Ende einer kurzen Dienstfahrt

KOMMENTAR Indonesiens Wahid vor dem Abschied

Der erst seit Oktober 1999 regierende Abdurrahman Wahid strauchelt so heftig, dass es einem Sturz gleichkommt. Die Beratende Volksversammlung hat ihn wegen erkennbarer Korruption zum zweiten Mal gerügt - Wahid soll umgerechnet zirka sechs Millionen Dollar von der staatlichen Logistikbehörde Bulog und an Zuwendungen des Sultans von Brunei eingestrichen haben. Was unter Suharto "Peanuts" gewesen wären, kann nun zum Amtsenthebungsverfahren führen und dem Land neben seiner latenten Staatskrise zusätzlich eine akute Regierungskrise bescheren.

Verschwindet nach dem philippinischen Ex-Schauspieler-Präsidenten Joseph Estrada nunmehr auch sein benachbarter Amtskollege im politischen Orkus? Einiges spricht dafür, wenngleich beide Personen kaum unterschiedlicher sein könnten. Estrada war ein Zögling der Marcos-Diktatur und setzte wie sein Mentor in Zeiten innenpolitischer Krisen auf einen "totalen Krieg" gegen seine politischen Gegner. Wahid hingegen entstammt einer angesehenen Gelehrtenfamilie und setzte stets auf zivile Umgangsformen und Dialog, um interne Krisen zu entschärfen.

Estrada verhedderte sich im klientelistischen Gestrüpp der traditionellen Eliten und führte zum Schluss seines nur eineinhalbjährigen Patronats die Staatsgeschäfte in einer wirklich mafiotischen Manier. Wahid war im Unterschied dazu stets ein taktisch versierter Widersacher des Terrorregimes, das der Suharto-Clan errichtet hatte - er war darauf bedacht, dessen katastrophales ökonomisches und politisches Vermächtnis zu beseitigen.

Doch nirgendwo sonst sind in so kurzer Zeit so viele Menschen pauperisiert und durch innerethnische Konflikte ins Elend gestürzt worden, wie das in Indonesien seit dem Suharto-Rücktritt im Mai 1998 der Fall war. Über zwei Drittel der Bevölkerung - Wirtschaftswissenschaftler in Jakarta sprechen gar von 80 Prozent - leben heute unterhalb der Armutsgrenze. Dafür muss unbestritten auch der Präsident Verantwortung übernehmen. Obwohl er Umbesetzungen an der Spitze der Armee erwirkte, gegen Offiziere sowie Protagonisten des Suharto-Clans wegen Menschenrechtsverletzungen und Veruntreuung von Staatsgeldern ermitteln ließ, verfügen die Parteigänger des ancien régime nach wie vor über ein beachtliches Arsenal offener und verdeckter Destabilisierungsmethoden. Vor allem die erstarkten Unabhängigkeitsbestrebungen in Aceh, Westpapua und auf den Molukken arbeiten den Militärs in die Hände. Die Generalität verweist auf den drohenden Zerfall des Zentralstaates und präsentiert sich als dessen einzig intakte Instanz zur Wahrung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Unabhängig von Wahids exzentrischem Regierungsstil besteht sein eigentliches Dilemma wohl darin, dass er in prekären Zeiten wie diesen nicht auf Dauer gegen das Militär, dieses allerdings sehr wohl ohne ihn regieren kann.

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