Das Richtige tun

Kunst Ausstellungen haben dieser Tage überall den Anspruch, die Welt zu verbessern. Müssen die das eigentlich?
Ausgabe 12/2020

Schräg gegenüber vom Turm des Pharmaunternehmens Roche, der wie ein dreieckiges Segel dasteht und gerade einen neuen Anbau bekommt, liegt die Gegenwartsabteilung des Kunstmuseums Basel. Dort ist aktuell die Ausstellung Circular Flow zu sehen. „Das Projekt ist zum Scheitern verurteilt“, sagt der Kurator Søren Grammel, „weil das Thema viel zu groß ist für so eine kleine Ausstellung.“ Und wenn er das so sagt, klingt er auch ein bisschen stolz auf dieses Understatement. Nur, es handelt sich ja gar nicht um eine kleine Ausstellung, sie erstreckt sich über drei Etagen. Und das Thema, dessen sich die Schau annimmt, gibt kaum einen Grund zur Bescheidenheit, der Untertitel liest sich eher wie amtliche Suhrkamp-Theorie: „Zur Ökonomie der Ungleichheit“.

Das große Draußen, es macht sich dieser Tage im Museum breit. In den niedrigen Räumen am Rheinufer lautet die Frage: Wie kann eine Kunstausstellung auf die drängenden Probleme unserer Zeit reagieren — Kapitalismus, Klimawandel, die ungleiche Verteilung von Reichtum? Die Antworten sind sperrig und widersprüchlich. Erstes Beispiel: Richard Mosses monumentale Arbeit Grid (Moria), die im Foyer des Museums steht. Auf 16 Screens zeigt das Video schwarz-weiße Aufnahmen von Meer, Stränden, Gebüsch und Zelten. Die Bilder verschieben sich ständig, sie sind in nervöser Bewegung. Der irische Künstler filmt mit einer Wärmebildkamera das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, seit Ende 2015 Auffangstation für Geflüchtete an der Außengrenze der Europäischen Union. Für die, die hier landen, gibt es wenig Hoffnung. Durch das Abkommen zur Rücknahme von der Türkei kommender Flüchtlinge dient Moria primär als Abschiebelager. In der dokumentarischen Videoarbeit „konzentrieren sich die Probleme, die Circular Flow beschreiben will“, sagt Grammel, und: „Wir sind Teil des Systems. Wenn wir nicht außerhalb des Lagers wären, gäbe es auch kein Inneres. Das Lager könnte nicht existieren.“

Kunst in der Sinnkrise

In diesem Szenario bleibt niemand unschuldiger Beobachter. Mosses Arbeit gibt diesem Gefühl von Ohnmacht eine Form, macht aber noch etwas anderes. Sie erzeugt einen Konsens darüber, was richtig und was falsch ist. Wer könnte leugnen, dass an der EU-Außengrenze Unrecht geschieht, und dass wir als privilegierte Europäer– zumindest indirekt – davon profitieren?

Keine moralische Frage soll zu groß sein für diese Ausstellung. Circular Flow ist nicht die einzige Schau, die sich so konkret globalen Themen annimmt. Aber woran liegt das? Ringen Kunstinstitutionen um Relevanz, ist die Kunst in der Sinnkrise?

Den Betrieb zieht es in dieser Frage aktuell in zwei Richtungen. Der Kunstkritiker Hanno Rauterberg sieht die Kunst in der Krise. Die freie Kunst verdanke sich ursprünglich einer liberalen Geisteshaltung, schreibt er in seinem 2018 erschienenen Buch Wie frei ist die Kunst?. Und jede Vermengung mit moralischen Ansprüchen – oder gar Political Correctness – ist ihm verdächtig. Rauterberg fürchtet eine „neue Buchstäblichkeit, die zwischen Fiktion und faktischer Welt nicht unterscheiden mag“. Eine Seite wird hysterisch, wenn Künstler und Ausstellungsmacher die Rolle von Aktivisten einnehmen. Andere fragen sich, ob es die Unterscheidung zwischen Fiktion und faktischer Welt überhaupt geben soll. Das Museum wird für sie endlich zum Ort öffentlicher Diskussionen, und am besten auch zum politischen Kampfplatz.

Das zeigt sich beim Green New Deal für Museen, den das Kunstmagazin Monopol im vergangenen Sommer anstieß. Das Tate-Museum in London hatte den Klimanotstand ausgerufen und Regeln für ein grünes Kunsthaus erarbeitet, es gebe NGOs, die sich der Klimaneutralität im Kulturbetrieb verschrieben hätten, hieß es in dem Artikel des Magazins, während in Deutschland Nachhaltigkeit im Kunstbetrieb eine viel zu niedrige Priorität habe, bisher zumindest. Es müsse transparenter werden, wie viel CO₂ Transporte und Ausstellungsvorbereitungen emittieren und mit welchem Aufwand Sammlungen klimatisiert werden. Nur wenige Monate später richten Kurator*innen, Direktor*innen und Künstler*innen tatsächlich einen offenen Brief an die Kulturstaatsministerin Monika Grütters, um ebendiese Maßnahmen einzufordern.

Aber lange bevor der Green New Deal im Kulturbetrieb ein Begriff war, jener Maßnahmenkatalog also, der in den USA Klimakrise und wirtschaftliche Ungleichheit lösen soll, begannen die Vorbereitungen der Ausstellung Zero Waste. Die Schau eröffnet Ende März im Museum der bildenden Künste Leipzig, und die Prämisse lautet: Müll ist überall. Zwar mag Abfall mindestens seit den 60ern das Material der Wahl bestimmter Kunstgattungen sein, aber die Kuratorinnen Hannah Beck-Mannagetta und Lena Fließbach wollen auch hier das große Ganze in den Ausstellungsraum holen. „Wir wollen das Thema ganzheitlich denken“, sagt Fließbach. Das heißt: Es werden keine Riesenskulpturen um die Welt gesendet, der ökologische Fußabdruck der Ausstellung soll klein bleiben, Transporte sollen gespart werden. Die argentinische Künstlerin Mika Rottenberg, die in New York lebt, schickt zum Beispiel nur eine Videoarbeit und nicht ihre sonst üblichen raumgreifenden Installationen. Sie selbst kommt nicht zur Eröffnung.

Eine gute Sache. Nur, wirklich Zero Waste wäre es ja, einfach keine Ausstellung zu machen. Oder nur mit lokalen Künstler*innen. So sehr sich Kurator*innen auch bemühen, indem sie Probleme thematisieren, kommen sie nicht umhin, Teil davon zu sein. Das wissen auch Beck-Mannagetta und Fließbach: „Wir machen uns angreifbar.“

In der Baseler Show Circular Flow wird dieser Widerspruch deutlich. Der Künstler Andreas Siekmann hat einen der niedrigen Räume mit einer Installation gefüllt, die vom Handel mit Lizenzen für Saatgut erzählt. In the Stomach of the Predators, deutsch: im Magen der Raubtiere, erzählt von der Monopolbildung auf dem Saatgutmarkt und besteht aus verschiebbaren Tafeln, die Vermögensverhältnisse und internationale Verstrickungen sichtbar machen. Die Arbeit kommt spröde daher wie ein Diagramm im Erdkundebuch, das mit einer Mischung aus Buchstaben und Bildern vermitteln will. Aber sie spricht doch eine zweite Sprache: die der Überwältigung. Bei aller Trockenheit entwickelt die Infografik ihren eigenen ästhetischen Sog, die ausgefeilte Kunstlosigkeit ist vielleicht der größte Coup.

Fragwürdige Sponsoren

Kurator Grammel, vor Siekmanns Installation stehend, erklärt welche Unternehmen sich an den Knebelverträgen beteiligen, die Bauern weltweit zu erfüllen haben: Bayer, Monsanto, Syngenta, die synthetisch klingenden Namen, die zur Kurzformel für globale Konzerne geworden sind. Dann, eine kurze Pause, und er fügt hinzu: „Syngenta übrigens sponsert auch den Familientag des Kunstmuseums.“ Da entsteht eine unangenehme Stille. Dabei handelt es sich natürlich um keine geheime Information. Doch Beobachtungen erzeugen blinde Flecken, wusste der Soziologe Niklas Luhmann, und wer die großen Fragen der Welt im Blick hat, kann nichts über sich selbst und seine unmittelbare Umgebung sagen.

Seit einigen Jahren wird so eine ähnliche Debatte schon geführt, zunächst in den USA, schließlich auch in Europa. Hinter den symbolischen Gesten innerhalb der Institution (Kunst) stehen finanzielle Strukturen, eh klar. Ob Waffenproduzenten Biennalen sponsern oder Pharmakonglomerate, die abhängig machende Schmerzmittel produzieren, Museumsbauten finanzieren – neuerdings werden Institutionen oft gezwungen, zu ihren Förderern Stellung zu beziehen. Letztes Jahr ereignete sich der bisher spektakulärste Fall. Während der Whitney Biennale in New York unterzeichneten Mitarbeiter des Museums einen offenen Brief, weil das Vorstandsmitglied Warren Kanders Eigentümer einer Waffenfirma ist. Die Biennale nannte man bald nur noch The Tear Gas Biennial, der Mäzen musste aus dem Vorstand zurücktreten.

Über die Bedingungen des Ausstellens nachzudenken, ist nicht neu, auch wenn die Anfänge der Institutionskritik im Dunkeln liegen. Manche sagen, der Künstler Hans Haacke habe sie erfunden, als er 1971 die fragwürdigen Immobiliendeals der Guggenheim-Vorstandsmitglieder offenlegte. Sie ist eine paradoxe Sache, denn damit Künstler*innen Institutionen kritisieren können, müssen sie ja erst mal hinein. „Wir sind die Institution Kunst“, sagte die Künstlerin Andrea Fraser einmal.

Dieser Tage hat diese Form der nach innen gerichteten Kunst- und Kunstdiskussion wieder Auftrieb. Das Museum ist gerade heute nicht einfach ein Haus, das man nur mit kritischer Kunst füllen müsste, sondern ein mächtiger Player auf dem Feld der Aufmerksamkeitsökonomie. Was es endgültig nicht mehr ist: ein neutraler Ort, an dem die Kunst geschützt ist, weder vor Zugriffen des Kapitals noch vor moralischen Ansprüchen. Der große Vorteil von Kunstinstitutionen ist aber, dass auch zum Scheitern verurteilte Projekte den größten Erkenntniswert bringen können.

Info

Circular Flow. Zur Ökonomie der Ungleichheit Kunstmuseum Basel, voraussichtlich bis 3. Mai, aktuell leider geschlossen

Zero Waste Museum der bildenden Künste Leipzig, ursprünglich geplant bis 21. Juni, ist aus aktuellem Anlass verschoben worden

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