Zivilität, nicht lexikalischer Bannstrahl

Rassistische Sprache Die Sprachkritik nimmt wieder einmal autoritäre Züge an.

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Was wir mit unseren Worten bewirken, kann uns nicht egal sein. Mir als Berufsautor ist es ganz sicher nicht egal. Wenn sich also jemand verletzt fühlt, weil er auf einen rassistischen und beleidigenden Ausdruck stößt, dann finde ich das schlimm. Über den Einzelfall hinaus glaube ich, dass Rassismus nicht in die aufgeklärte und offene Gesellschaft gehört, in der ich aufgewachsen bin und in der ich weiter leben möchte. Liebe Sprachkritiker, wir sitzen im selben Boot.

Von Zeit zu Zeit aber komme ich nicht mehr mit. Da nimmt eure Sensibilität für Sprache Züge an, die ich für gefährlich halte für jene aufgeklärte und offene Gesellschaft und die dem gemeinsamen Eintreten gegen den Rassismus meines Erachtens nach keinen Gefallen tun, weil sie offenkundig sehr von Erregtheit und einem versteckten autoritären Impuls getragen ist. Insbesondere geht sie von falschen Annahmen über Sprache aus und bringt es ferner nicht über sich, der offenen Gesellschaft etwas zuzutrauen.

Aktueller Anlass sprachsensibler Interventionen sind dieses Mal Kinderbücher, die von „rassistischer Sprache befreit“ werden sollen. Da darf Pippi Langstrumpf keine „Negerprinzessin“ mehr sein (sondern soll „Südseeprinzessin“ heißen) und Herr Ärmel auf Lummerland über den frisch eingetroffenen Jim Knopf nicht mehr mutmaßen: „Das dürfte vermutlich ein kleiner Neger sein“ (siehe ZEIT-Dossier, 17. Jan 2013).

Ich verstehe die Aufregung über solche Textpassagen insofern nicht, dass klar ist: die angesprochenen Bücher sind zu einer Zeit entstanden, als der Begriff „Neger“ noch gebraucht wurde, um Afrikaner oder Afrodeutsche zu diffamieren und die Diffamierung noch gesellschaftlich geduldet war. Die Zeiten der Duldung jedenfalls sind vorbei, wer heute rassistisch diffamiert, kriegt zurecht eins drauf. Von dieser Wendung im öffentlichen Diskurs legen unter anderem die Bemühungen der Sprachsensiblen Zeugnis ab, Sprache rassismusfrei zu halten.

Genau hier scheint aber auch ein Kardinalfehler des Sprachsensibilitätsdiskurses auf: Worte sind niemals in sich rassistisch. Das können sie gar nicht sein. Lexikalische Bedeutung bestimmt sich im Gebrauch. Sie ist abhängig von Kontext, Person des Sprechers und Person des Adressaten. Sprechen ist Handeln, und insofern kommt einem Wort eine Bedeutung dadurch zu, welche Handlung mit ihm vollzogen wird: Derselbe sprachliche Ausdruck kann einmal beschreiben, ein anderes Mal erklären, auf sein Gegenteil verweisen, ärgern, ein Spiel sein, beruhigen, eine Stimmung ausdrücken, anregen und vieles mehr, unter anderem eben auch verletzen. Was davon es tut, entscheidet nicht das Wort, sondern die Konstellation aus Situation und beteiligten Personen, in der es in einer bestimmten Weise benutzt wird. Aus diesem Grund kann es keinen per se neutralen Ausdruck geben, wie sehr man sich auch darum bemüht, einen zu konstruieren.

Einträge im Lexikon sind mühsame, aber letztlich ein wenig eitle Versuche, Bedeutungen aus diesen immer wieder neuen Zusammenhängen herauszufiltern und festzuschreiben. Sie im Sinne eines genauen Abbildes der Bedeutung des Wortes zu verstehen, ist ein Missverständnis, weil der Sprachgebrauch enorm vielfältig und schöpferisch ist und sich dem Abbilden schlicht entzieht. Zu glauben, man könne rassistischen Sprachgebrauch verhindern, indem man einen Lexikoneintrag, zum Beispiel „Neger“, durch einen anderen, „korrekten“ ersetzt – „Mensch mit schwarzer Hautfarbe“ – ist deshalb bestürzend naiv. Wenn ich ernsthaft Rassist sein will, kann ich meinen afrodeutschen Nachbarn auch ganz leicht mit den Worten diffamieren: „Seitdem der Mensch mit schwarzer Hautfarbe hier wohnt, liegt der ganze Dreck da im Hausflur“. Oder – Sprache ist enorm kreativ – ich denke mir etwas knackigeres aus: „der Dschungelprinz“, „der Kongo“, was auch immer. Mit anderen Worten: Ich kann jedes Wort so gebrauchen, dass es diffamiert. Glaubt ihr, liebe Sprachkritiker, denn wirklich, dass ihr Rassismus eindämmt, wenn ihr einen Ausschnitt dieser Vielzahl von Wortschöpfungen mit einem Bann belegt?

Die Linguistik einmal beiseitegelegt: Was, wenn sich ein Mensch durch das Wort „Neger“ angegriffen fühlt, ganz konkret in einer alltäglichen Situation, in der er es geschrieben stehen sieht? In der offenen Gesellschaft, die ich mir wünsche, hat er dann die Möglichkeit, den Kontakt zu dem Urheber des Ausdrucks herzustellen und mit Nachdruck und Höflichkeit auf die Wirkung seiner Worte hinzuweisen. Im Falle der Kinderbücher hat er die Möglichkeit allemal. Da mir – siehe den Anfang des Artikels – als Autor doch nicht egal ist, wie meine Worte auf andere wirken (auch wenn ich nicht in jedem Einzelfall gleich verstehe, aus welchem Grund sie das tun) werde ich auf den Kontaktversuch eingehen. Es ist mir doch nicht gleichgültig, wenn ich jemanden beleidigt habe. So wie der Beleidigte sich erklären kann, kann ich mich im Anschluss erklären, und wir haben gemeinsam die Chance, die Verletzung aus dem Weg zu räumen und am Ende sogar noch etwas dabei zu lernen. Das können wir, weil wir beide kompetente Sprecher sind und wissen, wie man Interaktionen respektvoll gestaltet.

Wie gesagt: Das ist meine Wunschgesellschaft. Mir ist klar, dass ein Afrodeutscher kein Interesse daran haben kann, den vier mit Baseballschlägern bewaffneten Gestalten, die ihn gerade „Nigger“ genannt haben, ein Gespräch aufzuzwingen. Mir ist auch klar, dass Mäßigung im Gespräch eine seltene Tugend ist. Aber Streitparteien, die sich gegenseitig als „Dreckstürken“ und „Nazis“ beschimpfen, bringen uns nicht weiter. Nazischläger schon gar nicht. Unser Ziel sollte die oben skizzierte Weise sein, miteinander zu reden.

Eine Sprachkritik, die diffamierende Gebrauchsweisen von Sprache zu erkennen hilft, ist für dieses Ziel ein interessantes Instrument. Eine Sprachkritik, die Gebrauchsweisen von Sprache am liebsten ganz unterbinden will, ist für dieses Ziel so schädlich wie der Baseballschläger. Sie traut den Menschen nicht zu, ihre Interaktionen so zu gestalten, dass niemand verletzt wird – und wenn doch, dann die bewährten, von Rücksichtnahme geprägten Gesprächsrollen einzunehmen, die Verletzungen mildern und ausgleichen können. Sie hat kein Vertrauen in die beiläufige Ethik, die sich alltäglich vielfach in menschlichen Interaktionen beweist. Sie will den Anstand nicht kennen. Sie will vorab regeln, wo nichts geregelt werden kann und nichts geregelt werden muss.

Sie behauptet, bestimmte Ausdrücke seien rassistisch, auch wenn sie nicht rassistisch gemeint sind, das mache keinen Unterschied. Das macht sehr wohl einen Unterschied! In der offenen Gesellschaft muss ich (sofern ich es nicht besser weiß, siehe die Nazi-Prügelknaben) davon ausgehen, dass alle prinzipiell interaktionsbereit sind, das heißt bereit und in der Lage zu zivilen, respektvollen Auseinandersetzungen. Andernfalls setze ich zu viel und eventuell falsches über die Haltungen und Kompetenzen der Menschen voraus. Empfindliche Gemüter könnten hier einen ständigen, pauschalen Rassismusverdacht wittern und sich durch Sprachkritik gegängelt fühlen. Menschen, die halbwegs sensibel für die Befürchtungen und Verletzungen anderer sind, mit mutwilligen Schmähern und Fremdenfeinden in einen Topf zu werfen, ist selbst diffamierend.

In jedem Fall legt die Sprachkritik den falschen Fokus, nämlich auf die Lexik statt auf die Bereitschaft zu zivilen Interaktionen. Der letztere birgt natürlich ein größeres Risiko als der Fokus auf die Lexik: Interaktionen können scheitern, Bereitschaft kann zu niedrig sein. Dieses Risiko wollt ihr, liebe Sprachkritiker, offenbar nicht aushalten. Ihr argumentiert lieber strukturell mit dem im Sprachsystem eingebauten Rassismus und der Sicherheit des Wortbanns. Das ist – ihr mögt es vermutlich nicht gern hören – eine sehr konservative, eine autoritäre Argumentation. Wo andere Ressentiments gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen haben, habt ihr Ressentiments gegenüber ausgewählten Wörtern. Und manchmal reicht es, diese Worte in den Mund zu nehmen und eure Sprachsensibilität in diesem einen Fall als unplausibel zurückzuweisen, um mit euren stereotypen Kategorien bedacht zu werden. Ich bin auch schon im Laufe eines Gespräches zu einem „privilege denying dude“ mutiert, es gehörte gar nicht viel dazu.

Sprachkritik darf kein Selbstläufer sein. Ihr Rahmen muss das Bemühen um eine offene, zivile Gesellschaft bleiben, die jedem Einzelnen den Schutz gibt, den er braucht, um frei handeln zu können.

Wann handele ich denn aber zivil? Doch nicht, wenn ich peinlich genau auf „neutrale Sprache“ achtgebe – das könnte Thilo Sarrazin auch. Sondern zum Beispiel dann, wenn ich in Interaktionen Respekt signalisiere, Wertschätzung und Verständigungsbereitschaft vermittele, meine eigenen Haltungen und Interessen gegenüber denen der anderen momentan zurückstelle. Die systemische Voraussetzung für solche Interaktionen ist, dass jeder sich prinzipiell ungehindert äußern kann, ohne Angst haben zu müssen, dafür diffamiert zu werden. Eine Sprachkritik, die Worte ächtet, produziert eine Atmosphäre, in der eine solche Angst befördert wird.

Das Ziel muss aber sein, eine Atmosphäre zu schaffen, in der offene Diskriminierungen abgelehnt werden; in der diejenigen, die verletzende Handlungen begehen, ebenso angehalten sind, diese Handlungen zu reflektieren und sich von ihnen zu distanzieren wie die Verletzten von ihrer Verletztheit – dort, wo es die Zivilität gesellschaftlicher Prozesse erfordert; in der auch Nachsicht geübt wird und Erregtheit erst einmal die Gelegenheit gegeben wird abzukühlen, bevor sie geäußert wird. Runterkochen, dann servieren.

Liebe Sprachkritiker, die offene Gesellschaft lebt vom Vertrauen in sie. Sie funktioniert sehr gut auch ohne den lexikalischen Bannstrahl. Ich würde mir wünschen, dass ihr dem anstrengenden, aber lohnenswerten Experiment offene Gesellschaft endlich mehr Chancen einräumen würdet, statt ihm durch eure ängstliche Regelungswut Steine in den Weg zu legen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Plöger

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Peter Plöger

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