Wie ein Adidas-Trikot die deutsche Nationalelf entmannt: Gender-Marketing oder Politik?
Kolumne Pink und lila leuchtet das neue Auswärtstrikot der deutschen Fußballnationalmannschaft, die ab Juni darin Europameister werden will. Doch der rechte Rand und die AfD rotieren: Nicht männlich genug sei das Shirt. Wie politisch wird die EM?
Die Feminisierung ist eine fantastische Entwicklung im Fußball. Und Deutschland ist weltweit ein Vorreiter
Foto: Adidas
Wenn der rechte Boulevard Schnappatmung bekommt und die AfD rotiert, dann hat der DFB doch mit seinem neuen Trikot alles richtig gemacht. Oder? Pink sei nix für Männer, brüllt es aus den Kommentarspalten, das neue Auswärtstrikot der deutschen Männermannschaft von Adidas ein Alptraum in Frauenfarben.
Fußball ist nicht nur die schönste Nebensache der Welt, wie der Volksmund sagt. Tatsächlich sind die großen Fußballturniere der Welt- und Europameisterschaften ein bisschen das, was das Nationaltheater im 19. Jahrhundert war: Im Spiel und der Performance der Mannschaften wird die kollektive Identität einer ganzen Nation verhandelt. Man könnte also die These aufstellen: Je zerbrechlicher die kollektive Identität Deutschlands, die Fr
iere der Welt- und Europameisterschaften ein bisschen das, was das Nationaltheater im 19. Jahrhundert war: Im Spiel und der Performance der Mannschaften wird die kollektive Identität einer ganzen Nation verhandelt. Man könnte also die These aufstellen: Je zerbrechlicher die kollektive Identität Deutschlands, die Frage, „was ist eigentlich deutsch?“, desto umkämpfter die Wahrnehmung der Fußball-Nationalmannschaft. Desto politischer das Runde, das ins Eckige muss.In den vergangenen Tagen eskalierte die Diskussion um die neuen Trikots, die der Deutscher Fußballbund zusammen mit dem Hauptsponsor Adidas für die kommende Europameisterschaft präsentierten. Ein neues Auswärtstrikot mit einer glatten und leuchtenden Lila-Pink-Jersey-Farbe polarisierte. Nun kann man geschmacklich zu Farben stehen, wie man möchte. Dieser Shitstorm entzündete sich aber klar an einem Punkt: Das Trikot ist zu weiblich, zu wenig Mann. Marcel Reif sieht bei Bild-TV obendrein zu wenig „Schwarz-Rot-Gold“, und beim Rechtsausleger Nius ist man sicher: Die Mehrheit will sowas nicht. Die AfD und andere Pseudo-Patrioten drehen komplett frei: Wiedermal sind die Eliten dabei, mit ihrer obskuren „Gender-Agenda“ den deutschen Mann zu entmannen und eine ganze Nation zu „verschwulen“.Die Feminisierung des Fußballs ist eine fantastische EntwicklungDabei ist die Feminisierung eine fantastische Entwicklung im Fußball, in der Deutschland weltweit ein Vorreiter ist. Wie in kaum einem anderen Land sind hier die Fußballkneipen voll mit jungen Frauen. In einem rasanten Tempo entwickelt sich die Attraktivität und die Professionalisierung des Frauen-Fußballs, wo inzwischen auch Millionen die Spiele der Nationalmannschaft gucken und einzelne Vereine immer wieder vor vollen Stadien spielen.Der DFB forciert diese Tendenz und möchte mit seinen neuen Trikots die jüngere Generation ansprechen. Auch wenn so eine Farben-Kombination vielleicht nicht bei jedem 60-Jährigen gut ankommt, man frage Ex-DFB-Manager Oliver Bierhoff, sie zielen auf die GenZ, also die Generation, wo Jungs= blau und Mädchen=pink längst vorbei ist. Auf eine Generation, die sich ausprobiert: Alles, die ganze Welt ist der Möglichkeitshorizont, und Geschlechter-Fluidität eine Lebensqualität. Der DFB als Vorreiter des Gender-Fluid-Germany! Wer das nicht liebt, ist wirklich von gestern.Aber muss man denn unbedingt so polarisieren? Muss es Barbie-Pink sein, da man doch Deutschland repräsentieren soll? Sollte die Mannschaft nicht einen, statt zu spalten? Die Trikots wurden in Absprache mit dem DFB von Adidas entworfen, und natürlich geht es dabei um Marketing, um Verkaufszahlen, ums Geschäft. Die Aufregung um die Farben war gewollt, eingeplant und die beste Werbung für die Trikots. In einem bereits vor der Präsentation der Trikots von Adidas vorproduzierten Video wird die Kritik antizipiert und auf die Schippe genommen: „Das will doch keiner haben.“ „Ist das ein Frauentrikot?“ „Ist das ein TikTok-Ding?“ „Tragen Legenden sowas?“ „Das ist doch kein Deutschland-Trikot!“.Doch alles nur Adidas-Marketing?„Doch, ist es!“, antworten Rudi Völler, Florian Wirtz und einige junge Frauen, während sich İlkay Gündoğan über die negativen Kommentare kaputtlacht. „Das ist kein Fashion-Piece – das ist ein Fashion-Statement“. Mich jedenfalls haben sie: Ich werde zum ersten Mal in meinem Leben so ein völlig überteuertes Original-Trikot kaufen.Doch was ist es, was DFB und Adidas bei so vielen so stark getriggert haben? Warum freut man sich nicht, wenn das Männliche und das Weibliche sich annähern und sich vermischen? Man kann sie förmlich riechen, die Angst einer fragilen Männlichkeit. Die Verunsicherung der Männer durch den Verlust ihrer Privilegien in von ihnen ehemals dominierten Sphären durch die Gleichstellung von Frauen.Und nicht nur das: Dahinter steckt auch eine toxische Energie, von Männern, die vereinsamt sind, und beginnen, deswegen das Weibliche zu hassen, weil sie einfach nicht in seine Nähe kommen. Eine toxische Energie, von Männern, die ihre Frauen nie richtig geliebt, oder es schon viel zu lange verlernt haben. Von Männern, deren Highlight an Intimität der monatliche Prostituiertennesuch ist. Und auch von Männern, Alten, die ihr Altwerden nicht gut ertragen, im Anblick einer Jugend, die es anders macht, die es besser machen will.Die AfD und Julian Reichelt wünschen sich ein Vorrundenaus, weil die deutschen Männer in Pink auflaufen und der deutsche Kapitän İlkay heißt. Doch wir sind mehr, viel mehr! Das ist unser Land, unsere Mannschaft, unser Turnier. Fußball war noch nie so stylisch, und lange nicht mehr so politisch wie jetzt.
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