Jetzt bitte alle mal melden, die wussten, dass Alaska 1867 als russische Kolonie an die USA verkauft worden ist. Ja, auch das Kino regt immer wieder zur Bildung an, etwa indem es die Frage aufwirft, warum ein Film Alaska heißt, wenn er doch an der Seenplatte von Mecklenburg spielt. Sollte der Rostocker Regisseur Max Gleschinski etwa Parallelen zwischen den vormaligen Russland-Anbindungen des nördlichsten Westens der USA und dem nördlichsten Osten Deutschlands im Sinn gehabt haben? Immerhin hatte er schon vor fünf Jahren in seinem bemerkenswerten Kinodebüt Kahlschlag gleich zu Anfang in einer Zelt-Disco den Ost-Pop-Klassiker Kling Klang von Keimzeit auflegen lassen und sich soziokulturell somit verortet …
In Alaska dauert es diesmal etwas länger, aber dann
dauert es diesmal etwas länger, aber dann weist auch die eigenbrötlerische Kerstin (Christina Große) darauf hin, dass jenes rote Kanu, in dem sie einige Sommertage lang von einem Zeltplatz zum nächsten paddelt, ein DDR-Produkt aus den 1970er Jahren ist, genau wie sie selbst. Viel mehr Worte macht sie zunächst nicht. Um mehr oder weniger nett gemeinte Annäherungsversuche anderer Camper abzuweisen, reicht ihr meist die kalte Schulter. Statt auf Zwischenmenschliches zu zielen, bleibt der Film (und die stimmungsvolle Kamera von Jean-Pierre Meyer-Gehrke) erst mal an Kerstin dran, an ihrem verzerrten Spiegelbild in den Bugwellen bei voller Fahrt, an ihrer Hand, die mal im Seewasser verschwindet und sich dann wieder als letzte an die Kaimauer klammert, während in der Schleuse alle anderen Freizeit-Skipper stoisch die eigene Abwärtsbewegung hinnehmen.In Kerstins Schweigen und freiwillige Einsamkeit bricht dann die eher redselige Amila (Pegah Ferydoni) ein. Von einem neugierigen Blick zum verstohlenen nächsten, von Zeltplatz zu Zeltplatz kommen sich die beiden näher. Dass Amila, ähnlich wie Kerstin, noch etwas unentschlossen am Übergang zu einem neuen Lebensabschnitt steht, dass sie beide von Männern gehemmt werden, die an der Vergangenheit hängen, treibt sie auch zueinander – aber vor allem, dass sie sich einfach heiß finden. Das erinnert manchmal ein wenig an Kahlschlag, in dem Max Gleschinski bereits von Lust, Eifersucht und Freundschaft in der Provinz erzählte. Nun verzichtet er aber auf jene dramatischen Zuspitzungen, die seinen Erstling in die Nähe eines Horror-Thrillers rückten. Alaska strahlt einen gelassenen Realismus aus. Hier werden auch die Antagonisten, wie Kerstins Bruder Thomas (Karsten Antonio Mielke), nicht einfach im Sinne klischeehafter Spannungsbögen funktionalisiert. Sie dürfen sich so widersprüchlich verhalten, wie das im wahren Leben nun mal oft der Fall ist.Kerstin und Thomas sind dabei, sich über hinterlassene Barmittel ihres kürzlich verstorbenen Vaters zu zerstreiten und stellen gleichzeitig fest, dass sie auch über die unerfüllte Sehnsucht ihres Vaters nach einer Paddeltour über den Yukon-River untrennbar verbunden bleiben. Hier wirkt Alaska bisweilen wie eine Fortführung jener Coming-of-Age-Filme, die um das Jahr 2000 in Ostdeutschland entstanden, wo eine spezielle Post-Wiedervereinigungs-Melancholie noch mit einem trotzigen Glauben an Versprechungen des Westens einherging. Sie hießen Vergiss Amerika (von Vanessa Jopp) oder Alaska.de (von Esther Gronenborn) – und wurden damals zu wenig gesehen. Alaska wäre ein größeres Publikum zu wünschen, nicht zuletzt wegen der Aktualität seiner pointiert vermittelten Botschaften. Erstens: Ein Erbe anzutreten, sei es von den Eltern, beendeten Beziehungen oder einem verschwundenen Staatswesen, wäre so viel leichter, wenn es dabei nicht immer wieder um Geld ginge. Und: Träume von Freiheit können sich mitunter so lange gen Westen ausrichten, dass sie am Ende wieder im Osten ankommen.Eingebetteter Medieninhalt