Wer will das sehen – einen Dokumentarfilm über einen Fußballverein, der zurzeit in der unteren Hälfte der Bundesliga feststeckt? Fans des 1. FC Union Berlin dürften über diese Frage nur den Kopf schütteln. Angeblich interessiert sich zudem mehr als die Hälfte aller Deutschen generell für Fußball. Anstatt die vermeintlichen Erwartungen dieser Zielgruppen zu erfüllen, geht Regisseurin Annekatrin Hendel den unbequemen Weg. Sie versucht, mit Union. Die besten aller Tage auch jene anzusprechen, für die Fußball aus den sprichwörtlichen 22 Männern besteht, die 90 Minuten lang einem Ball hinterherlaufen.
Das Besondere an Hendels Ansatz wird deutlich, wenn man ihn beispielsweise mit der Amazon-Serie All or Nothing vergleicht
l or Nothing vergleicht. Dort werden Mannschaften wie Manchester City oder die deutsche Nationalelf eine Saison lang begleitet, was theoretisch viel Raum für Unvorhergesehenes eröffnet. Das „Fly on the Wall“-Prinzip, die Kameras unsichtbar zu machen, das Publikum quasi mit in die Kabine zu nehmen, hinterlässt jedoch den Eindruck einer bizarren Gleichförmigkeit; statt individuelle Geschichten zu erzählen, ertönt generische, auf Pathos getrimmte Musik zu eher austauschbaren Bildern, deren Montage vor allem auf kurzfristige Emotionalisierung zielt.Hendel drehte hingegen zwei Jahre lang immer wieder im betrieblichen Alltag des Klubs aus Berlin-Köpenick mit, ohne zu ahnen, dass sie so auch dessen Weg in die Champions League und damit den bisher größten Erfolg in der Vereinsgeschichte dokumentieren würde. Auf den Schlüssellochblick verzichtete sie aus Respekt, wie sie sagt, weil selbst für den (damaligen) Union-Trainer Urs Fischer die Kabine tabu gewesen sei. Auch bei der Musik setzt Hendel auf „Bodenhaftung“. Rammstein-Keyboarder Flake steuerte einen minimalistischen Piano-Score bei, in dem er spielerisch mit Motiven aus Jazz und Pop das Leindwandgeschehen kommentiert.Auch auf eine Einbettung in den historischen oder regionalen Kontext verzichtet die 1964 in Berlin (Ost) geborene Regisseurin. Abgesehen vom wiederholten Erklingen der Klub-Hymne (Erste Zeile: „Wir aus dem Osten geh’n immer nach vorn“), könnte man eigentlich nur noch das Banner einer Gruppe Schlachtenbummler (Aufschrift: „Reisekader“) als dezidiert „ostdeutschen Moment“ bezeichnen. Entsprechend gibt es hier auch so gut wie keine Bilder aus der Geschichte des 1966 gegründeten Vereins. Was zählt, ist allein die Gegenwart, im Fokus steht das operative Geschäft. Dafür begibt sich Hendel nicht in konventionelle Interviewsituationen, sondern schaut dem Präsidenten Dirk Zingler, Stadionsprecher Christian Arbeit und weiteren leitenden Angestellten bei der Arbeit über die Schulter.Konsequenterweise taucht von den Spielern nur Kapitän Christopher Trimmel außerhalb des Spielfelds vor der Kamera auf und erzählt von seinen Tattoos. Deutlich mehr möchte Hendel von den Frauen hinter den Kulissen wissen: Stefanie Vogler und Katharina Brendel erläutern den Unterschied zwischen einer Abteilungsleiterin für Sport- und jener für Vertriebskommunikation. Mannschaftsleiterin Susanne Kopplin versorgt die Spieler mit den richtigen Stutzen und hilft ihnen auch bei der Suche nach einem Kitaplatz.Das vertraute Verhältnis, das Hendel offensichtlich zu den Porträtierten aufgebaut hat, erzeugt an manchen Stellen eine etwas zu „kumpelige“ Atmosphäre, die auch mal zulasten tiefergehender Fragen gehen kann. Wenn sie etwa dem „Präsi“ Zingler aus den Rippen leiert, dass er seinen Job ehrenamtlich macht, wären ein paar Worte mehr zu dem als e.V. geführten Klub durchaus von Interesse. An manchen Stellen wären zehn Minuten weniger Kommunikationsmanagement und dafür ein Seitenblick, beispielsweise in die vereinseigene Jugendarbeit, noch erhellender gewesen.Solche Defizite macht Hendel allerdings wett, indem sie auf ungewöhnliche Weise das aktive Fan-Tum in ihre Perspektive einbezieht. Zum einen nutzt sie als Kommentar zu den Spielen ausschließlich Originalausschnitte des Podcasts Taktik & Suff. Zum anderen würdigt sie das Engagement der Ultras unter den Union-Fans mit Aufnahmen von der Herstellung gigantischer Banner in einer alten Industriehalle. Auch bei der Probe einer der aufwendigen Stadionchoreografien ist die Kamera dabei, mit verpixelten Gesichtern der Protagonisten. Ungelöst bleibt dabei auch die Frage, wie eigentlich verbotenes Feuerwerk es doch immer wieder in die Fankurve schafft – es gehört zu den Stärken des Films, dass auch solche latent anarchischen Grauzonen nicht ausgeblendet werden.Und gerade hier kommt der Film zu seinem Kern, der sich eben nicht nur an Fußballfans richtet und gleichzeitig für die thematische Kontinuität im Werk seiner Regisseurin steht. Nachdem Annekatrin Hendel in Vaterlandsverräter, Anderson und Familie Brasch geschildert hatte, wie im Namen einer vermeintlich gemeinsamen „höheren Sache“ Angst und Anmaßung Zwietracht in der Gesellschaft säten, bietet Union. Die besten aller Tage nun die Gegenerzählung. Hier wird eine Vereinsstruktur gewissermaßen zum Mikrostaat, in dem sich die Eintracht als höchstes Ziel verwirklicht, in Form von Arbeitsteilung, Zusammenhalt und purer Freude am Spiel. Das mag utopisch klingen, aber Hendel schürt die Hoffnung, dass diese Union sich nicht spalten lassen wird, weder von weiteren möglichen Erfolgen noch vom gegenwärtigen Tabellenplatz.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1