Kopftuchfrage ungelöst

Kopftuchstreit Das Bundesverfassungsgericht tritt einen Schritt zurück – Das ist gut so, denn der Kopftuchstreit ist eine Frage für die Zivilgesellschaft

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Wie lange wollen wir Frauen noch unterstellen, ihre Kleidungsgewohnheiten ließen sichere Rückschlüsse auf ihre Werte und Welthaltungen zu?
Wie lange wollen wir Frauen noch unterstellen, ihre Kleidungsgewohnheiten ließen sichere Rückschlüsse auf ihre Werte und Welthaltungen zu?

Foto: ABDELHAK SENNA/AFP/Getty Images

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil ein generelles Verbot des Tragens von Kopftüchern an Schulen ausgeschlossen, indem es ein solches Verbot als verfassungswidrig erklärt hat. Es gibt gleichzeitig einen Teil der Verantwortung an die Schulen ab, da diesen nun aufgegeben ist zu unterscheiden, wann kopftuchtragende Lehrerinnen „den Schulfrieden stören“ und somit für diesen Fall ein Verbot des Kopftuches durchzusetzen wäre. An den Schulen, das ist schon abzusehen, werden in Zukunft vermehrt Auseinandersetzungen zwischen Lehrerinnen, Verwaltung, Eltern und Schülern darüber stattfinden, wann die Kopfbedeckung noch in Ordnung ist und wann nicht mehr.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist dennoch zu begrüßen. Der Streit um das Kopftuch ist durch einen einzelnen Gerichtsentscheid ohnehin nicht endgültig zu lösen. Wir stecken in Deutschland mitten in einer Auseinandersetzung, in der die Position islamischer Glaubensäußerungen – zu denen bei weitem nicht nur das Kopftuch gehört – und des Islam in unserer Gesellschaft verhandelt wird. Es geht letztlich also darum, wie wir gemeinsam leben wollen und was dabei als tolerierbar gelten soll. Diese Frage wird uns noch lange beschäftigen, der neuerliche Richterspruch ist da nur ein kleiner, klärender Schritt.

Das Urteil ist deshalb zu begrüßen, weil es ein klares Signal setzt: Die Auseinandersetzung liegt in der Verantwortung aller gesellschaftlichen Akteure, nicht bloß in der der höchsten Gerichte. Es ist essenziell wichtig, unser Zusammenleben im täglichen Kleinklein immer wieder neu auszuhandeln, dabei nicht nachzulassen und auch nicht auf höchstrichterliche Entscheide zu warten. Die Zivilgesellschaft ist gefragt, sie sollte sich nicht beklagen, wenn sie von Seiten der Jurisdiktion an ihre Aufgabe der Selbstorganisation erinnert wird.

Noch ein zweites Signal setzt das Urteil: Kopftuchtragen ist nicht automatisch ein Symbol religiös motivierter patriarchaler Unterdrückung, wie zum Beispiel Iris Radisch in einem Leitartikel in der aktuellen Ausgabe der ZEIT meint. Sie insinuiert, eine kopftuchtragende Lehrerin könnte nicht genauso gut liberale und zivilgesellschaftliche Werte vertreten wie eine Lehrerin, die ihre Haare offen trägt. Mit diesem kruden und stereotypen Verständnis sollten wir endlich Schluss machen. Wie lange wollen wir Frauen noch unterstellen, ihre Kleidungsgewohnheiten ließen sichere Rückschlüsse auf ihre Werte und Welthaltungen zu? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erinnert uns daran, uns zunächst zu vergewissern, wer genau unter dem Tuch steckt, bevor wir ihn pauschal von bestimmten Berufen und damit von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen. Das ist eine Frage, die nur vor Ort mit den Menschen, die direkt beteiligt sind, geklärt werden kann. Gut, dass die Gerichte hier zunächst einen Schritt zurücktreten.

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Geschrieben von

Peter Plöger

Wir brauchen nicht mehr Glück, wir brauchen mehr Sinn.

Peter Plöger

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