Einhundertdreiundachtzig

Österreich Nach der Wahl werden die 183 Mandate des Nationalrates unter wahrscheinlich fünf Parteien aufgeteilt. Wird die Bevölkerung tatsächlich repräsentiert?

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Die US-amerikanische Präsidentschaftswahl ist demokratiepolitisch bedenklich. Nicht, dass dieses Amt per se ein autoritäre, durch Scheinwahlen legitimiertes, undemokratisches wäre. Durch das Wahlmännersystem und das Mehrheitswahlrecht kann aber prinzipiell eine Situation entstehen, in der die Mehrheit der Stimmen demjenigen Kandidaten zukommt, der schließlich aber nicht Präsident wird, da er nicht genug Wahlmännerstimmen erringen konnte. So geschehen bei der Wahl 2000, als Al Gore die Wahl zum Präsidenten in der knappesten Wahl der amerikanischen Geschichte gegen George W. Bush verlor. Das österreichische Wahlrecht spiegelt den Willen der Bevölkerung, existiert so etwas, eindeutiger wider. Vollkommen demokratisch ist dieses System dennoch nicht. In der österreichischen Demokratie existieren mehrere Defizite. In diesem Artikel geht es in erster Linie darum, solche Defizite in der Mandatsberechnung im Zuge der Nationalratswahlen zu verdeutlichen.

Wahlkreise

Insgesamt ist Österreich in 49 Wahlkreise eingeteilt: 39 Regional-, neun Landes- und ein Bundeswahlkreis. Je nach Bevölkerungszahl (basierend auf der fortgeschriebenen Volkszählung 2001) werden die Nationalratsmandate auf diese Wahlkreise aufgeteilt. Während im relativ bevlökerungsarmen Burgenland lediglich sieben Mandate zu erlangen sind, kann man in Wien 33 Mandate erringen. Hier drängt sich wiederum ein Vergleich mit dem US-amerikanischen Wahlsystem auf. Durch das Neuziehen der Wahlkreise in den Bundesstaaten wird die Bevölkerung so eingeteilt, dass sich automatisch eine demokratische bzw. republikanische Mehrheit ergibt. Das nennt sich Gerrymandering. In Österreich tritt eine solche Form der Wahlkreismanipulation meines Wissens nach nicht (regelmäßig) auf. Das mag auch am österreichischen Verhältniswahlrecht liegen; Gerrymandering hat nämlich nur dann wirklich Sinn, wenn ein Mehrheitswahlrecht vorherrscht.

Durch das Verhältniswahlrecht wird die Mandatsberechnung in Österreich allerdings etwas verkompliziert. Die Stimmen in den Regionalwahlkreisen, welche hier eingesehen werden können, werden dazu benutzt, die zu erringenden Mandate aufzufüllen. Was kompliziert klingt, es aber nicht wirklich ist.

Bei der Nationalratswahl 2008 erhielt die SPÖ 29,69 Prozent der Stimmen (und 57 Mandate), die ÖVP 25,98 Prozent (51 Mandate), auf die FPÖ entfielen 17,59 Prozent (34 Mandate), auf das BZÖ 10,70 (21 Mandate) und auf die Grünen 19,49 Prozent (20 Mandate). Vergleicht man den Anteil der Stimmen mit dem Anteil an Mandaten, sollte eine leichte Verschiebung auffallen. Wenn nämlich die SPÖ 29,69 Prozent der Mandate hätte, hielte sie 54 Sitze (-3), die ÖVP hätte Anspruch auf 48 Mandate (-3), die FPÖ auf 32 Mandate (-2), das BZÖ auf 20 (-1) und die Grünen auf 19 (-1) Mandate. Insgesamt wären also, da ja keine nicht-ganzen Sitze vergeben werden können, 173 Mandate auf die verschiedenen Parteien verteilt. Ein großes Problem bei einer solchen Mandatsvergabe besteht in den abgegebenen, gültigen Stimmen, die allerdings verfallen würden. Um dieses Problem zu umgehen und gleichzeitig alle Mandate vergeben zu können, greift man in Österreich auf zwei Verschiedene Verfahren zurück: Einerseits auf das Verfahren nach Hare, andererseits auf das Verfahren nach D‘Hondt.

Das Hare‘sche Verfahren

Bei diesem Mandatsberechnungsverfahren wird (auf Basis der letzten, fortgeschriebenen Volkszählung) eine Wahlzahlerstellt. Die Bevölkerungszahl wird hierbei durch die Zahl der Wahlberechtigten dividiert, das Ergebnis mit 1 addiert. Danach wird ermittelt, wie oft (je Partei) die Wahlzahl durch die bei einer Wahl abgegebenen Stimmen erreicht wird. Für jedes Mal bekommt die entsprechende Partei ein Mandat im Nationalrat zugesprochen. In Österreich findet dieses Verfahren auf den Ebenen der Regionalwahlkreise und der Landeswahlkreise Anwendung. In der Praxis ist es allerdings unwahrscheinlich, dass alle Mandate bereits auf regionaler Ebene vergeben werden können, bzw. werden restliche, aber gültige Stimmen übrigbleiben. Wie ich oben erwähnt habe, findet anschließend das Hare‘sche Verfahren auf der Ebene der Landeswahlkreise Anwendung. Doch auch hier ist es möglich und wahrscheinlich, dass Reststimmen bleiben.

Das D‘Hondt‘sche Verfahren

Beim Verfahren nach D‘Hondt werden die Stimmen für alle Parteien in Zahlen aufgeschrieben und zunächst durch 2, dann durch 3, 4, usw. dividiert. Theoretisch könnte diese Teilung unendlich lang fortgesetzt werden. Anschließend werden die Mandate, die zu vergeben sind, an die Parteien mit den größten Zahlen vergeben. Sind beispielsweise sieben Mandate zu vergeben und konkurrieren drei Parteien um diese, nehmen wir einmal folgende Zahlen für drei wahlwerbende Parteien an:

Partei 1: 22000; 11000; 3666
Partei 2: 15000; 7500; 2500
Partei 3: 9000; 4500; 1500

Die fett markierten Zahlen erhalten jeweils ein Mandat.

Diese Methode ist allerdings, je weniger Mandate zu vergeben sind, wenig repräsentativ und verzerrend. Vom Prinzip her nähert man sich mit der D‘Hondt‘schen Methode dem Mehrheitswahlrecht an. Konkurrierte eine vierte Partei um die oben erwähnten sieben Mandate, hätte aber nur 3665 Stimmen, ginge diese Partei trotzdem leer aus. Das wären also 3665 Stimmen, die zwar gültig sind, aber verfallen. Das österreichische Wahlsystem ist zwar bemüht, die zu verfallenden Stimmen zu minimieren, nichtsdestotrotz ist das letztendlich nicht zu vermeiden. Insofern ist diese Berechnungsmethode zwar nicht hundertprozentig inklusiv, aber zumindest nicht grob exklusiv.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rjspoetta

International relations and security policy aficionado, diplomat by training.Twitter: @rjspoetta

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