Ich und Sophie

Kehrseite III Ich drehe den Schlüssel um, die Nummer stimmt, ich knipse Licht an. Die rote "Nicht stören"-Karte baumelt von innen am Knauf, ich lasse sie hängen. ...

Ich drehe den Schlüssel um, die Nummer stimmt, ich knipse Licht an. Die rote "Nicht stören"-Karte baumelt von innen am Knauf, ich lasse sie hängen. Der Teppich hat die Farbe gewechselt, das Bett ist frisch bezogen, jemand vom Hotel scheint sich Zugang verschafft zu haben. Ich lege mich aufs Bett, schließe die Augen, versuche, nicht mehr an den vergangenen Abend zu denken, betrunken genug bin ich. Hoffentlich hält der Magen, ich versuche, die Bilder wieder gerade zu biegen. Netter Versuch, aber sinnlos. Schnell sperre ich die Augen auf und krümme mich. Klagendes Gestöhn, das niemand hört. Dann bemühe ich mich um Konzentration. Mit den Zeigefingern drücke ich vom Nasenbein gegen die Augenlider, sodass zwei weiße Klammern sichtbar werden. Gleichzeitig spult sich ein kleiner Text ab: "Morgen leihen wir ein Auto und fahren an den Strand", lautet er zunächst, kippt dann aber in etwas Lächerliches, tauscht Wörter aus und verschwindet langsam hinter sich vorschiebenden Bildern.

Viel später wird ein Tuscheln laut. Das Tuscheln scheint schon eine Weile zu gehen, jetzt dreht es sich auf, blendet sich ein. Dann wird es zu einem Rascheln, zu einem ungeölten Knarren, das versucht, leise zu sein. Jemand schleicht über den Teppich, streift sich Schuhe ab. Füße in Nylon. Sie ist es. Langsam schließt sie die Tür, versucht, sich mit Hilfe des Mondlichts im Zimmer zu orientieren. Ihre Hände tasten die Wand entlang, erfühlen die Raufasertapete, prüfen die harte Bettkante, weichen weg. Ein Licht geht an, sie hat das Bad erreicht, ich drehe mich zur Seite.

Später schnarcht sie, wird schwer. Belastet den Brustkorb. Ich fühle mich paralysiert, möchte frei sein, mich bewegen, atmen können, vorsichtig lege ich ihren Körper zur Seite. Ich wühle mich zurecht und schließe wieder die Augen. Die Stimmen purzeln, hinter den Lidern taucht eine Dame mit blau getuschten Augen auf und einem Schal, sie spricht französisch mit einem Schaffner, der mir bekannt vorkommt. Der Bruder führt einen hellbraunen Hund aus, der eine Brille trägt, der Hund springt mir ins Gesicht, übergroße Zunge. Jemand kneift mir in die Schulter, hält mir die Nase zu, ich schnappe nach Luft.

René Hamann wurde 1971 in Solingen geboren. Er lebt und arbeitet in Berlin. Zu seinen Veröffentlichungen gehören zwei Gedichtbände und ein Band mit Kurzgeschichten.


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