Tage der Katastrophen und Umbrüche?

- ein kurzer Kommentar. Nizza, Ankara. In Frankreich und der Türkei herrschen derzeit Ausnahmezustände. In Frankreich ist dies bereits die Normalität.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag, den 15. Juli 2016 hat der Tunesier, Mohamed Lahouaiej Bouhlel, auf der „Promenade des Anglais“ in Nizza anlässlich des französischen Nationalfeiertages Menschenansammlungen mit einem Lkw überrollt. Nach derzeitigem Stand sind mindestens 84 Personen nach Behördenangaben ums Leben gekommen, darunter zehn Kinder und Jugendliche. Über 200 Menschen seien nach Angaben der SZ verletzt worden.

In Ankara erfolgt derzeit ein Putschversuch des Militärs (Stand Freitag, der 15.07.2016, 23:58 MEZ). Das Militär hat bereits die Übernahme des Gewaltmonopols erklärt, wobei der türkische Präsident diese selbstverständlich nicht anerkennt und die türkischen Staatsbürger aufgefordert habe gegen den Putsch auf die Straße zu gehen und Widerstand zu leisten. Weitere Entwicklungen bleiben abzuwarten.

Soviel zur gegenwärtigen Lage.

In dieser Zeit der zunehmenden Eskalation in Europa, beschleicht mich manchmal das Gefühl der Aussichtslosigkeit. In Anbetracht der Vielzahl aktueller negativer Nachrichten, die nicht immer einfach zu verarbeiten und zu verstehen sind, frage ich mich hin und wieder, ob Taten, wie jene in Nizza manchmal überhaupt noch rational begründet werden können. Bei dieser Tat starben wie genannt zehn Kinder, nach Angaben lokaler Medien seien um die 50 Kinder verletzt worden. Auch wenn die Qualität menschlichen Lebens, nicht nur aus verfassungsrechtlicher, sondern auch aus ethischer Sicht nicht abzuwägen ist, so lösen derartige Nachrichten doch umso mehr Fassungslosigkeit, Entsetzen und gar bittere Wut aus.

Soweit zum Gefühl.

Nun ein wenig mehr zum politikwissenschaftlichen und rechtlichen Kontext:

Ich maße mir nicht an die Geschehnisse in Nizza oder der Türkei bereits einordnen zu können. Dazu besteht einerseits nicht der zeitlich notwendige Abstand, andererseits liegen ebenso noch nicht genügend gesicherte Informationen vor. Ob es sich bei der Tat in Nizza um eine terroristische Tat handelt wird auch abzuwarten sein, wobei dies insbesondere angesichts der Tötung des Täter wohl nicht mit absoluter Sicherheit ermittelt werden kann. Indes möchte ich im Folgenden einige gängige Diskussionspunkte im Umgang mit terroristischen Organisationen aufgreifen.

Aus politikwissenschaftlicher Sicht, in Bezug auf die sogenannte „Aktions-Repressions-Spirale“, sind Staaten in dem Dilemma einerseits nicht zu repressiv auf Anschläge zu reagieren und andererseits mit der erforderlichen "Härte" dem Terrorismus entgegenzutreten. Stichworte in dem Zusammenhang sind: militärische Interventionen der internationalen Staatengemeinschaft in Krisengebieten (, derzeit vor allem Syrien und im Irak), Einschränkungen von Grundrechten, oder aus straf- und gefahrenabwehrrechtlicher Perspektive, die Verstärkung von Kontroll- und Ermittlungsmaßnahmen, wie Haus- und Wohnungsdurchsuchungen oder Möglichkeiten eines einfacheren Zugriffs auf personenbezogene Daten.

Ein zu repressives staatliches Handeln würde nach diesem Modell Bürger, die dem Staat sowieso bereits kritischer gegenüberstehen, teilweise dazu bewegen, mit terroristischen Organisationen zu sympathisieren, sodass sich der Kreis der Unterstützer weiter vergrößern könnte. Terroristische Vereinigungen versuchen unter anderem den Staat in seinem eigenen repressiven Handeln, speziell durch die in manchen Bereichen immer rigoroser werdenden staatlichen Gegenmaßnahmen zu enttarnen, um die staatliche Herrschaft somit als illegitim dazustellen. In dem Zusammenhang ist jedenfalls die erneute Verlängerung des Ausnahmezustandes in Frankreich diskussionswürdig.

Andererseits sollten Staaten eine konsequente Haltung gegenüber dem Terrorismus vertreten. Es stellt sich zwar die bereits aufgeworfene Frage, inwieweit terroristische Organisationen darauf abzielen, den Staat zu immer massiveren Gegenschlägen zu veranlassen. Nichtsdestoweniger haben Staaten, nicht zuletzt mit Blick auf die Verfassung, gewisse Schutzpflichten gegenüber ihren Bürgern, „nicht nur gegenüber dem Einzelnen, sondern auch gegenüber der Gesamtheit aller Bürger“ wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1977 in der Schleyer-Entscheidung mit Blick auf das deutsche Recht ausführte (,Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG).

Neuartige terroristische Gruppierungen wie zunächst al-Qaida und später auch Daesch wirken nicht zuletzt durch ihre netzwerkartigen Strukturen vermeintlich als schwerer zu „besiegen“ als vergleichsweise „klassischere“ Gruppierungen (RAF, IRA, ETA...), wenn man schon das deutsche Äquivalent dieses hochtrabenden Wortes („defeat“) des Noch-US-Präsidenten verwenden will.

Trotz der Zuspitzungen in diesen Bereichen der Innen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik - von anderen außen- und wirtschaftspolitischen Themen mal ganz abgesehen („Flüchtlingskrise“, missbräuchlicher „Rechtspopulismus“, „Brexit“) - bleibt der Appell an die Vernunft und an gesellschaftliches Engagement das einzige was mir bleibt.

Thöndl, Einführung in die Politikwissenschaft, 2015, Wien, 2. Neuaflage.

BVerfGE 46, 160 [165 f.] – Schleyer.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden