„Wie lange hat das Ei denn gekocht?“ Die „Revue“ eignet sich auch bestens, den eigenen Wissensstand zu überprüfen
Abbildung: Studio Loriot
Im Jahr 1991 lockten nicht nur drei Auto-Komödien (über zwei Mantas und einen Trabbi) jeweils ein Millionenpublikum in unsere Kinos. Der erfolgreichste deutsche Film im frisch vereinten Land war Pappa ante portas von Loriot. Während auf politischer und wirtschaftlicher Ebene schon damals alte weiße Männer die Welt unter sich aufteilten, machte man sich im Kino lustig – über alte weiße Männer, die in den Ruhestand abgeschoben wurden, aber weiterhin den großen Max raushängen ließen. Rückblickend erscheint es wie ein visionärer Kommentar zur Zeit, dass Loriots Emanzipationskomödie Ödipussi 1988 als erste deutsche Produktion überhaupt zeitgleich in der BRD und in der DDR in die Kinos gekommen war. Loriot besu
mmen war. Loriot besuchte damals am selben Tag die Premieren in beiden Teilen Berlins. In Anne Barnerts Text Besuch von drüben kann man auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung Details zu diesem Ereignis nachlesen. Loriots Satiren bestachen eben durch ihren „milden Humor“, der, so schreibt Barnert, „für gute Laune sorgt, ohne provokant zu sein“. Damit erwiesen sie sich in Ost und West als anschlussfähig.Nun, drei Jahrzehnte später, kommt ein dritter Loriot-Film ins Kino, was nur deshalb nicht so richtig als Sensation gefeiert wird, weil Loriots große Trickfilmrevue auf den ersten Blick lediglich Altbekanntes zu bieten hat. Auf den zweiten Blick auch. Aber: Die 31 Trickfilme, die zwischen 1967 und 1993 fürs Fernsehen entstanden (und meistens auch vom Fernsehen handelten), wurden nicht nur neu zusammengestellt. Sie sind von historischer Patina befreit, wurden originalgetreu nachgezeichnet und mitunter neu koloriert. Dahinter stehen Loriots Töchter Bettina und Susanne von Bülow als Produzentinnen und Regisseur Peter Geyer. Der hatte ab 1993 mit Loriot zusammengearbeitet und nebenbei den Nachlass von Klaus Kinski verwaltet – was für ein Spagat!Eine App namens GretaAn heutige technische Standards angeglichen, erwachen die Filme nun noch einmal zu neuem Leben. Zudem sind wir im Zeitalter der zunehmenden Barrierefreiheit, was bedeutet, dass der feine, minimalistische Zeichenstil Loriots nun auch Sehbehinderten vermittelt wird – mithilfe einer kostenlosen App namens Greta kann man die entsprechende Audiodeskription des Films in jedem Kino nutzen.Und überhaupt, „altbekannt“ dürften alle 31 Filmchen wohl nur für eingefleischte Fans des 2011 verstorbenen Werbegrafikers Vicco von Bülow sein, der sich seit den frühen 1950er Jahren Loriot nannte. Tatsächlich ist die Revue geeignet, den eigenen Wissensstand zu überprüfen. Wer meint, mit Der sprechende Hund, Auf der Rennbahn, Herren im Bad und Das Frühstücksei das Wesentliche zu kennen, dürfte hier immer wieder überrascht werden. Zum Beispiel von einem Interview aus dem Jahr 1970 mit einem Herrn Hibbentraut, der einem ungewöhnlichen Beruf nachgeht und Sächsisch spricht. Die „Jungosterhasen“, die er und seine Frau ausbrüten, gehen, so zählt er stolz auf, in alle Welt: „Nach Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Thüringen ...“ Es folgen auch Bremen, Kuba und Polen. Für den 1923 in Brandenburg an der Havel geborenen Loriot, der ab 1947 in Hamburg studierte, hatte die Welt offenbar nie am Eisernen Vorhang aufgehört.Immer wieder verblüfft auch, wie präzise diese kurzen Filme bereits in den 1970er Jahren Themen behandelten, die bis heute in der Diskussion stehen: von der Atomkraft über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bis zur geplanten Obsoleszenz. In Die Volksdroge (1969) verabreicht ein Wissenschaftler einem Herrn eine kleine weiße Pille. Sie wird zerkaut, wie ein Bonbon – und löst prompt einen lang anhaltenden Lach-Flash aus. Zufrieden wendet sich der Wissenschaftler an das Publikum: „Sie sehen hier einen modernen und ausgeglichenen Menschen. Glücklich, gesund, brauchbar und positiv – ein Staatsbürger, wie er sein soll.“ Wer würde da nicht auch an die anstehende Cannabis-Legalisierung denken? Mehr noch: Manch ein Detail der Revue legt nahe, dass Loriot selbst einem erweiterten Bewusstsein wohl nicht abgeneigt war, etwa wenn plötzlich ein Mainzelmännchen auftaucht, sein Shirt hochzieht und in schönster Genderfluidität seine dann doch ziemlich weiblich wirkenden Brüste präsentiert ...Eingebetteter MedieninhaltWarum dieser Gag in der Großen Trickfilmrevue landete, aber manch Klassiker, wie zum Beispiel Die Steinlaus, nicht, bleibt Spekulation, genauso wie ihr eigentlicher Anlass. Ihre Premiere fand vergangenen Februar bei der Berlinale statt. Das hätte Loriot „sicher sehr gefreut,“ so Regisseur Geyer; er unkt hoffnungsvoll, dass diese Festivaleinladung „ja vielleicht internationale Türen für seine Trickfilme öffnet, was er sich immer gewünscht, aber leider nie erreicht hat“. Soll hier also eine Sehnsucht nach noch größerem Erfolg und Grenzen überschreitender Anerkennung posthum erfüllt werden? Die Szene namens Humor und Wirtschaftskrise (1967) scheint das zu bestätigen. Einmal mehr spricht hier ein seriöser Herr das imaginierte TV-Publikum an: „Meine Damen und Herren, es muss bestürzen, dass der deutsche Humor, einst auf dem Weltmarkt führend, heute kaum 0,02 Prozent der Exportquote ausmacht. Aber trägt hieran allein der Bandeskunz…,“ er ringt kurz um Contenance und fährt fort: „Entschuldigung … der Bundeskanzler Schuld?“ Ob damit die Exportquote des deutschen Humors Aussicht auf Besserung hat, bleibt abzuwarten.
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