Gedanken eines Piraten zur sozialen Gerechtigkeit

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Als ich Pirat war, war ich Student, der in den Semesterferien, der im Lager einer großen Kaufhauskette jobbte. Das war ein großes altes Lager und Waren aus aller Welt kamen dort an.

Das Lager hatte eine Rampe, die sicher vier Lastkraftwagen nebeneinander Platz bot. Damals kam mir das riesig vor, auch wenn ich heute gewiss bin, dass es eher ein kleines Lager war.

Der Job war auf acht Wochen angelegt. Ich hatte viele Kollegen von der Uni. Am ersten Tag erfolgte die Einarbeitung mit den Elektroameisen. Bei dem motorischen Feingefühl in meinen eher ungelenken, wenn auch sehr kräftigen und langen Fingern ging an diesem Tag die Elektroameise immer im Kreis mit mir spazieren und dabei schlug mir das Herz bis zum Hals. Verzweifelt versuchte ich meine Füße vor den der Elektroameise, die mich hartnäckig verfolgte, in Sicherheit zu bringen. Trotzdem setzte es ein paar blaue Flecken an den Füßen.

Noch ärger trieb es ein damaliger Studentenkollege der das große elektrische Hebe- und Transportgerät mit den zwei superlangen Zähnen -eben Elektroameise genannt- direkt am ersten Tag von der Rampe zwei Meter zum Totalschaden runter segeln liess.

Am Tag als ich Pirat war, arbeitete ich alleine und ich war auch ein armes Schwein, dass bei der Arbeit schwitzte.

Dann kam dieser besagte Laster, der das Hinterteil seines Anhängers an die Laderampe bugsierte. Die Heckklappe wurde aufgemacht und die hintere Plane auf das Dach und die Seiten des Anhängers abgelegt. Es war ein heißer Frühlingstag und golden schien die Sonne durch die Seitenplane des Anhängers auf diese gelbbraunen Jutesäcke vor mir. Auf den Säcken waren schwarze Buchstaben aufgedruckt. Ich kann nicht mehr genau erinnern , was es für eine Beschriftung war:

„INDIA“ oder „MADE IN INDIA“ oder so ähnlich.

Eine kostbare Fracht war darin.

Teppiche, die kurz zuvor in Hamburg als Seefracht gelöscht worden!

In diesen Augenblicken auf der Ladefläche des LKW´s musste ich die Jutesäcke aus transporttechnischen Gründen zum Teil öffnen.

Die Ahnung, dass an diesem System mit den Weltmarktpreisen und den enormen Gewinnspannen auf den ganzen Handelstufen etwas nicht stimmt, war in diesem Augenblick nicht nur ein Gedanke sondern auch ein seltsames Gefühl, dass mit den Händen begreifbar und erfahrbar war, das mir den Hals zu schnürte, mich inne halten liess und übermächtig stark war!

In meinem Leben hier in Deutschland war und bin ich materiell eher glücklos geblieben, doch auch heute gehe ich noch als Teil dieser Gesellschaft durch die entfremdete Warenwelt der Warenhäuser und Supermärkte und bin Pirat, obwohl ich gar kein kein Pirat sein möchte.

Wenn ich heute von Seepiraten beispielsweise vor der somalischen Küste höre, möchte ich diese Gewalt nicht rechtfertigen, komme aber nicht um ein gewisses Verständnis umhin, wenn es stimmt, das die eigentlichen Seeräuber am wenigsten von der Beute abbekommen und oft einfach nur um das Überleben ihrer Familien kämpfen.

Wie gesagt bin ich trotzdem felsenfest davon überzeugt, dass Gewalt niemals eine Lösung ist, die dauerhaft eine bessere Welt schafft!

(Notwehr ist vielleicht noch was Anderes. Meist wird Notwehr aber einfach nur als Rechtfertigung für Gewalt mißbraucht.)

Die Ablehnung von Gewalt gilt aber auch für die neuerdings angeforderte Verstärkung der Gewalt der Bundeswehr im Einsatz gegen Seepiraten!

Eine bessere Welt kann permanent nicht entstehen, wenn nicht an den Ursachen der Armut in den Entwicklungsländern gearbeitet wird. Selbst als unterbezahlter Preki im Niedriglohnsektor bin ich auch heute noch ein klitzekleines Rädchen in diesem übergroßen monströsen Weltgetriebe der Ausbeutung des Trikont, alleine schon dann, wenn ich konsumiere.

Hinausschreien möchte ich meine Forderung nach Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft immer noch, obwohl ich mir darüber im Klaren bin, dass dieser Ruf in der Wohlstandsfalle verhallt, so wie er auch nach den Montagsdemonstrationen verhallt ist.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit!

Soziale Gerechtigkeit ist nicht wirklich regional teilbar!

Der Schmerz in diesen kleinen geschickten und völlig unterbezahlten Händen nach Zwölfstundentagen- oder mehr- bei der Herstellung dieser Teppiche wird eines Tages auf uns zurückkommen, wenn wir nicht aufpassen und meinen, dass das alles so in Ordnung ist.

Das gilt für jeden einzelnen Konsumenten, aber auch für einen Staat in dem Politiker nach dem Tsunami 2004 bei einer ziemlich kleinen Soforthilfe- irgend etwas um die eine Millionen Euro herum-erst einmal ganz genau geklärt wissen wollten, aus welchen Almosentöpfen dieses Geld nun kommen sollte und das dies nicht zu einer zusätzlichen Belastung des Haushalts führen dürfe.

Es ist ein Staat, der keine Probleme damit hat, wenn es um die Interessen der Finanzindustrie geht, eben mal von heute auf morgen ein paar hundert Milliarden zu spendieren.

Es ist ein Staat, der den Hartz IV - Beziehern das Nötigeste zum Überleben gibt und dies als enorme Leistung der sozialen Marktwirtschaft feiern möchte.

Mir ist klar, dass die Vollversorgungsmentlität mit Abnahme fast sämtlicher Verantwortung durch den Staat,in der ich sozialisiert worden bin, keine ewige Wahrheit ist, aber die entsolidarisierte Gesellschaft mit Ihrem freien Markt ist mindestens eben so wenig!

Eine menschenwürdige Gesellschaft- weltweit- braucht einfach mehr als internationale Handelsabkommen und Hartz IV hier oder in Chile.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

poor on ruhr

Vielseitiger interessierter Arbeiter und ziemlich stark in die in die in aller Welt bekannten Pandabären vernarrt. 🐼

poor on ruhr

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