Wie kommt die internationale Friedensbewegung aus der Sackgasse?

Internationale Friedenstagung Obwohl die Bedenken hinsichtlich der Eskalation des Kriegs in der Ukraine international bei den Regierenden und in der Bevölkerung wachsen, fristet die globale Friedensbewegung noch ein Schattendasein. Was sind die Gründe hierfür?

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Zum Ablauf der internationalen Friedenstagung in Wien im Juni 2023

Am 10./11.6.2023 fand eine internationale Friedenskonferenz mit ca.300 Teilnehmern*innen aus 35 Ländern in Wien statt. Das Ziel dieses Kongresses sollte u.a. die Verabschiedung einer ‚Wiener Erklärung für den Frieden‘ sein. Doch ein erstes Problem trat bereits vor der Konferenz auf. Bereits zwei Tage vor der Tagung sagte der Österreichische Gewerkschaftskongress (ÖGB) überraschend die bereits zugesagten Räumlichkeiten für die Tagung ab, da dort unerwünschte Redner, wie z.B. Jeffrey Sachs, vertreten seien. Es gelang den Veranstaltern, u.a. das International Peace Bureau (IPB), der Women’s International League for Peace & Freedom (WILPF) und das österreichische Aktionsbündnis für Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit (AbFaNG), kurzfristig neue Räumlichkeiten zu finden, so dass die Veranstaltung dennoch stattfinden konnte.

Nach einem ausverkauften und von Gerhard Kofler (AbFaNG) moderierten Auftaktkonzert am Freitagabend zum 180. Geburtstag der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner („Die Waffen nieder!“) u.a. mit dem 1. Österreichischen Frauenorchester fanden dann am Wochenende zahlreiche friedenspolitische Vorträge und Grußbotschaften sowie zwei Phasen mit Workshopgruppen statt. Zum Schluss der Tagung wurde eine fertige Deklaration der Autoren dem Plenum präsentiert, wobei hier Stellungnahmen im Plenum bzw. eine Diskussion nicht erwünscht waren (Reiner Braun, IPB: „nur eine Deklaration der Organisatoren“).

Während der Tagung gelang es den Veranstaltern, Vertretern*innen der Friedensbewegung und der Politik aus vielen Ländern per Video oder live zu präsentieren.

Zu den Inhalten der Friedenstagung

Hierbei wurden insbesondere von zum Teil im Exil lebenden Rednern*innen, die aus direkt von dem Krieg in der Ukraine betroffenen Staaten stammten, wichtige Statements vorgenommen – einige Beispiele:

Karyna Radchenko (Ukraine), Partnership for Advancing Innovative Sustainability:

„Nothing can justify weapons against civilians. Nothing can justify this invasion.“

Oleg Bodrow (Russland), IPB:

There are „32 nuclear units around the Baltic region. (…) We cannot be enemies.“

Nina Potarska (Ukraine), WILPF:

„Peace is not when shooting has ended. (…) Ukraines ask for guaranties for ceasefire.“

Yurii Sheliazhenko (Ukraine), Ukrainian Pacifist Movement:

„Peace work: Turn enimies into friends. (…) War is killing, war is criminal.“

Olga Karach (Belarus), Our House:

„Women often hear when they are trying to talk about their problems: 'we have no time for women's problems, for climate change problems, because we have a war.' “

Doch der hauptsächliche Tenor der Tagung - vor allem in den Plenumsbeiträgen - lag auf der Kritik des Westens und dessen Schuld bei der Entstehung des Kriegs in der Ukraine – auch hier einige Beispiele:

Prof. Jeffrey Sachs (USA): „The war should weaken Russia.“ (…) „US don’t think about Ukraine but about weakening Russia.“ „The United States stopped negotiations.“

Prof. Noam Chomsky (USA): „For a better negotation position (…) continuing slaughter and destruction.“ sowie Prof. Anuradha Chenoy (India): „Peace has come when the West wants it.“

Auch in weiteren Redebeiträgen, u.a. vom IPB-Organisator Reiner Braun oder von Alain Rouy (National Secretary of Movement de la Paix, France), wurden vor allem der Westen, also insbesondere die USA, die NATO und die EU, für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht.

Die von den Organisatoren selbst erstellte und leider nicht im Plenum diskutierte Abschlusserklärung beschränkte ihre Kritik an dem russischen Angriff auf die Ukraine auf den knappen Satz „We condemn Russia’s illegal invasion of Ukraine.“ Die Forderung nach dem Abzug der russischen Truppen und der Einstellung der russischen Luftangriffe fehlte jedoch.

Perspektiven für die internationale Friedensbewegung

Was lässt sich nun aus dem Ablauf und den Inhalten dieser internationalen Konferenz hinsichtlich der Perspektiven der internationalen Friedensbewegung folgern?

Hauptgegner sind immer noch die NATO und die USA sowie die EU - also die Hauptakteure des sogenannten Westens. Übergangen wird in den meisten Redebeiträgen der brutale Imperialismus Russlands. Nur wenige Teilnehmer_innen verweisen darauf, dass es sich bei der gegenwärtigen russischen Regierung und den damit verbundenen Institutionen um ein autoritäres Regime handelt, das nach innen repressiv seine Opposition ausschaltet und nach außen imperialistisch-aggressiv agiert.

Die Kritik an den völkerrechtswidrigen Kriegen der USA, wie z.B. dem Vietnamkrieg oder den 2. Irakkrieg, ist nachvollziehbar und berechtigt. Aber in diesem Fall ist die Russische Föderation in ihren Nachbarstaat mit dem Ziel einmarschiert, die Staatlichkeit der Ukraine zu zerstören. Dies haben das russische Militär sowie u.a. die Privatarmee der Wagner-Gruppe mit unglaublicher Brutalität gegen die ukrainische Zivilbevölkerung vorgenommen. Auch die völkische Ideologie und die rassistische Überhöhung des Russentums in Verbindung mit den russischen Großmachtambitionen müssten von der Friedensbewegung beim Namen genannt werden, wenn sie aus der ideologischen Sackgasse und der geopolitisch einseitigen Sichtweise herauskommen will, in der sie sich jetzt noch befindet. Das bedeutet nicht - um nicht missverstanden zu werden - die westlichen ökonomischen und geopolitischen Interessen zu verschweigen. Die Profite des militärisch-industriellen Komplexes, die Bewirtschaftung riesiger ukrainischer Agrarflächen durch US-Konzerne, Bodenschätze, z.B. bereits entdeckte Gasvorkommen und weitere Bodenschätze in der Süd- und Ostukraine, wie Lithium, Grafit und Kobalt und verschiedene Seltene Erden, winkende Profite im Falle eines wirtschaftlichen Wiederaufbaus sowie Strategien geopolitischer Konkurrenz spielen sicherlich eine Rolle bei dem bisherigen Desinteresse der US-Regierung an ernstzunehmenden Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung sowie der westlichen Intervention in die Friedensverhandlungen im Frühjahr 2022. Nur ein ukrainischer Sieg würde diesen ökonomischen und politischen Interessen nutzen. Dies muss auch kritisch analysiert und klar angesprochen werden.

Also sollte für die Friedensbewegung gelten: Das eine nicht lassen, das andere aber ebenfalls tun. Die westlichen Interessen und das Ausschlagen diplomatischer Verhandlungsergebnisse[1] einerseits und andererseits die Verurteilung der russischen Aggression als völkerrechtswidrig verbunden mit der Forderung an das russische Militär, das ukrainische Gebiet zu verlassen, andererseits müssen von der Friedensbewegung angemessen thematisiert werden.

Wenn dieser kritische Blick nach beiden Seiten glaubhaft öffentlich vermittelt werden kann, wird die Friedensbewegung wieder aus dem Schatten treten können und den Zulauf und die Unterstützung bekommen, welche die brutale Problematik derzeit weltweit geführter Kriege verdient.

Diese Einschätzung wird manchem ideologischen Hardliner nicht gefallen, der immer noch aus alter Verbundenheit denkt, die russische Regierung und Putin seien in der gegenwärtigen Lage zu unterstützen, und es handele sich vorwiegend um einen US-imperialistischen Stellvertreterkrieg. Doch im Interesse des internationalen Friedens und auch letztlich in Interesse der internationalen Friedensbewegung ist eine kritische Perspektive auf beide Seiten zu fordern.

Dementsprechend schreibt die österreichische Journalistin Anna Giulia Fink in ihrem Kommentar in der Tageszeitschrift ‚Der Standard‘:

„Die alte Friedensbewegung mag es gut meinen in ihren Absichten: Tatsächlich sollte alles versucht werden, um ernsthafte Initiativen für Verhandlungen zu ermöglichen. (…) Zwar wird Moskau als Aggressor bezeichnet, aber nicht alle gestehen der Ukraine das Recht zu, fremde Streitkräfte aus dem eigenen Land zu vertreiben. Mehr noch: Kiew wird Mitschuld an der Invasion gegeben. Diese Weigerung, die Positionen des unbedingten Pazifismus zu hinterfragen, ist gefährlich: Sie macht blind für russische Kriegsverbrechen. Diese waren bei der sogenannten Friedenskonferenz nur am Rande Thema.“[2]

Trotz aller westlicher Interessen an der Ukraine und historisch gegebener und gebrochener Versprechen: Das russische Militär muss sich hinter die völkerrechtlich anerkannten Staatsgrenzen der Ukraine zurückziehen und beide Staaten müssen die Kampfhandlungen einstellen. Dies muss eine zentrale Forderung der internationalen Friedensbewegung sein. Bis dahin aber ist die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung gegenüber einem übermächtigen Angreifer zu unterstützen – allerdings ohne solche Waffen zu liefern, die den Krieg noch mehr eskalieren können und vollends außer Kontrolle geraten lassen. Waffenstillstandsverhandlungen sind so früh wie möglich zu beginnen und auch über internationalen Druck und die Vermittlung der hierfür zuständigen internationalen Organisationen (United Nations und OSZE) vorzunehmen.[3]

Anmerkungen:

[1] Vgl. zur Intervention der USA und Großbritanniens kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen für eine Beendigung des Kriegs in der Ukraine u.a. https://www.tagesspiegel.de/internationales/israels-ex-premier-befeuert-vorwurfe-wie-nah-kamen-kiew-und-moskau-einer-friedenslosung-9326102.html, 10.2.2023, 13.6.2023.

[2] Anna Giula Fink: Pazifisten in der Sachgasse. In: Der Standard, Ausgabe vom Montag, den 12.6.2023, S.20.

[3] Vgl. hierzu die verschiedenen Initiativen für eine internationale Friedensvermittlung bei https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/

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Geschrieben von

Klaus Moegling

apl. Prof. Dr. habil. i.R., Pol.wiss. u. Soziologe, Autor von 'Neuordnung', https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/

Klaus Moegling

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