Wenn Kommunisten schöner scheitern

Ronald M. Schernikau „legende“, das Vermächtnis des kommunistischen Schriftstellers ist unter der Regie von Stefan Puchner und Malte Obenauf in der Volksbühne zu sehen.

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Man könnte das Leben von Ronald M. Schernikau für die geniale Erfindung eines Romanschriftstellers halten. Als Kind wurde er mit seiner Mutter im Kofferraum aus der DDR in die BRD geschmuggelt. In der BRD sahen sich beide im wahren Exil und lebten wie Kommunist*innen im Ausland. Schon in früher Jugend trat der junge Ronald in die DKP ein, schrieb für kommunistische Zeitungen, übersiedelte bald nach Westberlin, um seiner geliebten DDR näher zu sein. Schließlich schaffte er es, als letzter BRD-Bürger die Staatsbürgerschaft der DDR zu bekommen. Auf dem letzten DDR-Schriftstellerkongress hielt er eine viel beachtete aber unzeitgemäße Verteidigungsrede auf die DDR, wie sie sein konnte, nicht wie sie real war. Dort fiel auch der vielzitierte Satz, in dem es sinngemäß hieß, dass die Dummheit der Kommunisten kein Argument gegen den Kommunismus ist. Damals wollte außer Peter Hacks keiner Schernikaus Lob des Kommunismus hören. Schließlich versuchten sich alle gerade im neuen Gesamtkapitalismus einzurichten. Ronald M. Schernikau überlebte die DDR gerade mal ein Jahr und zwei Wochen. Am 20. Oktober 1991 starb er mit 31 Jahren an Aids. Kurz vorher konnte er noch sein Monomentalwerk „legende“ abschließen. Das Buch sorgt dafür, dass heute mehr von Schernikau geredet wird als zu seinen Lebzeiten.

Historische Optimist in der Position der absoluten Minderheit

Aktuell ist die „legende“ unter der Regie von Stefan Puchner und Malte Obenauf als Theaterstück auf die Volksbühne zu sehen. Es ist eine Parabel vom glücklichen Scheitern. Dennauf der Bühne stehen Kommunist*innen, denen man drei Stunden und30 Minuten bei der Vergeblichkeit ihres Tuns zu sehen darf. Trotzdem sind sie sind nicht traurig und depressiv, denn sie sind mit sich, der Welt und ihrer Rolle darin im Reinen. Das war auch Schernikau, der im Jahr seines Todes, die DDR war zusammengebrochen und er wusste, dass er nicht mehr lange leben würde,sagte: „Ich bin im Kleinen pessimistisch und im Großen völlig ungebrochen optimistisch. Ich glaube nicht, dass ich in irgendeiner Weise eine Besserung erleben würde“. Damit spielte er auf seinen Gesundheitszustand und die Weltlage an .

Aber er fuhr fort: „Das bricht meinen Optimismus überhaupt nicht. (….) Ich habe in meinen Leben noch nie eine politische Aktion gemacht, die Erfolg gehabt hätte. Die Arbeit in der DKP war absolut aussichtslos. Von daher war ich ziemlich abgehärtet gegenüber Realität. Ich brauchte kein Erfolgserlebnis“. Das ist die Haltung der Menschen, die wissen, dass sie der Position der absoluten Minderheit sind, darüber nicht ständig jammern und lamentieren und schon gar nicht immer wieder den großen Anschluss an die Massen suchen, sobald sich mal wieder eine Bewegung von Unzufriedenen auf der Straße zeigt. Es ist dies eine Haltung, die Linke davor bewahrt, zu Opportunist*innen oder Zyniker*innen zu werden. Das dürfte auch ein Grund sein, warum in dieser Zeit, in der es um die Kräfte der Vernunft in Deutschland und der Welt noch schlechter als Anfang der 1990er Jahre bestellt ist, Ronald M. Schernikau wieder verstärkt gelesen wird. Dabei hat er, dass zeigt sich auf der Bühne auch, in seinen politischen Leben, manchen politischen Unsinn mitgemacht, wenn es nur der Partei dient. Und im Abstand von einigen Jahrzehnten war der Unsinn vielleicht sogar gar nicht so falsch. Die Aufführung ist in zwei durch eine Pause getrennte Kapitel geteilt.Die Figuren auf der Bühne werden von Videos unterstützt, die auf Monitorenzu sehen sind. Zentrales Figur ist Anton Dattergreis und Janphilipp Geldsack, ein reicher Erbe, bei dem man schnell an Jan Philipp Reemtsma, denMäzen verschiedener linker Projekte in den 1980er Jahren denkt. Dattergreis hingeben wechselt die Rollen ständig. Mal spielt er den sozialen Kanzler, der stark an Adenauer erinnert, vor allem, wo er bei der Gartenarbeit vor seinem Haus ins Amt berufen wurde. Dann parodiert er die ewig-betrübte Christa Wolf. Dann ist er ein reicher Schokoladenfabrikant, der sich aus Liebe zu Philipp Geldsack, auf den Handel mit der DDR einlässt. Die wird verkörpert von einen Herrn Lange, bei dem man sofort an Honecker denkt.Die ganze Szene ist eine bitterböse Persiflage auf die Politik der friedlichen Koexistenz um des Weltfriedens willen, der der natürlich unter den Begriff Wandel durch Annäherung die Ereignisse von 1989 vorbereitet hat.Das große grüne Telefon auf der Bühne soll an das berühmte rote Telefon erinnern, das im Kalten Krieg angeblich einen Atomkrieg verhindern oder auslösen konnte.Eine nominalkommunistische Bewegung, die sich statt der Weltrevolution den Weltfrieden auf die Fahnen geschrieben hatte,hatte natürlich auch innenpolitische Konsequenzen.

Persiflage auf kommunistische Realpolitik

Vor allem der zweite Teil der Aufführung ist eine heitere Persiflage auf die kommunistische Realpolitik in der BRD und Westberlin. Da werden Komitees zur Rettung eines Krankenhauses gegründet, aber niemand darf wissen, dass Kommunist*innen die Initiator*innen sind. Da durfte auch das Wort Kommunismus erst gar nicht fallen und wer sich nicht daranhielt, galt in den Augen dieser realexistierenden kommunistischen Parteifunktionär*innen schnell als Linkssektierer. Wenn es nicht gelang, die linken Flausen mit Lenins Schrift „Von den Kinderkrankheiten“ auszutreiben, blieb nur der Ausschluss. Da waren die Friedensgruppen, die von DKP und SEW ins Leben gerufen wurden und statt kommunistischen Antimilitarismus gab es oft Friedenskitsch. Gut wird im Stück die Figur der kommunistischen Sängerin Marianne Komenski gezeichnet, die bald Geschmack am massenkompatiblen Friedenspop gefunden hat und ihr Engagement alsSprungbrett für einen Plattenvertrag nutzte. Über allen stand Lydia, die Stellvertretende Generalsekretärin der SEW, der bis 1990 real existierenden kommunistischen Partei Westberlins, die mit einen Wahlkampfstand auf Rädern über die Bühne zieht und damit hadert, warum die kommunistische Partei nicht einmal 5 % der Stimmen bekommt. Und wenn doch? Dann würde sie beweisen, dass man im Parlament nichts machen kann, antwortet sie und entlarvt damit auch einen auf Legalismus und Parlamentsmandate fixierte Politik der realexistierenden kommunistischen Parteien. Wo es geklappt hat, wie in Italien und Frankreich,wurden sie zur Sozialdemokratie mit stalinistischer Vergangenheit. Dagegen wird dannUlrike Meinhof eingeführt, die Fifi heißt. Sie war eineKommunistin, die bekanntlich einen anderen Weg ging und auch scheiterte. Es ist erfrischend, dass Ronald M. Schernikau völlig selbstverständlich vom Mord an ihr sprach. Die offizielle Selbstmordversion hat er nicht mal in Erwägung gezogen. .

Dann kommen auch die alten Kommunist*innen vor, die NS und Adenauer und dazu noch den Stalinismus überleben mussten. Max Reimann wird da merkwürdigerweise Stino genannt. Wollte Schernikau hier sagen, dass es für einen wie Max Reimann stinkmormal war, in der Minderheit zu sein, immer wieder mit Gefängnissen undStaatsgewalt konfrontiert zu werden und doch unbeirrbar seinen Weg fortzusetzen?

Da sind dieaktiven Gewerkschafterinnen, meistens im Betriebsrat und Mitglieder der kommunistischen Partei, dieim Stück als selbstbewusste Frauen auftreten, die sich auch schon vor der Me too-Kampagne gegen Sexisten am Arbeitsplatz zu wehren wussten. Es ist auffallend, dass all dieseFiguren aus dem realpolitischen Alltag einer nominalkommunistischen Partei der 1980er Jahre entsprungen sein könnten, wie sie Schernikau, der mit 16 Jahren in Hannover in die DKP eingetreten ist, sicher oft genugerlebt und vielleicht manchmal auch erlitten hat. Doch fehlt bei ihm bei aller Kritik jeder Zynismus.Schernikau hat nicht den Slang eines Hubert Fichte, der sich in seinen Roman Grünspan über "immer dieselben kommunistischen Betriebsräte“ lustig machte und sich dann freute, wenn er auf „wirkliche Arbeiter“ traf. Das waren für Fichte dann die, die die Lügen der Bild-Zeitung nachbeteten. Doch Schernikau wusste, was auch heute Aktvist*innen, die nie in eine dieser nominalkommunistischen Parteien eingetreten wären, erkennen. Diese Komitees und Bündnisse so bieder und harmlos sie daher kamen, haben Kontakte zwischen desperaten Kämpfen geschaffen. Wie schwer ist es heute schon mit Erwerbslosen und Mieter*innen gemeinsame Kämpfe zu organisieren. Wie viel schwieriger ist eine Verbindung zwischen Hausbesetzer*innen und Erwerbslosen zwischen Schwulen und streikenden Kitabeschäftigten herzustellen? DieKomitees waren so oft Relaisestationen, über die Kontakte entstanden. Heute nennen wir sie Stadtteil- oder Workingzentren. Es gibt nicht mehr die Partei im Hintergrund, die oft auch mehr Bürde als Unterstützung Aber auch keine Götter helfen uns, was ja schon die Internationale wusste.Bei Schernikau tauchen zwar Götter auf und in Berlin unter, aber sie scheitern auch und wenden sich wieder ab.

Dann wird endlich Frieden sein

Zwei Szenen fand ich bei der Aufführung besonders beeindruckend. Im ersten Teil war es der Verweis auf den spätmittelalterlichen Kirchenmusiker Josquin Desprez, den Schernikau als Beispiel anführte, dass in seiner Musik die Ahnung einer befreiten Welt anklingt, fast als wäre es Kommunismus.Dieser Verweis zeigt die stupende Belesenheit von Schernikau, der das Wissen aus den unterschiedlichen Fakultäten sammelte. Die zweite beeindruckende Szene war der Schluss. Die letzten zwei Minuten gehören Schernikau. Auf einen Video singt er schon von seiner Krankheit gezeichnet ein Lied, das mit dem Refrain endet „dann wird’s endlich Frieden sein“. Im ersten Augenblick denkt man, warum muss das Stück mit so einen Kitsch enden? Doch dann überlegt man, ist es nicht auch ein ehrliches Ende. Schernikau hätte es wahrscheinlich als größeren Kitsch empfunden, sich mit derheroischen Pose mit der erhobenen Faust zu verabschieden. So ist das Lied auch ein Vermächtnis wenige Wochen vor seinen Tod. Das Theaterstück aber sollte uns anregen, die „legende“ zu lesen. Dem Verbrecher-Verlag ist es zu verdanken, dass es wieder erhältlich ist . Der Verlag plant die Herausgabe der gesammelten Werke von Schernikau. Wir können von ihm lernen, dass Kommunist*innenscheitern können und trotzdem nicht verzweifeln.

Peter Nowak

Nächste Aufführugen: 12.1. und 25.1.2020

Weitere Infos hier:

https://www.volksbuehne.berlin/de/programm/8583/legende

legende - das Buch

https://www.verbrecherverlag.de/book/detail/945

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Geschrieben von

Peter Nowak

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