Klischees in Berlin

Ausstellung Gäbe es keine Klischees wären Kabarettisten übel dran. Wie einen Kleinbürger karikieren? Einen Säufer? Es ist nicht zu leugnen, wir leben mit ...

Gäbe es keine Klischees wären Kabarettisten übel dran. Wie einen Kleinbürger karikieren? Einen Säufer? Es ist nicht zu leugnen, wir leben mit Typisierungen. Sie liefern Orientierungszeichen im Alltag, in der Kunst, vor allem der Trivialkunst. Sie vereinfachen, was die Kommunikation schneller und pointierter macht, allerdings auch anfälliger für Verunglimpfungen. Wann, so die Frage der Macher der Ausstellung typisch! Klischees von Juden und Anderen, die noch bis zum August im Jüdischen Museum Berlin zu sehen ist, schlägt diese Vereinfachung in Diskriminierung um? Auf der Suche nach Grenzflächen benutzt sie eine Vielzahl klassifizierender Zuschreibungen harmloser wie gezielt rassistischer Art, um die Übergänge zu markieren.

Das beginnt mit scheinbar harmlosen Liedchen. Da singt Udo Jürgens seinen Erfolgshit Griechischer Wein, gefolgt von Du schwarzen Zigeuner, komm´ spiel mir was vor bis zu den Zehn kleinen Negerlein. Die Ausstellung benutzt bewusst Alltägliches, das, was jeder kennt: Nippes aus den zwanziger, dreißiger Jahren. Oder die Sammlung von Spazierstöcken: Eine überdimensionierte Nase als Handauflage, der kleine Kopf trägt Kipa. Überhaupt Nasen. Eine Zeichnung aus Der Giftpilz Nürnberg 1938, verweist auf die üble Theorie von den Judennasen und führt den Besucher an der gegenüberliegenden Wand aufs Glatteis: Etwa fünfzig unterschiedliche Nasen, zwischendrin allerdings auch die berühmter Amerikaner.

Es geht in dieser Ausstellung nicht vordergründig um Antisemitismus und Rassismus wie bei Pogromen des Mittelalters, im deutschen Faschismus oder der heute aktuellen Variante aus rechtsradikaler Ecke - sie stehen als Schock-Folie hinter jeder Präsentation. Es geht um die in Umgangs- und Lebensformen übergegangenen Alltagsvarianten des Rassismus und Antisemitismus, um die latent auflodernde Zeichensprache, die benutzt wird, wenn eine Person oder eine Gruppe auf ein Merkmal reduziert und damit stigmatisiert werden soll. Wobei diese Zeichen - und auch darauf verweist die Ausstellung - durchaus auch von den Betroffenen selbst benutzt werden.

Die rund zweihundert Exponate sind zu Themenkomplexen geordnet, bei denen Bilder und Zeichen aus historischer wie neuerer Werbung, Filmen, Computerspielen, nebeneinander gestellt werden und so Spannungen und Widersprüche provozieren. Diese Methode macht rasch deutlich, wie pauschalisierend und nichtssagend diese Typisierungen sind - aber auch, wie häufig sie im Alltag bis heute benutzt werden. Auch von jenen, die sich weder als Rassisten, noch als Antisemiten sehen. Zur Kennzeichnung von Herkunft und Verhalten anderer Personen oder ihrer Unterscheidung.

Solche Verbindungen sind - auch das wird in der Ausstellung mit einem Computerselbstversuch überzeugend vorgeführt - leicht einzuüben und abzufordern. Durch zunächst einfache Zuordnungen, die variieren und schließlich auf das zurückführen, was am Beginn als scheinbar zusammengehörend dargestellt wurde. Unser schablonenhaftes Sehen, Wahrnehmen und Zuordnen von Bildern und Dingen folgt äußeren Signalen. Hautfarbe, Größe, Gesicht, Haare... entlang jenen Linien, die die Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts als biologische Ordnungskriterien vorgegeben hat. Falsch, so der amerikanische Maler Kevin Clarke und kombiniert sein Gruppenporträt mit den genetischen Codes. Sie machen den Menschen aus, nicht die Erscheinung.

Noch bis zum 3. August 2008, Katalog, 128 S., 24,90 EUR

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