Heißer Herbst in Europa?

Rückblick #19O In Bewegung bleiben: Der Action Day of Housing Rights vor einer Woche hat gezeigt, dass der Widerstand nicht schläft, und sich möglicherweise taktisch neu aufstellt

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Heißer Herbst in Europa?

Bildquelle: arte.tv

#19O – Das vergangene Wochenende hatte es in sich: In Berlin wird ein altes Polizeirevier besetzt, neben anderen dezentralen Aktionen und Sponti-Demos in der Hauptstadt; in Hamburg reagiert die Bewegung auf das Racial Profiling der Stadtregierung gegen Geflüchtete mit einem Ultimatum an den Senat und mit Aktionen des zivilen Ungehorsams; in Lissabon und Porto gingen Zehntausende auf die Straße, um gegen die Sparpolitik der Regierung zu demonstrieren; in Rom waren es alleine 70.000 Demonstrierende, die ihren Widerstand gegen die EU-Politik der “Verarmung und Ausbeutung” zum Ausdruck brachten. Es kam zu Ausschreitungen, und am Ende flogen Rauchbomben auf das Wirtschaftsministerium und die deutsche Botschaft.

Der Bewegungszyklus seit 2011, der mit den arabischen Revolutionen begann und über die Indignados und die Occupy-Bewegungen in die reichen Industrieländer des Nordens getragen wurde, hatte bisher die “radikale Friedlichkeit” als eines ihrer Hauptprinzipien deklariert – selbstverständlich mit vielen Ausnahmen.

Diversity of Tactics?

Nun also Flammen vor dem deutschen Konsulat, wenn auch nur bengalische. Eine Änderung der Taktik? Bleibt abzuwarten. Bis dato lässt sich jedenfalls keine globale oder systematische Änderung der Kampfstrategien erkennen: Die Gewalt, mit der sich einzelne Bewegungsteile bisher zur Wehr gesetzt haben, wurde eher punktuell sowie situativ eingesetzt und hatte meist eine defensive Funktion gegen die immer mehr Gewaltmittel einsetzenden Regierungen. Und doch: Dass dies ein heißer Herbst des Widerstands wird, ließ sich schon Anfang September in Istanbul und Ankara erkennen, als die OccupyGezi-Bewegung trotz steigender staatlicher Repressalien zu neuen Protesten mobilisierte. Auch die Streiks, Arbeiterproteste und Besetzungen von Regierungsgebäuden in Brasilien signalisierten, dass die dortige Bewegung sich zunehmend mit dem Konzept der “diversity of tactics” auseindersetzt.

Militarisierung der Innenpolitik

Grund zur Sorge bereitet in jedem Fall die zunehmend Militarisierung der Innenpolitik jener Staaten, in denen der Widerstand wächst. Immer mehr Regierungen setzen auf die Armee, um auf soziale Unruhen oder Proteste zu reagieren. Eine unvollständige Aufzählung: in Griechenland lässt die Regierung ihre Kampfeinheiten Streiks brechen und zwingt unter Berufung auf Militärgesetze die Streikenden zum Arbeiten; die brasilianische Regierung schickt Soldat_innen auf streikende Ölarbeiter_innen, um einen Privatisierungs-Deal mit ausländischen Multis durchzupeitschen; in der Bundesrepublik wurden im letzten Jahr die Restriktionen für einen Einsatz der Armee im Inneren gelockert, und die Bundeswehr baut eine komplette Übungsstadt, “mit mehr als 500 Gebäuden, Straßen und einem Bahnhof” – offiziell für den Häuserkampf “im Ausland”.

Wir blicken gespannt in die nächsten Monate und beobachten weiter die Vibes auf der Straße. Und wir tun gut daran, uns an die Worte von John F. Kennedy zu erinnern: “Those who make peaceful revolution impossible will make violent revolution inevitable.”

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