Angst vor Überfremdung

Islam Ein Kommentar auf den Beitrag: „Gebetsmühlenkunde“

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Überrascht las ich den Beitrag auf der Titelseite und erinnerte mich an die kürzlich vergangene Veranstaltung zum Weltfrauentag in der Khadija Moschee in Berlin zurück. Wahrnehmung ist immer subjektiv, doch erstaunt stelle ich fest, dass das Bild auf der anderen Seite des Monitors total verzerrt war.

Der Weltfrauentag in der Khadija Moschee

11. März, 12 Uhr Vormittags. Die Moschee ist voller Gäste, an jeder Ecke sieht man kleine Grüppchen von Frauen, wie diese in intensiven Gesprächen vertieft sind. Vor dem Gebetsaal werden pakistanische Köstlichkeiten angeboten und nebenan werden Henna Malereien präsentiert. Ich schaue mich in der Moschee um und entdecke verschiedene Informationsstände:

Islamische Theorie und Praxis - Körper und Geist im Einklang, Muslime bauen Brücken - Engagement und lokale Aktivitäten, Islam in Politik und Medien - ein verzerrtes Bild,

Die Frau im Islam - Emanzipation durch die Religion, Islam und Gesundheit - ganzheitliches Wohlbefinden. Auch gibt es einen Stand mit bunten Kopftüchern. Ich nähere mich dem Stand und frage neugierig: „Was wird denn hier angeboten?“ „Hier darf man sich ein Tuch auswählen und darf dieses während des Besuches in der Moschee tragen. Später darf man hier an der Pinnwand ein kleines Feedback hinterlassen und die eigenen Gefühle zum Ausdruck bringen.“

Gespannt lese ich mir die Rückmeldungen der vielen Frauen durch. „Ich fühle mich geborgen und sicher“, „Der Charakter steht im Mittelpunkt!“, „Das Binden des Kopftuchs ging so schnell, es fügt sich schön eng um mein Gesicht“. Verwundert ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass die genannten Aspekte genau meine Gefühle widerspiegeln. Genauso fühle ich mich nämlich auch mit meinem Kopftuch: Mein Charakter steht im Mittelpunkt, ich fühle mich sicher und geborgen. Ich darf selbst bestimmen, was an meinem Körper sichtbar sein soll und fühle mich frei.

Das Phänomen der Angst

Als in der anschließenden Gesprächsrunde das Thema Kopftuch bei Lehrerinnen aufkam, meldete sich eine Frau aus dem Publikum und brachte ihre Gefühle zu diesem Thema zum Ausdruck. Sie habe Bedenken bei dem Konzept „einer reizfreien Gesellschaft“, sie möchte nicht, dass ihre Söhne mit einem solchen Männerbild aufwachsen.

Die muslimische Referentin und Lehramtsstudentin erklärte der Dame, dass es in der Schule um die Bildungsinhalte gehe und nicht wie sich die Lehrerin präsentiert. Als muslimische Frau hätte man nicht das Ziel die Schüler über Religion aufzuklären, sondern die Lehrinhalte zu vermitteln. Ist es nicht schön, dass Kinder schon von klein auf erfahren, dass die Welt bunt ist?

Das Kopftuch würde jedoch ausdrücken, dass Männer sexuelle Aggressoren seien und dass Frauen vor ihnen beschützt werden müssen, so erwiderte die Frau.

Während die Debatte weiter verlief und es ein hin und her zwischen Pro- und Kontra Argumenten für religiöse Symbole an Schulen oder ein mögliches Verbot ging, merkte ich, dass wir uns letztendlich immer wieder im Kreis drehen.

Die Ängste und Sorgen der Frau ließen mich nachdenklich werden. Auch im späteren persönlichen Gespräch hörte ich ihre Angst vor Religion deutlich heraus. Es war nicht die Angst vor einer möglichen Islamisierung - nein - sie hatte Angst vor Religion im Allgemeinen. Sie hatte Angst, dass Religion sie in ihrem Alltag einschränken könnte. Sie hatte Angst, dass alles was nicht den Geboten der Religion entsprechen würde, irgendwann verboten wird. Angst - ja, die Angst versetzt uns in den Zustand der Ignoranz, der Abwehr und schubst uns immer weiter weg von der Liebe - in Richtung Hass. Wir versuchen etwas so gut es geht abzuwehren, nicht an uns heranzulassen. Wir haben Angst unser Herz zu öffnen und lassen alles an uns teilnahmslos abprallen. Es könnte uns vom Gegenteil überzeugen. Noch schlimmer, es könnte uns gar dazu verführen, dass wir keine Angst mehr haben. Wir könnten unseren schlimmsten Gegner sympathisieren. Und das würde heißen - wir lagen falsch.

Was nun?

Es ging bei dieser Podiumsdiskussion gar nicht darum, ob etwas das Richtige oder das Falsche für unsere kommende Generation sei, die ganze Debatte drehte sich um ängstliche Wutbürger. Dieses Phänomen können wir vielseitig in unserer Gesellschaft beobachten. Wir sehen sie in Demonstrationen gegen Moscheen, wir hören sie brüllen bei Märschen gegen die Flüchtlingsaufnahme, wir sehen sie, wie sie versuchen, die christliche Leitkultur zu schützen. Und dann entdecken wir diese, die ihre Bedenken im Netz ausdrücken.

Wie sie erkennen können zieht sich das Motiv gleichermaßen durch alle Aktionen. Die Angst vor dem Fremden steht im Mittelpunkt.

Doch was können wir als Gesellschaft dagegen unternehmen? Wie sollen wir eine Überfremdung unserer deutschen Gesellschaft verhindern?

Die Lösung scheint so simpel und doch so vielversprechend: den Dialog fördern! Solange es eine Begegnung zwischen unterschiedlichen Menschen gibt und es zu Gesprächen kommt, sehen wir wie Vorurteile langsam schwinden und wie neue Brücken in der Gesellschaft entstehen.

Diese Arbeit macht auch die Ahmadiyya Muslime Gemeinde in Deutschland. Und das nicht nur passiv, sie setzt sich tagtäglich mit diversen Aktionen, Kampagnen und Informationsständen für einen interreligiösen Austausch ein. Auch die Frauenorganisation der Ahmadiyya Muslim Gemeinde veranstaltet Programme mit dem Ziel den Dialog in Deutschland zu fördern. Der Weltfrauentag war neben vielen anderen, eine Veranstaltung bei der es zu dem Austausch zwischen Frauen unabhängig ihrer Religion, Ethnizität oder Weltanschauung kommt. Auf der einen Seite kommt der Aufschrei nach Integration und Öffnung der Moscheen, gleichermaßen wird die komplette Anstrengung und Mühe auf einen Schlag zerschmettert.

Man wolle ja nur missionieren!

Eine solche Anschuldigung zu bringen, dass die Ahmadiyya Muslim Gemeinde aggressiv missionarische Ziele verfolgen würde, ist genauso haltlos, wie der Vorwurf man beziehe illegale Gelder mit der man die Flüchtlingshilfe finanzieren würde. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat hatte rechtliche Schritte gegen die Verbreitung dieser Anschuldigungen eingeleitet. Die Aussagen des Rhein-Main Verlags, sowie durch den Spiegel-Verlag und Eco-Online wurden durch das Gericht als unwahr erklärt.

„Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr!“ - Goethe

Das erkannte schon Goethe zu seiner Zeit. So kann ich mir auch den Vorwurf erklären, dass die Wahrheit, die die Ahmadiyya Muslim Gemeinde durch wissenschaftlich fundierte Argumente in ihren Broschüren präsentiert, als kurzerhand für unverdaulich erklärt wird, da man die Quellen nicht studiert hätte. Doch Bildung erfolgt aus Eigeninitiative und genau dazu sollen die Informationsbroschüren anregen. Die kompakt verfassten Informationsmaterialien geben einen groben Überblick über die vielschichtigen Themenfelder und sollen zum Studieren der Literatur anregen.

Ein kategorisches „Nein“ scheint die Sachlage gefährlich zu vereinfachen.

Loyal vs. demokratiefeindlich?

Ebenso ist es ein nicht ernst zunehmendes Argument, die Ahmadiyya Muslime Gemeinde als demokratiefeindlich darzustellen. Neben der Kirche genießt die Ahmadiyya-Gemeinde als erste muslimische Gemeinde in Bundesländern wie Hessen und Hamburg den Körperschaftsstatus. Eine solche Genehmigung wird nach einer gründlichen Überprüfung allerlei Aspekte, unter anderem auch der Finanzen, erteilt. Der Prophet Muhammad (Frieden und Segen seien auf Ihm) betonte, dass die Loyalität zum Heimatland Teil des Glaubens sei. Auch der Gründer der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad (Friede sei auf Ihm), verdeutlichte aus dem Quran, dass das Grundgesetz für jeden Muslim an aller erster Priorität stehe. Ein sehr großer Teil der Ahmadi Muslime stammen aus Deutschland. Sie sind hier geboren, aufgewachsen und übernehmen vielzählige Aufgaben in der Gesellschaft.

Was Freiheit für uns bedeute, dass wäre ja schließlich subjektiv. Auf diesen Nenner konnten sich letztendlich alle Beteiligten in der Diskussion einigen. Während es Frauen gibt, die die Freiheit mit einer offenen Gesellschaft und Sexismus verbinden, gibt es jedoch auch Frauen, die ihre Freiheit unter dem Schleier finden. Schlussendlich ist es das Wichtigste den anderen nicht nur zu tolerieren, sondern jeden Einzelnen in seiner Individualität zu schätzen und zu respektieren.

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