verteidigung der parlamentarischen Demokratie, die sie dann sofort abservierten, als die „Gefahr von links“ niedergeschlagen war. Etwas blass im Film blieb der Interviewpartner Augustin Souchy, der als Jugendlicher einige der Protagonist*innen der Münchner Räterepublik kennen gelernt hatte. In seinen Ausführungen blieb er etwas Allgemein, wenn er auf die Frage, wie die Massen zur Selbstverwaltung motiviert werden sollten, nur von den Reden berichtete, die führende Männer der Bayerischen Räterepublik wie Gustav Landauer und Erich Mühsam in München gehalten hätten. Der Bolschewismuskritiker Souchy erkennt auch die große Bedeutung an, die 1919 die Oktoberrevolution und vor allem auch Lenin für die Revolutionär*innen hatten.

Oder wollten sie einen Führer?

Im Film sind Freikorpsverbände zu sehen, die in München die Räterepublik niederschlagen und bereits im Mai 1919 das Hakenkreuz auf ihren Panzern trugen. Die im Film interviewten Arbeiter erinnern sich noch über 60 Jahre später mit Abschau an die konterrevolutionäre Rolle der Thule-Gesellschaft, die von den Großkapitalisten finanziert an vorderster Front gegen die Räterepublik kämpfte, dabei mit einen besonders vehementen Antisemitismus gegen die jüdischen Aktivist*innen der Räterepublik agierte. Ein Arbeiter erwähnt auch die von der Thule-Gesellschaft gegründete Deutsche Arbeiterpartei, die Keimzeile der NSDAP. Besonders gut ist das Ende des nur einstündigen Films. Mit Marschmusik unterlegt ist der Einmarsch zu sehen, wie die in München einmarschierte Freikorps zu sehen sind. Im Off fragt der Regisseur, ob diese Männer sich einen Führer wünschten. Als die Fotos aufgenommen wurden, war noch nicht klar, dass ein damals unbekannter Kunstmaler, der im Auftrag des Geheimdienstes als siebtes Mitglied in die von der Thule-Gesellschaft gegründete Deutsche Arbeiterpartei (DAP) eintrat, dieser Führer werden sollte.

Peter Nowak

»Rote Räte«, Klaus Stanjek u. a., 90 Minuten

Hier geht es zur Homepage des Films mit dem Trailer:

http://www.rote-räte.de

Der Film läuft u.a. am 3.7. und 4.7. um 20.15 Uhr im Lichtblickkino

http://www.lichtblick-kino.org/film/dokumentarfilm/Rote_Raete

Am 13.2. 2020 läuft der Film um 19 Uhr im Filmmuseum Potsdam.

Karten können hier bestellt werden:

(https://www.filmmuseum-potsdam.de/index.php?id=8474762ac7a415e14502001d907f4db1&year=2020&month=02&fbclid=IwAR3mrmn3OZ3xPhs3RkRidmc9wZ1nyi2uqcfhFkHYmKtgarCeAEM3fqKVcX0)

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Geschrieben von

Peter Nowak

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