Kino Cem Kayas Dokumentarfilm „Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark, Tod“ feiert Schlager, Pop und Rock von türkischen Einwanderern als deutsches Kulturgut
Angenommen, Sie kommen aus Westdeutschland, sind zwischen 1960 und 1980 aufgewachsen und interessieren sich für populäre Musik. Stellen Sie sich einen Dokumentarfilm über Stars aus Ihrer Jugend vor, die in der BRD mit Goldenen Schallplatten ausgezeichnet wurden und in den größten Hallen Konzerte gaben. Würden Sie es für möglich halten, dass Sie keinen einzigen dieser Stars kennen?
Die Chancen stehen gut, genau diesen Film jetzt zu sehen. Er trägt den Titel Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark, und Tod und ist, ohne Übertreibung, sensationell. In ihm hat der 1976 in Schweinfurt geborene Filmemacher Cem Kaya historische Aufnahmen und aktuelle Interviews mit türkischen MusikerInnen kompiliert, die nach dem Anwerbeabkommen
dem Anwerbeabkommen der Regierung Adenauer 1961 in Deutschland Erfolge feierten. Sie sangen meistens auf Türkisch, manchmal auf Deutsch und hin und wieder in einem ganz eigenen Wechsel zwischen den Sprachen. Stilistisch reichte die Bandbreite – um nur den deutschen Referenzrahmen zu bemühen – von chansoninfizierten Schlagern, wie man sie von Udo Jürgens oder Ute Freudenberg kennt (zum Beispiel Yüksel Özkasap), über Entertainment, irgendwo zwischen Manfred Krug und Romy Haag (Hatay Engin, Cavidan Ünal) bis hin zu diversen Rock-Spielarten Marke Udo Lindenberg, Frumpy oder Renft (Derdiyoklar, Cem Karaca). Nicht zu vergessen: kritische Liedermacher wie Gundermann oder Hannes Wader, also zum Beispiel Ozan Ata Canani, der vergangenes Jahr auf dem Berliner Label Fun in the Church ein grandioses Comeback feierte. Deutlich hörbar sind dabei in Melodie, Instrumentierung und dem oft pathetisch wirkenden Vortrag die Einflüsse von Arabeske und türkischer Volksmusik, die sich im Rockbereich mitunter in einer universalen Musiksprache verflüchtigen, Richtung Blues- und Krautrock.Wie wohl die meisten Migranten nach der ersten Generation ist Cem Kaya mit dieser Musik aufgewachsen. Allerdings war ihm nicht klar, dass es sich bei etlichen der Kassetten, die sich zu Hause stapelten, um in Deutschland produzierte Musik handelte und nicht um Importware aus der Türkei. Das änderte sich erst, als der Autor Imran Ayata und der Künstler Bülent Kullukcu 2013 begannen, auf dem Münchener Label Trikont ihre Songs-of-Gastarbeiter-Kompilationen zu veröffentlichen.Aşk, Mark ve Ölüm ist nun so etwas wie der Film zur CD-Reihe und setzt die Musik zudem in ihren historischen Kontext. Benannt hat Kaya seine drei großen Kapitel Liebe, D-Mark und Tod nach einem Gedicht des türkischstämmigen, seit 1969 in Berlin lebenden Schriftstellers Aras Ören (es wurde übrigens 1982 von der Band Ideal vertont – und kein Hit). Die Liebe ist auch hier ein weites Feld. Sammelwütige Fans breiten vor der Kamera stolz ihre Kassettensammlungen aus. In Fotoalben von Großfamilien wird gestöbert. Besungen wird die in der türkischen Heimat zurückgelassene Geliebte und auch die klischeehafte deutsche Frau, die sich schon „mit einer Limonade“ erobern ließe. Nebenbei zeigen verstörende dokumentarische Aufnahmen, wie deutsche Ärzte türkische Arbeitswillige im Akkord auf ihre körperliche Eignung untersuchen.Der Wilde Streik von 1973„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Dieses, vom zwischen 1979 und 1987 im deutschen Exil lebenden Rockstar Cem Karaca vertonte Max-Frisch-Zitat leitet über zum Kapitel Geld. Es widmet sich dem „Wilden Streik“ für bessere Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter in den Kölner Ford-Werken 1973 genauso wie der exzessiven Feierkultur, vor allem im türkischen Berlin, wo sich der verschwenderische Umgang mit D-Mark-Scheinen als Statussymbol etablierte. Mit Bildern der rassistischen Mordanschläge in Mölln und Solingen Anfang der 1990er-Jahre hält schließlich der Tod Einzug in den Film, der bis dahin, trotz aller melancholischen Zwischentöne, eine turbulente, äußerst unterhaltsame und auch sehr nostalgische Erfolgsgeschichte erzählt.Eingebetteter MedieninhaltHier wird auch Kayas viertes großes Thema konkret: die Sichtbarkeit türkischer Gastarbeiter, ihres Alltags und ihrer Kultur in den großen deutschen Medien. Das zentrale Statement stammt von Barry Graves. Der 1994 verstorbene Berliner Radiojournalist plädiert dafür, in populären TV-Shows türkische Musiker auftreten zu lassen, um „Deutsche und Türken über den Umweg der Kultur ein bisschen näher zu bringen“. Passiert sei das leider nicht, resümiert er. „Da haben die Medien ganz stark versagt.“Das Archivmaterial der öffentlich-rechtlichen Sender, aus dem Aşk, Mark ve Ölüm über weite Strecken besteht, wurde mit wenigen Ausnahmen zu unpopulären Sendezeiten, in speziell für Ausländer produzierten Formaten gesendet. Dokumentarische Aufnahmen, die ihren Platz in politischen Magazinen fanden, fokussierten soziale Probleme und stempelten, wohlmeinend, Gastarbeiterfamilien vor allem als Opfer des Systems ab.Ohne selbst als Erzähler aufzutreten, formuliert Cem Kaya im lustvollen, emotionalisierenden Stil eines Michael Moore letztlich die These, dass es Rassismus und Gewalt durch Neonazis weniger gäbe, wenn MigrantInnen in ARD, ZDF, Spiegel und Bild selbstverständlicher und nicht nur in problembelasteten Kontexten repräsentiert werden würden. In einer Zeit, in der die Öffentlich-Rechtlichen stark in der Kritik stehen, wäre diese These geeignet, die typischerweise eher strukturell geführte Debatte mehr ins Inhaltliche zu erweitern.Darüber hinaus muss in Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod die Gegenwart eine Fußnote bleiben. Allein die deutsch-türkische Hiphop-Kultur, räumt Cem Kaya ein, hätte einen eigenen Film verdient, mindestens. Es gibt noch sehr viel zu erzählen, zu hören – und zu senden.Placeholder infobox-1