Liebe Fußball-Männer: Sucht nicht nach alter Härte, entdeckt die feminine Leidenschaft!

Meinung Die deutsche Nationalmannschaft siegt kurz vor der EM mit einem großartigen Zusammenspiel gegen Frankreich und die Niederlande. Und die deutschen Kommentatoren? Vermissen Härte! Was sie übersehen: In Deutschland entsteht gerade etwas Neues
Wenn Männer ihre feminine Seite entdecken, klappt es auch mit dem Erfolg im Fußball
Wenn Männer ihre feminine Seite entdecken, klappt es auch mit dem Erfolg im Fußball

Foto: Imago / Beautiful Sports

Was ist typisch deutsch? Gerade dreht sich vieles um diese Frage, wenn es um Fußball und die kommende Europameisterschaft geht. Kritisch sein, auch selbstkritisch, das ist sicher eine typisch deutsche Eigenschaft. Diese feine, produktive, oft ehrliche Eigenschaft kippt aber leider allzu oft in ein ewiges Meckern, so typisch deutsch wie kaum etwas anderes. Und in Meckern steigert sich manchmal Missgunst hinein: Das Gefühl, den anderen nichts Schönes gönnen zu wollen. Das, was wir in Deutschland im Genre des Fußballkommentars erleben, ist stark geprägt von dieser Kultur des Meckerns und des Nicht-Gönnens.

Dabei hat Deutschland ohne Zweifel eine fantastische Fußballkultur! Damit meine ich nicht nur die großartigen, so verdienten jüngsten Siege gegen Frankreich und die Niederlande, auf die ich später zurückkomme. Ich meine damit vor allem ein Vereinswesen, das weltweit seinesgleichen sucht: Knapp 25.000 Vereine des DFB verfügen über mehr als sieben Millionen Mitglieder und über zwei Millionen Spieler:innen. Die Vereinsform, in der fast alle professionellen Clubs organisiert sind, ist eine demokratische Struktur, in der die Mitglieder auch über die Führung mitbestimmen können, und dies in Zeiten, zu denen im Rest der Welt Fußballclubs ein Luxusgut für Oligarchen und Investmentfirmen geworden sind. Die Fankultur hierzulande ist weltweit geachtet, und nirgends gibt es diese stark organisierten Fans der sogenannten Ultras, die vor kurzem den Versuch der Deutschen Fußball Liga, Investoren größeren Mitbestimmung einzuräumen, erfolgreich verhindern konnten.

Aber die Zunft der Kommentatoren gehört nicht zu den Stärken der deutschen Fußballkultur.

Fantastischer Sieg gegen Frankreich, und Hamann meckert?!

Ist der Kommentar in anderen Ländern von einer positiven, oft fanatischen Leidenschaft und Emotion bestimmt, herrscht hier im besten Falle trockene, fast trostlose Sachlichkeit. Man muss einmal ein Spielkommentar auf Arabisch, in britischem Englisch oder argentinischem Spanisch hören, um zu wissen, was Leidenschaft im Fußball bedeutet. Während in der britischen von Kate Abdo moderierten Show kollegiale Fröhlichkeit und Selbstironie par excellence zelebriert wird, hat sich hierzulande in den meisten Fußball-Talkshows ein durchgängiges Nörgeln etabliert. Die Diskussion wird davon bestimmt, was Spieler und Trainer falsch machen. Die negative Besprechung einzelner Spieler grenzte in einzelnen Fällen, wie etwa über Joshua Kimmich, fast schon an Mobbing.

Mario Basler, Waldemar Hartmann und Dietmar Hamann sind hierfür die Paradebeispiele. Nach dem fantastischen Sieg gegen Frankreich am vergangenen Samstag, eine der besten Leistungen des DFB seit Ewigkeiten, hatte Hamann nichts bessere zu tun, als das Gefüge der Mannschaft infrage zu stellen? Der Kommentar wird, noch viel zu oft, von einer Riege alter Herren bestimmt, deren spielerischer Glanz sehr lange her ist, die in Mannschaftsführung und Training nichts vorzuweisen haben, aber alles besser wissen wollen. Sandro Wagner (inzwischen im Team von Julian Nagelsmann), Christoph Kramer, natürlich Esther Sedlazeck und auch die alte Legende Lothar Matthäus sind hier positive Gegenbeispiele und deuten hoffentlich eine Zeitenwende im deutschen Fußballkommentar an. Und ja, fast immer dort, wo Frauen dazu kommen, ist die Stimmung im Kommentar endlich nicht mehr von den stets negativen Mecker-Deutschen bestimmt.

Wo Meckern zu rassistischer Hetze wird

Denn Meckern und Missgunst kippen leider allzu leicht in rassistische Ressentiments, das ist auch im Meckern über die Deutsche Nationalmannschaft immer mal wieder der Fall. Aktuell zeigt sich das an der Hetze des Hasspredigers Julian Reichelt gegen Antonio Rüdiger. Reichelt unterstellte dem Nationalspieler die Nähe zu Islamismus und zum IS, aufgrund eines Fotos, das Rüdiger zum Ramadan veröffentlicht hatte.

Die Mannschaft sei nicht deutsch genug, jammern jene Leute, die das Deutschsein an der Blutlinie ausrichten. Im Mainstream des Kommentars war die Beschwerde über den Verlust der alten deutschen Werte von Härte, Verbissenheit und physische Dominanz fast Konsens. Schön spielen zu wollen, war demnach die Ursache für die Niederlagen in den letzten großen Turnieren. Die Tatsache, dass Deutschland in den letzten beiden Spielen in einem abgefahrenen taktischem System von vier ausgebildeten Spielmachern (10er) die Offensive bestückt, und dabei die Fußball-Großmächte Frankreich und Holland mit einem kunstvollen Passspiel an die Wand spielte, fand im Kommentar von RTL keine Erwähnung. Man erfreute sich stattdessen über das „Wiederkehren der Härte beim Verteidigen“.

Es klafft etwas auseinander in diesem Lande! Die Erzählung der Männer in den Fernsehstationen passt nicht mehr zu der Realität einer Fußballnation, die multidivers, feminin und spielerisch geworden ist. Fußball ist heimlich der Ort, an dem Millionen Menschen in den Vereinen ein solidarisches Miteinander leben. In der Kabine hält und wächst man zusammen, egal wer woher kommt und wohin geht. Langsam, zu langsam, zeigt sich diese Realität auch in der veröffentlichten Meinung. Dabei ist der Fußballrasen in den kommenden Monaten vielleicht die beste Bühne, auf der wir ein Land abfeiern können, ein neues Deutschland, das zusammenhält, das hart aber fair zu den Gegnern ist, und das einfach Spaß macht.

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