Auf dem Schlachtfeld steht die riesige Hyäne, mit aufgerissenem Maul. Auf dem Kopf trägt sie einen Zylinder, an ihrem Halsband baumelt der „Pour le Mérite“, der höchste preußische Kriegsorden, allerdings mit veränderter Inschrift: die „Meriten“ wurden durch „Profit“ ersetzt. Das Raubtier scheint bereit, seinen Platz um jeden Preis verteidigen zu lassen. Die Soldaten auf diesem Schlachtfeld sind tot. „Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen“ steht darunter. Diese berühmte Collage von John Heartfield erschien 1932 in der AIZ, der Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, mit einer Auflage von einer halben Million. Die Ausgabe wurde beschlagnahmt und erst nach massiven Protesten namhafter Künstler u
be wurde beschlagnahmt und erst nach massiven Protesten namhafter Künstler und Schriftsteller wieder freigegeben. Ein Dreivierteljahr später wurde Hitler Reichskanzler. Bald darauf floh Heartfield ins Exil.In jüngerer Zeit hat das Interesse an dem überzeugten Kommunisten John Heartfield, der 1968 in Ostberlin starb, und an dessen Wirkungskreisen zugenommen. Die Filmemacher Heinz Bütler und Alexander Kluge widmeten der Frage Was ist DADA? eine DVD-Box und gedachten damit jener legendären künstlerisch-literarischen Bewegung, zu deren bekanntesten Protagonisten Heartfield bis heute zählt. 2020 wanderte die große Ausstellung John Heartfield – Fotografie plus Dynamit von Berlin in die Niederlande und nach London. Daran gemessen erscheint die Prämisse von Katrin Rothes Film Johnny & Me wenig spektakulär, aber auch verblüffend handfest: Im Hier und Jetzt gerät die Grafikdesignerin Stephanie (Stephanie Stremler) in eine Krise. Sie hat, entgegen der eigenen Überzeugung, das Cover-Motiv eines Buches über Mülldeponien in Afrika mit dem Bild eines fröhlichen blonden Mädchens ergänzt. Nun leidet sie an einem „Burn-out“ und entdeckt in einer Ausstellung die politischen Arbeiten John Heartfields. Mit einer kleinen Pappfigur des berühmten Kollegen entwickelt Stephanie eine Art Meister-Eder-Pumuckl-Beziehung. Gemeinsam erzählen sie aus Heartfields Leben und unterhalten sich dabei über den Sinn und Zweck ihrer Arbeit.Placeholder image-1Dass Heartfield zur Zeit der Weimarer Republik „Kunst als Waffe“ eingesetzt habe, wird dabei so oft betont, dass die Diskussion bisweilen unter Anflügen von Nostalgie leidet. Auch Stremlers patentierte hölzerne Naivität war vielleicht in Filmen wie Die Spielwütigen und Staub auf unseren Herzen besser aufgehoben. Ganz wunderbar geraten jene Szenen von Johnny & Me, die sich auf das Puppenspiel und die ausgefeilte Stop-Motion-Animation verlassen. Dahinter bleibt Rothes Drehbuch leider mitunter deutlich zurück. Der offenbar intendierte niedrigschwellige Zugang zum Thema wird immer wieder mit Plattitüden bezahlt. Zum Beispiel kommentiert Stephanie Heartfields satirische Collagen zum Reichstagsbrand: „Weißt du was? Das war schon Social Media in den 30er Jahren!“ Diese Gleichsetzung von breiter printmedialer Verbreitung wirkungsstarker Inhalte mit den auf Austausch basierenden digitalen Plattformen ist natürlich ziemlicher Unsinn, wird aber von Stremlers Mimik wie eine wahrhaftige Erleuchtung gefeiert.Wer über solche Schwächen hinwegsieht, wird allerdings auch mit Momenten belohnt, die so nur durch die eigentümliche Mischung aus Spiel und Puppentrick-Animation möglich sind. Einmal trägt Stephanie den kleinen, gekrümmten Heartfield in ihren großen Händen und legt ihn auf dem Schreibtisch ab. Seine papiernen Augen bleiben zum ersten Mal geschlossen, die flachen Pappfinger sind gekrümmt – da wird das Ausgeliefertsein an eine selbst ernannte Schutzmacht bedrückend spürbar. Es wundert nicht, dass Heartfield wenig später aus der Partei ausgeschlossen wird und einen Herzinfarkt erleidet.Zu den besten Szenen in Rothes Film zählt auch jene aus dem Vorfeld der Reichstagswahl 1928. Dort berät man in der Agitprop-Abteilung der KPD über ein möglichst wirksames Plakatmotiv. Heartfield macht sich prompt auf zum Tor einer Fabrik und fotografiert die Hände von Arbeitern. Eine Hand mit gespreizten Fingern wird schließlich zum zentralen Motiv. Slogan: „5 Finger hat die Hand, mit 5 packst Du den Feind! Wählt Liste 5, Kommunistische Partei!“ Wie diese Arbeit entsteht und wie Heartfield und Genossin Lene Radó-Jansen dann beim Vorsitzenden Ernst Thälmann den ungewöhnlichen Entwurf durchsetzen, lässt die Mühen (partei-)politischer Arbeit erahnen und regt einen außerfilmischen Brückenschlag in die Gegenwart an.Im Karl-Liebknecht-Haus, in dem einst Heartfield und Thälmann ihre Büros hatten, befindet sich heute bekanntermaßen die Bundesgeschäftsstelle der Partei Die Linke. Auch die muss gerade für sich werben, am 11. Februar wird in einigen Berliner Wahlbezirken die Bundestagswahl von 2021 wiederholt. Ihren Mitgliedern bietet die Linke ein Online-Design-Tool namens Lissi für die Gestaltung eigener Plakate an, benannt nach dem russischen Avantgardisten El Lissitzky, von dem sich vor über 100 Jahren auch die Dadaisten inspirieren ließen. Aktuelle Plakate der Linken im Berliner Straßenbild erinnern allerdings eher an die Zeit der Formalismus-Debatte in der DDR („Wozu Bilder – wir haben ja Parolen“, fasst Johnny & Me die damals siegreiche offizielle Haltung zusammen). Heute steht auf Plakaten der Linken einfach: „Gutes Klima, nicht nur für Reiche?“ oder „Du willst Frieden in der Welt?“ Was würde John Heartfield dazu sagen?Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1